Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sonderbare Folge meine Erscheinung auf sie gehabt hat. Vieles, was sie
vorbereitete, kann ich jetzt auch nicht wol schreiben. Sie hat mich mit einer
heftigen, bangen Ungeduld erwartet. Mein letzter Brief, der ihr meine An¬
kunft versicherte, setzte sie in eine Unruhe, die auf ihre Gesundheit wirkte.
Ihre Seele hing nur noch an diesem Gedanken -- und als sie mich hatte,
war ihre Empfänglichkeit für Freude dahin. Ein langes Harren hatte sie
erschöpft, und Freude wirkte bei ihr Lähmung. Sie war fünf, sechs Tage
nach der ersten Epoche meines Hierseins fast jedem Gefühl abgestorben, nur
die Empfindung dieser Ohnmacht blieb ihr und machte sie elend. Ihr Dasein
war nur noch durch convulsivische Spannungen des Augenblicks hingehalten.
Du kannst urtheilen, wie mir in dieser Zeit hier zu Muthe war. Ihre Krank¬
heit, ihre Stimmung und dann die Spannung, die ich sicher brachte, die
Aufforderung, die ich hier hatte! Jetzt fängt sie an, sich zu erholen, ihre Ge¬
sundheit stellt sich wieder her und ihr Geist wird freier. Jetzt erst können
wir einander etwas sein. Aber noch genießen wir uns nicht in einem zweck¬
mäßigen Lebensplan, wie ich mir versprochen hatte; alles ist nur Zurüstung
für die Zukunft. Jetzt erwarte ich mit Ungeduld eine Antwort von ihrem
Mann auf einen wichtigen Brief, den ich ihm geschrieben." -- 12. August.
Es wird bei der Herzogin Mutter eine Operette gegeben. "Weil ich keine
eigentliche Jnvitation bekam, so blieb ich nach dem Rath von Charlotten weg.
Sie hatte zwar eine erhalten, worin gesagt wurde, daß sie sich eine Gesell¬
schaft dazu wählen könnte, wobei ich gemeint war; aber da man mich nur
als ein Pendant von ihr behandelte, so thaten wir beide, als verständen
wirs nicht ... Du siehst, wie krumm und schief auch hier die Gänge sind
> - . Dieser Tage habe ich in großer adliger Gesellschaft einen höchst lang¬
weiligen Spaziergang machen müssen. Das ist ein nothwendiges Uebel, in
das mich mein Verhältniß mit Charlotte gestürzt hat -- und wie viel flache
Creaturen kommen einem da vor." -- "Herder versicherte Charlotte, daß ich
ihn sehr interessire ... Ich hatte mit ihm von ihr gesprochen, er erzählte
ihr davon und drückte ihr dabei die Hand. Dieser letzte Zug hat sie und
wich sehr interessirt." -- Einige Tage darauf bringt ihn Charlotte nach Jena
und holt ihn wieder ab. (18. August). "Herr von Kalb hat mir geschrieben.
Er kommt zu Ende September, seine Ankunft wird das Weitere mit mir be¬
stimmen. Seine Freundschaft für mich ist unverändert, welches zu bewundern
'se. da er seine Frau liebt und mein Verhältniß mit ihr kennt. Aber
s°me Billigkeit und Stärke dürfte vielleicht durch Einmischung fremder Men¬
schen und eine dienstfertige Ohrenbläserei auf eine große Probe gestellt wer¬
den . wenn er kommt. Ich verstehe nämlich nur in Beziehung auf die Mei¬
nung der Welt, denn der Glaube an seine Frau wird nie bei ihm
Wanken. Er kann nach dem Tode des Kurfürsten v. d. Pfalz der zweitem


sonderbare Folge meine Erscheinung auf sie gehabt hat. Vieles, was sie
vorbereitete, kann ich jetzt auch nicht wol schreiben. Sie hat mich mit einer
heftigen, bangen Ungeduld erwartet. Mein letzter Brief, der ihr meine An¬
kunft versicherte, setzte sie in eine Unruhe, die auf ihre Gesundheit wirkte.
Ihre Seele hing nur noch an diesem Gedanken — und als sie mich hatte,
war ihre Empfänglichkeit für Freude dahin. Ein langes Harren hatte sie
erschöpft, und Freude wirkte bei ihr Lähmung. Sie war fünf, sechs Tage
nach der ersten Epoche meines Hierseins fast jedem Gefühl abgestorben, nur
die Empfindung dieser Ohnmacht blieb ihr und machte sie elend. Ihr Dasein
war nur noch durch convulsivische Spannungen des Augenblicks hingehalten.
Du kannst urtheilen, wie mir in dieser Zeit hier zu Muthe war. Ihre Krank¬
heit, ihre Stimmung und dann die Spannung, die ich sicher brachte, die
Aufforderung, die ich hier hatte! Jetzt fängt sie an, sich zu erholen, ihre Ge¬
sundheit stellt sich wieder her und ihr Geist wird freier. Jetzt erst können
wir einander etwas sein. Aber noch genießen wir uns nicht in einem zweck¬
mäßigen Lebensplan, wie ich mir versprochen hatte; alles ist nur Zurüstung
für die Zukunft. Jetzt erwarte ich mit Ungeduld eine Antwort von ihrem
Mann auf einen wichtigen Brief, den ich ihm geschrieben." — 12. August.
