Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.der natürliche Erbe sei, und daß von einer Wahl nicht die Rede sein könne. Von der Rechtsfrage ganz abgesehen, war für alle Freunde einer geord¬ Auch nach der Anerkennung des neuen Königs hielten sich die Republi¬ der natürliche Erbe sei, und daß von einer Wahl nicht die Rede sein könne. Von der Rechtsfrage ganz abgesehen, war für alle Freunde einer geord¬ Auch nach der Anerkennung des neuen Königs hielten sich die Republi¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107078"/> <p xml:id="ID_71" prev="#ID_70"> der natürliche Erbe sei, und daß von einer Wahl nicht die Rede sein könne.<lb/> Guizot. der bekanntlich zu den letztern gehörte, gibt nachträglich zu, daß man<lb/> sich von der Erledigung des Thrones etwas gar zu schnell überzeugte und<lb/> daß das Vorbild der englischen Revolution von 1688 nicht wenig zu dieser<lb/> Ansicht beigetragen hatte. In neuester Zeit hat man als den Hauptgrund<lb/> für die Unsicherheit der Julidynastie den Umstand angegeben, daß man<lb/> versäumt, die Königswahl den ^Versammlungen zur Bestätigung vorzu¬<lb/> legen. Guizot weist diese Ansicht zurück, und für den bestimmten Fall gewiß<lb/> mit Recht, wenn auch unter andern Umständen ein thatsächlich bereits fest¬<lb/> stehendes Regiment durch die nachträgliche Zustimmung'einer recht auffallenden<lb/> Mehrheit einige Unterstützung gewinnt.</p><lb/> <p xml:id="ID_72"> Von der Rechtsfrage ganz abgesehen, war für alle Freunde einer geord¬<lb/> neten Regierung die Entscheidung für Ludwig Philipp eine innere Nothwendig¬<lb/> keit. Die Gefahr für die Gesellschaft war fehr groß, der Entschluß mußte schnell<lb/> erfolgen, und wenn man mit Hilfe von Bajonetten sieben bis acht Millionen<lb/> Stimmen bald aufbringt, so finden sich diese nicht so leicht, wo die Bajo¬<lb/> nette fehlen. Der Herzog von Orleans hat nach Guizots Versicherung den<lb/> Thronwechsel in keiner Weise gefördert, es wäre ihm sogar bequemer gewe¬<lb/> sen, in der minder glänzenden aber mehr gesicherten Stellung eines ersten<lb/> Prinzen von Geblüt zu verharren. Daß er positiv nichts dafür gethan hat,<lb/> wollen wir glauben; wer indessen so offen, wie Ludwig Philipp im Kreise<lb/> seiner Anhänger von der Opposition über die Wahrscheinlichkeit eines neuen<lb/> Aufstandes, über die Verblendung des Hofes, und über seinen Entschluß,<lb/> demselben nicht in die Verbannung zu folgen, sich ausspricht, auf den kann<lb/> man wol das bekannte Wort des Sir Hamilton Seymour über den Kaiser<lb/> Nikolaus anwenden: wer so entschieden den baldigen Tod des kranken Mannes<lb/> prophezeihet. der ist entschlossen, ihn zu befördern.</p><lb/> <p xml:id="ID_73" next="#ID_74"> Auch nach der Anerkennung des neuen Königs hielten sich die Republi¬<lb/> kaner noch immer für die Herrn der Situation, das neue Stichwort war, ein<lb/> Königthum mit republikanischen Institutionen umgeben (auf breitester demo¬<lb/> kratischer Grundlage). Alles kam nun darauf an, ob das Volk einen festen<lb/> Willen sich gegenüber fand. Ludwig Philipp selbst war schwankend und das<lb/> Ministerium, mit welchem er am 11. August vor die Kammern trat, war aus<lb/> den beiden Parteien ziemlich gleichmäßig zusammengesetzt. Von denjenigen,<lb/> Welche der Demokratie Widerstand zu leisten entschlossen waren, war Guizot<lb/> der rücksichtsloseste, er erhielt das wichtige Departement des Innern. Von<lb/> seinen Collegen gibt er sehr ergötzliche Bilder, das gelungenste ist das von<lb/> La^ffitte. Er hatte unter den Liberalen den umfassendsten Geist und die<lb/> weiteste Bildung. Ein. intelligenter und entschlossener Geschäftsmann, ein<lb/> liebenswürdiger und unermüdlicher Plauderer, sorgfältig bemüht, allen denen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
der natürliche Erbe sei, und daß von einer Wahl nicht die Rede sein könne.
