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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Dinge geltend gemacht: die neue Reichsdeputation wurde nicht mit königlichen
Ehren empfangen, sie hatte gar nicht nöthig, sich in den Mantel der Beschei¬
denheit zu hüllen, und Robert Blum wurde gar erschossen, trotz des Reichs¬
gesetzes, welches die Unverletzlichkeit der Abgeordneten gebot. Es kam dem
Feldherrn, der die östreichische Monarchie wieder herstellte, darauf an, der
Nationalversammlung recht handgreiflich zu zeigen, daß Oestreich von Deutsch¬
land noch nicht unterworfen sei und daraus ergaben sich denn die vielen Mi߬
verständnisse und Schwankungen, denen sämmtliche Abgeordnete, hauptsächlich
aber der Träger der Centralgewalt verfielen. Heinrich von Gagern, in dem
man früher den Hauptvertreter der öffentlichen Meinung ehrte, (irrthümlich,
denn er war einer der wenigen, die von Anfang an auf das hinarbeiteten,
was sich schließlich als Resultat ergab; wobei wir freilich die Wahl seiner
Mittel nicht verstehn) und Johann von Oestreich wurden als symbolische Per¬
sonen von dem ganzen Fluch der Unpopularität betroffen, der eigentlich der
Nationalversammlung im Ganzen galt.

Dem Erzherzog ist, wir sagen es mit voller Ueberzeugung, schreiendes Un¬
recht geschehn. Er faßte seine Würde von vorn so auf, wie am Schluß seines
Amts, als den ersten Schritt zur Wiederherstellung des östreichisch-deutschen
Kaisertums, wobei er freilich einerseits voraussetzte, daß Oestreich sich offen
und ehrlich dem Liberalismus und dem Deutschthum hingeben werde, andrer¬
seits daß Preußen, der einzige denkbare Gegner, nicht die Macht habe, dem
Nationalwillen zu widerstehn. Wenn die Gemüthlichkeit seine Idee anders
aufgefaßt hatte, so war das nicht seine Schuld. Freilich waren seine eignen
Anschauungen zu gemüthlich, um in Wirklichkeit übergehn zu können.

Nicht zu allen Zeiten seines Lebens hat er die Einheit Deutschlands so
aufgefaßt. In den Jahren 1804--1808 stand er, damals ein zwanzigjähriger
strebsamer und hoffnungsvoller Prinz, von dem elenden östreichischen Ministe¬
rium scheel angesehn, mit Männern wie Gentz, Hormayr und Johannes von
Müller in enger Verbindung. Die politischen Briefe, die er an den letztern
schrieb, sind uns noch aufbewahrt und verrathen eine scharfe Einsicht in die
damalige Lage. Er geht in jenen Briefen (8. Dec. 1804. 20. Febr. 1805,
1. August 1805. 10. Juli 1806) von einem Gedanken aus. der damals nicht
auf der Hand lag: daß die friedliche Entwicklung Europas hauptsächlich durch
die Möglichkeit einer russisch-französischen Allianz bedroht werde; dieser Ge¬
fahr zu begegnen, sei nur eine feste Vereinigung zwischen Oestreich und Preu¬
ßen im Stande. Das Einverstündniß werde hauptsächlich dadurch beeinträchtigt,
daß Preußen sich an Macht seinem Nebenbuhler nicht gleich fühlt und ihn da¬
her mit Eifersucht betrachtet: es liege daher im wohlverstandenen Interesse
Oestreichs, die Vergrößerung Preußens zu wünschen und nach
Kräften dazu beizutragen. -- Die damaligen östreichischen Staatsmänner


Dinge geltend gemacht: die neue Reichsdeputation wurde nicht mit königlichen
Ehren empfangen, sie hatte gar nicht nöthig, sich in den Mantel der Beschei¬
denheit zu hüllen, und Robert Blum wurde gar erschossen, trotz des Reichs¬
gesetzes, welches die Unverletzlichkeit der Abgeordneten gebot. Es kam dem
Feldherrn, der die östreichische Monarchie wieder herstellte, darauf an, der
Nationalversammlung recht handgreiflich zu zeigen, daß Oestreich von Deutsch¬
land noch nicht unterworfen sei und daraus ergaben sich denn die vielen Mi߬
verständnisse und Schwankungen, denen sämmtliche Abgeordnete, hauptsächlich
aber der Träger der Centralgewalt verfielen. Heinrich von Gagern, in dem
man früher den Hauptvertreter der öffentlichen Meinung ehrte, (irrthümlich,
denn er war einer der wenigen, die von Anfang an auf das hinarbeiteten,
was sich schließlich als Resultat ergab; wobei wir freilich die Wahl seiner
Mittel nicht verstehn) und Johann von Oestreich wurden als symbolische Per¬
sonen von dem ganzen Fluch der Unpopularität betroffen, der eigentlich der
Nationalversammlung im Ganzen galt.

Dem Erzherzog ist, wir sagen es mit voller Ueberzeugung, schreiendes Un¬
recht geschehn. Er faßte seine Würde von vorn so auf, wie am Schluß seines
Amts, als den ersten Schritt zur Wiederherstellung des östreichisch-deutschen
Kaisertums, wobei er freilich einerseits voraussetzte, daß Oestreich sich offen
und ehrlich dem Liberalismus und dem Deutschthum hingeben werde, andrer¬
seits daß Preußen, der einzige denkbare Gegner, nicht die Macht habe, dem
Nationalwillen zu widerstehn. Wenn die Gemüthlichkeit seine Idee anders
aufgefaßt hatte, so war das nicht seine Schuld. Freilich waren seine eignen
Anschauungen zu gemüthlich, um in Wirklichkeit übergehn zu können.

Nicht zu allen Zeiten seines Lebens hat er die Einheit Deutschlands so
aufgefaßt. In den Jahren 1804—1808 stand er, damals ein zwanzigjähriger
strebsamer und hoffnungsvoller Prinz, von dem elenden östreichischen Ministe¬
rium scheel angesehn, mit Männern wie Gentz, Hormayr und Johannes von
Müller in enger Verbindung. Die politischen Briefe, die er an den letztern
schrieb, sind uns noch aufbewahrt und verrathen eine scharfe Einsicht in die
damalige Lage. Er geht in jenen Briefen (8. Dec. 1804. 20. Febr. 1805,
1. August 1805. 10. Juli 1806) von einem Gedanken aus. der damals nicht
auf der Hand lag: daß die friedliche Entwicklung Europas hauptsächlich durch
die Möglichkeit einer russisch-französischen Allianz bedroht werde; dieser Ge¬
fahr zu begegnen, sei nur eine feste Vereinigung zwischen Oestreich und Preu¬
ßen im Stande. Das Einverstündniß werde hauptsächlich dadurch beeinträchtigt,
daß Preußen sich an Macht seinem Nebenbuhler nicht gleich fühlt und ihn da¬
her mit Eifersucht betrachtet: es liege daher im wohlverstandenen Interesse
Oestreichs, die Vergrößerung Preußens zu wünschen und nach
Kräften dazu beizutragen. — Die damaligen östreichischen Staatsmänner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/312>, abgerufen am 23.12.2024.