Es wird bei der Herzogin Mutter eine Operette gegeben. „Weil ich keine
eigentliche Jnvitation bekam, so blieb ich nach dem Rath von Charlotten weg.
Sie hatte zwar eine erhalten, worin gesagt wurde, daß sie sich eine Gesell¬
schaft dazu wählen könnte, wobei ich gemeint war; aber da man mich nur
als ein Pendant von ihr behandelte, so thaten wir beide, als verständen
wirs nicht ... Du siehst, wie krumm und schief auch hier die Gänge sind
> - . Dieser Tage habe ich in großer adliger Gesellschaft einen höchst lang¬
weiligen Spaziergang machen müssen. Das ist ein nothwendiges Uebel, in
das mich mein Verhältniß mit Charlotte gestürzt hat — und wie viel flache
Creaturen kommen einem da vor." — „Herder versicherte Charlotte, daß ich
ihn sehr interessire ... Ich hatte mit ihm von ihr gesprochen, er erzählte
ihr davon und drückte ihr dabei die Hand. Dieser letzte Zug hat sie und
wich sehr interessirt." — Einige Tage darauf bringt ihn Charlotte nach Jena
und holt ihn wieder ab. (18. August). „Herr von Kalb hat mir geschrieben.
Er kommt zu Ende September, seine Ankunft wird das Weitere mit mir be¬
stimmen. Seine Freundschaft für mich ist unverändert, welches zu bewundern
'se. da er seine Frau liebt und mein Verhältniß mit ihr kennt. Aber
s°me Billigkeit und Stärke dürfte vielleicht durch Einmischung fremder Men¬
schen und eine dienstfertige Ohrenbläserei auf eine große Probe gestellt wer¬
den . wenn er kommt. Ich verstehe nämlich nur in Beziehung auf die Mei¬
nung der Welt, denn der Glaube an seine Frau wird nie bei ihm
Wanken. Er kann nach dem Tode des Kurfürsten v. d. Pfalz der zweitem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107382"/>
          <p xml:id="ID_995" prev="#ID_994" next="#ID_996"> sonderbare Folge meine Erscheinung auf sie gehabt hat. Vieles, was sie<lb/>
vorbereitete, kann ich jetzt auch nicht wol schreiben. Sie hat mich mit einer<lb/>
heftigen, bangen Ungeduld erwartet. Mein letzter Brief, der ihr meine An¬<lb/>
kunft versicherte, setzte sie in eine Unruhe, die auf ihre Gesundheit wirkte.<lb/>
Ihre Seele hing nur noch an diesem Gedanken &#x2014; und als sie mich hatte,<lb/>
war ihre Empfänglichkeit für Freude dahin. Ein langes Harren hatte sie<lb/>
erschöpft, und Freude wirkte bei ihr Lähmung. Sie war fünf, sechs Tage<lb/>
nach der ersten Epoche meines Hierseins fast jedem Gefühl abgestorben, nur<lb/>
die Empfindung dieser Ohnmacht blieb ihr und machte sie elend. Ihr Dasein<lb/>
war nur noch durch convulsivische Spannungen des Augenblicks hingehalten.<lb/>
Du kannst urtheilen, wie mir in dieser Zeit hier zu Muthe war. Ihre Krank¬<lb/>
heit, ihre Stimmung und dann die Spannung, die ich sicher brachte, die<lb/>
Aufforderung, die ich hier hatte! Jetzt fängt sie an, sich zu erholen, ihre Ge¬<lb/>
sundheit stellt sich wieder her und ihr Geist wird freier. Jetzt erst können<lb/>
wir einander etwas sein. Aber noch genießen wir uns nicht in einem zweck¬<lb/>
mäßigen Lebensplan, wie ich mir versprochen hatte; alles ist nur Zurüstung<lb/>
für die Zukunft. Jetzt erwarte ich mit Ungeduld eine Antwort von ihrem<lb/>
Mann auf einen wichtigen Brief, den ich ihm geschrieben." &#x2014; 12. August.<lb/>
Es wird bei der Herzogin Mutter eine Operette gegeben. &#x201E;Weil ich keine<lb/>
eigentliche Jnvitation bekam, so blieb ich nach dem Rath von Charlotten weg.<lb/>
Sie hatte zwar eine erhalten, worin gesagt wurde, daß sie sich eine Gesell¬<lb/>
schaft dazu wählen könnte, wobei ich gemeint war; aber da man mich nur<lb/>
als ein Pendant von ihr behandelte, so thaten wir beide, als verständen<lb/>
wirs nicht ... Du siehst, wie krumm und schief auch hier die Gänge sind<lb/>
&gt; - . Dieser Tage habe ich in großer adliger Gesellschaft einen höchst lang¬<lb/>
weiligen Spaziergang machen müssen. Das ist ein nothwendiges Uebel, in<lb/>
das mich mein Verhältniß mit Charlotte gestürzt hat &#x2014; und wie viel flache<lb/>
Creaturen kommen einem da vor." &#x2014; &#x201E;Herder versicherte Charlotte, daß ich<lb/>
ihn sehr interessire ... Ich hatte mit ihm von ihr gesprochen, er erzählte<lb/>
