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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Anfang des Sommers nach Weimar, wo sie bei den Größen jener Stadt,
namentlich bei der jüngern Herzogin und Frau v. Stein eine sehr lebhafte
Anerkennung fand. Auch Frau v. Lengefeld und ihre Töchter lernte sie
kennen. Mit Schiller -- der übrigens von einer neuen Leidenschaft erfaßt
war, stand sie in ununterbrochenem Briefwechsel; schon zu Anfang des Jahres
hatte er um Erlaubniß gebeten, zu ihr zu kommen; sie hatte es abgelehnt
und ihn nach Weimar beschicken. -- Von nun an werden die Mittheilungen
authentisch.

Den 21. Juli 1787 kam Schiller in Weimar an. "Am nämlichen Abend,"
schreibt er an Körner, "sah ich Charlotten. Unser erstes Wiedersehn hatte so
viel Gepreßtes, Betäubendes, daß mirs unmöglich fällt, es euch zu beschrei¬
ben. Charlotte ist sich ganz gleich geblieben, bis auf wenige Spuren von
Kränklichkeit, die der Paroxismus der Erwartung und des Wiedersehns für
diesen Abend aber verlöschte, und die ich erst heute bemerken kann. Sonder¬
bar war es, daß ich mich schon in der ersten Stunde unseres Beisammen-
snnö nicht anders fühlte, als hätte ich sie erst gestern verlassen, so einheimisch
war mir alles an ihr, so schnell knüpfte sich jeder zerrissene Faden unseres
Umgangs wieder an. Ehe ich euch über sie und auch über mich etwas mehr
sage, laßt mich zu mir selbst kommen. Die Erwartung der mancherlei Dinge,
die sich mir hier in den Weg werfen werden, hat meine ganze Besinnungs¬
krast eingenommen." (Nebenbei unterhandelt er mit Körner über Hciratbs-
pläne.) "Charlotte ist eine große, sonderbare weibliche Seele, ein wirk¬
liches Studium für mich, die einem größern Geist, als der meinige ist, zu
schaffen geben kann. Mit jedem Fortschritt unsers Umgangs entdecke ich neue
Erscheinungen in ihr, die mich wie schöne Partien in einer weiten Land¬
schaft überraschen und entzücken. Hr. v. Kalb und sein Bruder werden im
September eintreffen, und Charlotte hat alle Hoffnung, daß unsere Vereinigung
(in Dresden) im October zu Stande kommen wird. Aus einer kleinen Bos¬
heit vermeidet sie deswegen auch, in Weimar die geringste Einrichtung für
häusliche Bequemlichkeit zu machen, daß ihn die Armseligkeit weg nach Dres¬
den treiben soll. Sind wir einmal da, so läßt man euch für das Weitere
sorgen. Die Situation des Hrn. v. Kalb am zweibrückschen Hof. wo er
eine Carriere machen dürfte, wenn der Kurfürst v. d. Pfalz sterben sollte,
läßt sie vielleicht zehn bis fünfzehn Jahr über ihren Aufenthalt frei gebieten."
"Hier ist, wie es scheint, schon ziemlich über uns gesprochen worden. Wir
haben uns vorgesetzt, kein Geheimniß aus unserm Verhältniß zu machen.
Einige Mal hatte man schon die Discretion -- uns nicht zu stören, wenn
man vermuthete, daß wir fremde Gesellschaft los sein wollten. Charlotte steht
bei Wieland und Herder in großer Achtung. Sie ist jetzt bis zum Muthwillen
munter, ihre Lebhaftigkeit hat auch mich angesteckt, und ist nicht unbemerkt


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Anfang des Sommers nach Weimar, wo sie bei den Größen jener Stadt,
namentlich bei der jüngern Herzogin und Frau v. Stein eine sehr lebhafte
Anerkennung fand. Auch Frau v. Lengefeld und ihre Töchter lernte sie
kennen. Mit Schiller — der übrigens von einer neuen Leidenschaft erfaßt
war, stand sie in ununterbrochenem Briefwechsel; schon zu Anfang des Jahres
hatte er um Erlaubniß gebeten, zu ihr zu kommen; sie hatte es abgelehnt
und ihn nach Weimar beschicken. — Von nun an werden die Mittheilungen
authentisch.

