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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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lukMv lidurtensis als Ueberschrift trägt, ein auf den Marktplatz. Von hier
Zum Tempel und zum unmittelbar daneben gelegenen Hotel der Sibylla sind
es nur ein paar Schritte. Jedermann kennt im Bild die Fälle des Anio, der
hier bei seinem Austritt aus dem Gebirge noch seine volle Schönheit offen¬
bart und in dreifach getheilten Cascaden herabstürzt. Die nächste Umgebung
des Tempels, die Neptuns- und Sirenengrotte, so wie den von Gregor dem Sech¬
zehnten geregelten Aquäduct besuchten der Abb6 und der Rector noch gemein¬
sam mit -mir; dann fuhren sie -- offenbar der Kostenersparniß halber -- als¬
bald weiter nach Rom, um dort noch selbigen Abend einzutreffen. Ich hätte
es für ein Delict gehalten, die Villa d'Este, die Villa Hadrians und die Villa
des Mäcen unbesehen zu lassen, und trennte mich deshalb von meinen bis¬
herigen Gefährten. Es gereuete mich nicht, daß ich für Tivoli noch einen gan¬
zen Tag verwendete. Von der Terrasse des Casino in der Villa d'Este sah ich
zum ersten Mal die Pcterskuppel, die sich mächtig am östlichen Horizont ab¬
hob; in der Ebene davor spiegelte sich der lago äei tartai'i; zur Seite hier¬
von lag das Grabmal der Plantier und näher zu mir her die Trümmerwelt
der Villa Hadrians, eingeschlossen von einem Cypressenring und gekennzeichnet
durch einzelne hohe Pinien, deren Nadelkrone die Mauern überragte. Gegen
Norden sieht als gewaltige Zacke zwischen den Bergkuppen, auf welchen sich
gegenüber die Städtchen S. Angelo und Monticelli liegen, der molto Koraew
hervor. Dicht vor mir schaute ich in die verwilderten feuchten Anlagen der
Villa, auf die kleinen Teiche, und die eintönig sprudelnden Gewässer, auf Lor¬
beeren, Cypressen und vereinsamte Nosensträuche, aus die Cypressen, unter de¬
nen Ariost seine Lieder sang. Neben mir stand die Frau des Custoden mit
dem Strickstrumpf in der Hand; sie mit ihrer Familie sind die einzigen Be¬
wohner der Villa; der Eigenthümer derselben, der Herzog von Modena, räumte
ihnen im Oberstock einige Zimmer ein; die Prunkgemächer des Hauses Este
stehen leer, und kahl sind die mit bunten Fresken bemalten Wände. -- Nach¬
dem ich am folgenden Tage unter trübem Himmel und geleitet von einem, dem
Fieber kaum entronnenen abgezehrten Führer in der eigentlich bis auf die
Mauern zerstörten Villa Hadrians die kolossalen Verhältnisse römischer Kaiser¬
bauten, aber zugleich kennen gelernt hatte, wie die spätere Zeit ti.e Monumente
der früheren in Trümmer zu schlagen vermochte, fuhr ich gen Rom, dem
>,8raM seMere", wie es der Abb6 mir nannte. Die bisherigen sonnigen
Tage hatten einstweilen ihr Ende erreicht, neben dem heiteren Tivoli hatte
ich auch ein Bild vom windigen und regnerischen bekommen, damit ich bezeu¬
gen könnte, daß das italienische Sprichwort nicht lüge: livoli o xiove, " tira
vento. Gegen Abend klärte es sich ein wenig auf; über porta. Iiorcm?"
standen hellgrau rosigbestrahlte Wolkenmassen. als ich einzog. Kein Paß
wurde verlangt, kein Gepäck visitirt; doch mußte der Wagen einige Zeit am