ihr davon und drückte ihr dabei die Hand. Dieser letzte Zug hat sie und<lb/>
wich sehr interessirt." &#x2014; Einige Tage darauf bringt ihn Charlotte nach Jena<lb/>
und holt ihn wieder ab. (18. August). &#x201E;Herr von Kalb hat mir geschrieben.<lb/>
Er kommt zu Ende September, seine Ankunft wird das Weitere mit mir be¬<lb/>
stimmen. Seine Freundschaft für mich ist unverändert, welches zu bewundern<lb/>
'se. da er seine Frau liebt und mein Verhältniß mit ihr kennt. Aber<lb/>
s°me Billigkeit und Stärke dürfte vielleicht durch Einmischung fremder Men¬<lb/>
schen und eine dienstfertige Ohrenbläserei auf eine große Probe gestellt wer¬<lb/>
den . wenn er kommt. Ich verstehe nämlich nur in Beziehung auf die Mei¬<lb/>
nung der Welt, denn der Glaube an seine Frau wird nie bei ihm<lb/>
Wanken.  Er kann nach dem Tode des Kurfürsten v. d. Pfalz der zweitem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0335] sonderbare Folge meine Erscheinung auf sie gehabt hat. Vieles, was sie vorbereitete, kann ich jetzt auch nicht wol schreiben. Sie hat mich mit einer heftigen, bangen Ungeduld erwartet. Mein letzter Brief, der ihr meine An¬ kunft versicherte, setzte sie in eine Unruhe, die auf ihre Gesundheit wirkte. Ihre Seele hing nur noch an diesem Gedanken — und als sie mich hatte, war ihre Empfänglichkeit für Freude dahin. Ein langes Harren hatte sie erschöpft, und Freude wirkte bei ihr Lähmung. Sie war fünf, sechs Tage nach der ersten Epoche meines Hierseins fast jedem Gefühl abgestorben, nur die Empfindung dieser Ohnmacht blieb ihr und machte sie elend. Ihr Dasein war nur noch durch convulsivische Spannungen des Augenblicks hingehalten. Du kannst urtheilen, wie mir in dieser Zeit hier zu Muthe war. Ihre Krank¬ heit, ihre Stimmung und dann die Spannung, die ich sicher brachte, die Aufforderung, die ich hier hatte! Jetzt fängt sie an, sich zu erholen, ihre Ge¬ sundheit stellt sich wieder her und ihr Geist wird freier. Jetzt erst können wir einander etwas sein. Aber noch genießen wir uns nicht in einem zweck¬ mäßigen Lebensplan, wie ich mir versprochen hatte; alles ist nur Zurüstung für die Zukunft. Jetzt erwarte ich mit Ungeduld eine Antwort von ihrem Mann auf einen wichtigen Brief, den ich ihm geschrieben." — 12. August. Es wird bei der Herzogin Mutter eine Operette gegeben. „Weil ich keine eigentliche Jnvitation bekam, so blieb ich nach dem Rath von Charlotten weg. Sie hatte zwar eine erhalten, worin gesagt wurde, daß sie sich eine Gesell¬ schaft dazu wählen könnte, wobei ich gemeint war; aber da man mich nur als ein Pendant von ihr behandelte, so thaten wir beide, als verständen wirs nicht ... Du siehst, wie krumm und schief auch hier die Gänge sind > - . Dieser Tage habe ich in großer adliger Gesellschaft einen höchst lang¬ weiligen Spaziergang machen müssen. Das ist ein nothwendiges Uebel, in das mich mein Verhältniß mit Charlotte gestürzt hat — und wie viel flache Creaturen kommen einem da vor." — „Herder versicherte Charlotte, daß ich ihn sehr interessire ... Ich hatte mit ihm von ihr gesprochen, er erzählte ihr davon und drückte ihr dabei die Hand. Dieser letzte Zug hat sie und wich sehr interessirt." — Einige Tage darauf bringt ihn Charlotte nach Jena und holt ihn wieder ab. (18. August). „Herr von Kalb hat mir geschrieben. Er kommt zu Ende September, seine Ankunft wird das Weitere mit mir be¬ stimmen. Seine Freundschaft für mich ist unverändert, welches zu bewundern 'se. da er seine Frau liebt und mein Verhältniß mit ihr kennt. Aber s°me Billigkeit und Stärke dürfte vielleicht durch Einmischung fremder Men¬ schen und eine dienstfertige Ohrenbläserei auf eine große Probe gestellt wer¬ den . wenn er kommt. Ich verstehe nämlich nur in Beziehung auf die Mei¬ nung der Welt, denn der Glaube an seine Frau wird nie bei ihm Wanken. Er kann nach dem Tode des Kurfürsten v. d. Pfalz der zweitem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/335
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/335>, abgerufen am 23.12.2024.