Den 21. Juli 1787 kam Schiller in Weimar an. „Am nämlichen Abend,"
schreibt er an Körner, „sah ich Charlotten. Unser erstes Wiedersehn hatte so
viel Gepreßtes, Betäubendes, daß mirs unmöglich fällt, es euch zu beschrei¬
ben. Charlotte ist sich ganz gleich geblieben, bis auf wenige Spuren von
Kränklichkeit, die der Paroxismus der Erwartung und des Wiedersehns für
diesen Abend aber verlöschte, und die ich erst heute bemerken kann. Sonder¬
bar war es, daß ich mich schon in der ersten Stunde unseres Beisammen-
snnö nicht anders fühlte, als hätte ich sie erst gestern verlassen, so einheimisch
war mir alles an ihr, so schnell knüpfte sich jeder zerrissene Faden unseres
Umgangs wieder an. Ehe ich euch über sie und auch über mich etwas mehr
sage, laßt mich zu mir selbst kommen. Die Erwartung der mancherlei Dinge,
die sich mir hier in den Weg werfen werden, hat meine ganze Besinnungs¬
krast eingenommen." (Nebenbei unterhandelt er mit Körner über Hciratbs-
pläne.) „Charlotte ist eine große, sonderbare weibliche Seele, ein wirk¬
liches Studium für mich, die einem größern Geist, als der meinige ist, zu
schaffen geben kann. Mit jedem Fortschritt unsers Umgangs entdecke ich neue
Erscheinungen in ihr, die mich wie schöne Partien in einer weiten Land¬
schaft überraschen und entzücken. Hr. v. Kalb und sein Bruder werden im
September eintreffen, und Charlotte hat alle Hoffnung, daß unsere Vereinigung
(in Dresden) im October zu Stande kommen wird. Aus einer kleinen Bos¬
heit vermeidet sie deswegen auch, in Weimar die geringste Einrichtung für
häusliche Bequemlichkeit zu machen, daß ihn die Armseligkeit weg nach Dres¬
den treiben soll. Sind wir einmal da, so läßt man euch für das Weitere
sorgen. Die Situation des Hrn. v. Kalb am zweibrückschen Hof. wo er
eine Carriere machen dürfte, wenn der Kurfürst v. d. Pfalz sterben sollte,
läßt sie vielleicht zehn bis fünfzehn Jahr über ihren Aufenthalt frei gebieten."
„Hier ist, wie es scheint, schon ziemlich über uns gesprochen worden. Wir
haben uns vorgesetzt, kein Geheimniß aus unserm Verhältniß zu machen.
Einige Mal hatte man schon die Discretion — uns nicht zu stören, wenn
man vermuthete, daß wir fremde Gesellschaft los sein wollten. Charlotte steht
bei Wieland und Herder in großer Achtung. Sie ist jetzt bis zum Muthwillen
munter, ihre Lebhaftigkeit hat auch mich angesteckt, und ist nicht unbemerkt


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[0333] Anfang des Sommers nach Weimar, wo sie bei den Größen jener Stadt, namentlich bei der jüngern Herzogin und Frau v. Stein eine sehr lebhafte Anerkennung fand. Auch Frau v. Lengefeld und ihre Töchter lernte sie kennen. Mit Schiller — der übrigens von einer neuen Leidenschaft erfaßt war, stand sie in ununterbrochenem Briefwechsel; schon zu Anfang des Jahres hatte er um Erlaubniß gebeten, zu ihr zu kommen; sie hatte es abgelehnt und ihn nach Weimar beschicken. — Von nun an werden die Mittheilungen authentisch. Den 21. Juli 1787 kam Schiller in Weimar an. „Am nämlichen Abend," schreibt er an Körner, „sah ich Charlotten. Unser erstes Wiedersehn hatte so viel Gepreßtes, Betäubendes, daß mirs unmöglich fällt, es euch zu beschrei¬ ben. Charlotte ist sich ganz gleich geblieben, bis auf wenige Spuren von Kränklichkeit, die der Paroxismus der Erwartung und des Wiedersehns für diesen Abend aber verlöschte, und die ich erst heute bemerken kann. Sonder¬ bar war es, daß ich mich schon in der ersten Stunde unseres Beisammen- snnö nicht anders fühlte, als hätte ich sie erst gestern verlassen, so einheimisch war mir alles an ihr, so schnell knüpfte sich jeder zerrissene Faden unseres Umgangs wieder an. Ehe ich euch über sie und auch über mich etwas mehr sage, laßt mich zu mir selbst kommen. Die Erwartung der mancherlei Dinge, die sich mir hier in den Weg werfen werden, hat meine ganze Besinnungs¬ krast eingenommen." (Nebenbei unterhandelt er mit Körner über Hciratbs- pläne.) „Charlotte ist eine große, sonderbare weibliche Seele, ein wirk¬ liches Studium für mich, die einem größern Geist, als der meinige ist, zu schaffen geben kann. Mit jedem Fortschritt unsers Umgangs entdecke ich neue Erscheinungen in ihr, die mich wie schöne Partien in einer weiten Land¬ schaft überraschen und entzücken. Hr. v. Kalb und sein Bruder werden im September eintreffen, und Charlotte hat alle Hoffnung, daß unsere Vereinigung (in Dresden) im October zu Stande kommen wird. Aus einer kleinen Bos¬ heit vermeidet sie deswegen auch, in Weimar die geringste Einrichtung für häusliche Bequemlichkeit zu machen, daß ihn die Armseligkeit weg nach Dres¬ den treiben soll. Sind wir einmal da, so läßt man euch für das Weitere sorgen. Die Situation des Hrn. v. Kalb am zweibrückschen Hof. wo er eine Carriere machen dürfte, wenn der Kurfürst v. d. Pfalz sterben sollte, läßt sie vielleicht zehn bis fünfzehn Jahr über ihren Aufenthalt frei gebieten." „Hier ist, wie es scheint, schon ziemlich über uns gesprochen worden. Wir haben uns vorgesetzt, kein Geheimniß aus unserm Verhältniß zu machen. Einige Mal hatte man schon die Discretion — uns nicht zu stören, wenn man vermuthete, daß wir fremde Gesellschaft los sein wollten. Charlotte steht bei Wieland und Herder in großer Achtung. Sie ist jetzt bis zum Muthwillen munter, ihre Lebhaftigkeit hat auch mich angesteckt, und ist nicht unbemerkt 41"°

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/333>, abgerufen am 22.12.2024.