Grcnzvoten II. 1859, 38

lukMv lidurtensis als Ueberschrift trägt, ein auf den Marktplatz. Von hier
Zum Tempel und zum unmittelbar daneben gelegenen Hotel der Sibylla sind
es nur ein paar Schritte. Jedermann kennt im Bild die Fälle des Anio, der
hier bei seinem Austritt aus dem Gebirge noch seine volle Schönheit offen¬
bart und in dreifach getheilten Cascaden herabstürzt. Die nächste Umgebung
des Tempels, die Neptuns- und Sirenengrotte, so wie den von Gregor dem Sech¬
zehnten geregelten Aquäduct besuchten der Abb6 und der Rector noch gemein¬
sam mit -mir; dann fuhren sie — offenbar der Kostenersparniß halber — als¬
bald weiter nach Rom, um dort noch selbigen Abend einzutreffen. Ich hätte
es für ein Delict gehalten, die Villa d'Este, die Villa Hadrians und die Villa
des Mäcen unbesehen zu lassen, und trennte mich deshalb von meinen bis¬
herigen Gefährten. Es gereuete mich nicht, daß ich für Tivoli noch einen gan¬
zen Tag verwendete. Von der Terrasse des Casino in der Villa d'Este sah ich
zum ersten Mal die Pcterskuppel, die sich mächtig am östlichen Horizont ab¬
hob; in der Ebene davor spiegelte sich der lago äei tartai'i; zur Seite hier¬
von lag das Grabmal der Plantier und näher zu mir her die Trümmerwelt
der Villa Hadrians, eingeschlossen von einem Cypressenring und gekennzeichnet
durch einzelne hohe Pinien, deren Nadelkrone die Mauern überragte. Gegen
Norden sieht als gewaltige Zacke zwischen den Bergkuppen, auf welchen sich
gegenüber die Städtchen S. Angelo und Monticelli liegen, der molto Koraew
hervor. Dicht vor mir schaute ich in die verwilderten feuchten Anlagen der
Villa, auf die kleinen Teiche, und die eintönig sprudelnden Gewässer, auf Lor¬
beeren, Cypressen und vereinsamte Nosensträuche, aus die Cypressen, unter de¬
nen Ariost seine Lieder sang. Neben mir stand die Frau des Custoden mit
dem Strickstrumpf in der Hand; sie mit ihrer Familie sind die einzigen Be¬
wohner der Villa; der Eigenthümer derselben, der Herzog von Modena, räumte
ihnen im Oberstock einige Zimmer ein; die Prunkgemächer des Hauses Este
stehen leer, und kahl sind die mit bunten Fresken bemalten Wände. — Nach¬
dem ich am folgenden Tage unter trübem Himmel und geleitet von einem, dem
Fieber kaum entronnenen abgezehrten Führer in der eigentlich bis auf die
Mauern zerstörten Villa Hadrians die kolossalen Verhältnisse römischer Kaiser¬
bauten, aber zugleich kennen gelernt hatte, wie die spätere Zeit ti.e Monumente
der früheren in Trümmer zu schlagen vermochte, fuhr ich gen Rom, dem
>,8raM seMere", wie es der Abb6 mir nannte. Die bisherigen sonnigen
Tage hatten einstweilen ihr Ende erreicht, neben dem heiteren Tivoli hatte
ich auch ein Bild vom windigen und regnerischen bekommen, damit ich bezeu¬
gen könnte, daß das italienische Sprichwort nicht lüge: livoli o xiove, » tira
vento. Gegen Abend klärte es sich ein wenig auf; über porta. Iiorcm?«
standen hellgrau rosigbestrahlte Wolkenmassen. als ich einzog. Kein Paß
wurde verlangt, kein Gepäck visitirt; doch mußte der Wagen einige Zeit am


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[0307] lukMv lidurtensis als Ueberschrift trägt, ein auf den Marktplatz. Von hier Zum Tempel und zum unmittelbar daneben gelegenen Hotel der Sibylla sind es nur ein paar Schritte. Jedermann kennt im Bild die Fälle des Anio, der hier bei seinem Austritt aus dem Gebirge noch seine volle Schönheit offen¬ bart und in dreifach getheilten Cascaden herabstürzt. Die nächste Umgebung des Tempels, die Neptuns- und Sirenengrotte, so wie den von Gregor dem Sech¬ zehnten geregelten Aquäduct besuchten der Abb6 und der Rector noch gemein¬ sam mit -mir; dann fuhren sie — offenbar der Kostenersparniß halber — als¬ bald weiter nach Rom, um dort noch selbigen Abend einzutreffen. Ich hätte es für ein Delict gehalten, die Villa d'Este, die Villa Hadrians und die Villa des Mäcen unbesehen zu lassen, und trennte mich deshalb von meinen bis¬ herigen Gefährten. Es gereuete mich nicht, daß ich für Tivoli noch einen gan¬ zen Tag verwendete. Von der Terrasse des Casino in der Villa d'Este sah ich zum ersten Mal die Pcterskuppel, die sich mächtig am östlichen Horizont ab¬ hob; in der Ebene davor spiegelte sich der lago äei tartai'i; zur Seite hier¬ von lag das Grabmal der Plantier und näher zu mir her die Trümmerwelt der Villa Hadrians, eingeschlossen von einem Cypressenring und gekennzeichnet durch einzelne hohe Pinien, deren Nadelkrone die Mauern überragte. Gegen Norden sieht als gewaltige Zacke zwischen den Bergkuppen, auf welchen sich gegenüber die Städtchen S. Angelo und Monticelli liegen, der molto Koraew hervor. Dicht vor mir schaute ich in die verwilderten feuchten Anlagen der Villa, auf die kleinen Teiche, und die eintönig sprudelnden Gewässer, auf Lor¬ beeren, Cypressen und vereinsamte Nosensträuche, aus die Cypressen, unter de¬ nen Ariost seine Lieder sang. Neben mir stand die Frau des Custoden mit dem Strickstrumpf in der Hand; sie mit ihrer Familie sind die einzigen Be¬ wohner der Villa; der Eigenthümer derselben, der Herzog von Modena, räumte ihnen im Oberstock einige Zimmer ein; die Prunkgemächer des Hauses Este stehen leer, und kahl sind die mit bunten Fresken bemalten Wände. — Nach¬ dem ich am folgenden Tage unter trübem Himmel und geleitet von einem, dem Fieber kaum entronnenen abgezehrten Führer in der eigentlich bis auf die Mauern zerstörten Villa Hadrians die kolossalen Verhältnisse römischer Kaiser¬ bauten, aber zugleich kennen gelernt hatte, wie die spätere Zeit ti.e Monumente der früheren in Trümmer zu schlagen vermochte, fuhr ich gen Rom, dem >,8raM seMere", wie es der Abb6 mir nannte. Die bisherigen sonnigen Tage hatten einstweilen ihr Ende erreicht, neben dem heiteren Tivoli hatte ich auch ein Bild vom windigen und regnerischen bekommen, damit ich bezeu¬ gen könnte, daß das italienische Sprichwort nicht lüge: livoli o xiove, » tira vento. Gegen Abend klärte es sich ein wenig auf; über porta. Iiorcm?« standen hellgrau rosigbestrahlte Wolkenmassen. als ich einzog. Kein Paß wurde verlangt, kein Gepäck visitirt; doch mußte der Wagen einige Zeit am Grcnzvoten II. 1859, 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/307>, abgerufen am 22.12.2024.