Guizot. der bekanntlich zu den letztern gehörte, gibt nachträglich zu, daß man
sich von der Erledigung des Thrones etwas gar zu schnell überzeugte und
daß das Vorbild der englischen Revolution von 1688 nicht wenig zu dieser
Ansicht beigetragen hatte. In neuester Zeit hat man als den Hauptgrund
für die Unsicherheit der Julidynastie den Umstand angegeben, daß man
versäumt, die Königswahl den ^Versammlungen zur Bestätigung vorzu¬
legen. Guizot weist diese Ansicht zurück, und für den bestimmten Fall gewiß
mit Recht, wenn auch unter andern Umständen ein thatsächlich bereits fest¬
stehendes Regiment durch die nachträgliche Zustimmung'einer recht auffallenden
Mehrheit einige Unterstützung gewinnt.
Von der Rechtsfrage ganz abgesehen, war für alle Freunde einer geord¬
neten Regierung die Entscheidung für Ludwig Philipp eine innere Nothwendig¬
keit. Die Gefahr für die Gesellschaft war fehr groß, der Entschluß mußte schnell
erfolgen, und wenn man mit Hilfe von Bajonetten sieben bis acht Millionen
Stimmen bald aufbringt, so finden sich diese nicht so leicht, wo die Bajo¬
nette fehlen. Der Herzog von Orleans hat nach Guizots Versicherung den
Thronwechsel in keiner Weise gefördert, es wäre ihm sogar bequemer gewe¬
sen, in der minder glänzenden aber mehr gesicherten Stellung eines ersten
Prinzen von Geblüt zu verharren. Daß er positiv nichts dafür gethan hat,
wollen wir glauben; wer indessen so offen, wie Ludwig Philipp im Kreise
seiner Anhänger von der Opposition über die Wahrscheinlichkeit eines neuen
Aufstandes, über die Verblendung des Hofes, und über seinen Entschluß,
demselben nicht in die Verbannung zu folgen, sich ausspricht, auf den kann
man wol das bekannte Wort des Sir Hamilton Seymour über den Kaiser
Nikolaus anwenden: wer so entschieden den baldigen Tod des kranken Mannes
prophezeihet. der ist entschlossen, ihn zu befördern.
Auch nach der Anerkennung des neuen Königs hielten sich die Republi¬
kaner noch immer für die Herrn der Situation, das neue Stichwort war, ein
Königthum mit republikanischen Institutionen umgeben (auf breitester demo¬
kratischer Grundlage). Alles kam nun darauf an, ob das Volk einen festen
Willen sich gegenüber fand. Ludwig Philipp selbst war schwankend und das
Ministerium, mit welchem er am 11. August vor die Kammern trat, war aus
den beiden Parteien ziemlich gleichmäßig zusammengesetzt. Von denjenigen,
Welche der Demokratie Widerstand zu leisten entschlossen waren, war Guizot
der rücksichtsloseste, er erhielt das wichtige Departement des Innern. Von
seinen Collegen gibt er sehr ergötzliche Bilder, das gelungenste ist das von
La^ffitte. Er hatte unter den Liberalen den umfassendsten Geist und die
weiteste Bildung. Ein. intelligenter und entschlossener Geschäftsmann, ein
liebenswürdiger und unermüdlicher Plauderer, sorgfältig bemüht, allen denen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |