Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

beschlagene Lehnsessel und große Oelbilder von Heiligen, darunter das der
Scolastica; über der Eingangsthür ist eine Tafel eingemauert mit der In¬
schrift: ü vivtato xor i korvstwri al xrolongiU'S it suo svAgioroo in laestv
uwM xiü al 24 oro (Es ist dem Fremden verboten, länger als vierundzwan-
zig Stunden an diesem Orte zu verweilen). Wem diese Worte noch Zweifel übrig
lassen sollten, der fand eine genügende Erläuterung in zwei zur Seite der
Thüre angebrachten französisch und italienisch abgefaßten, Anschlägen mit Be¬
stimmungen für die Fremden, worin wiederholt und deutlich ausgesprochen
war, daß es keinem Gaste, weß Ranges und Standes er auch sei, gestattet wäre,
länger als eine Nacht und einen Tag im Kloster zuzubringen; nebenbei war
auch erwähnt, daß es verboten sei, irgend welche Vergütung für die Aufnahme
im Kloster zu offeriren. Die Weisheit jener Beschränkung des Aufenthalts sah
ich ein, als man mir mittheilte, die Zahl der Einkehrenden belaufe sich im
Monat October durchschnittlich auf fünfhundert, und als ich merkte, daß es
des Abtes Pflicht sei, fortwährend den Begleiter, Führer und Unterhalter der
Gäste zu machen. Ich kannte diese Sitte nicht, wußte auch namentlich nicht,
daß der Abt die Fremden in der Forestieria aussuche, statt sich von ihnen be¬
willkommnen zu lassen; es durfte mir deshalb nicht verdacht werden, als ich
den Mann im schwarzen Habit und schwarzen Pilgerhut, der plötzlich des
Morgens früh-in den Vorsaal trat, worin ich grade mit Schreiben beschäftigt
war, für einen Pilger und für einen Fremden gleich mir hielt. Er reichte
mir freundlichst die Hand und ließ sich mit mir in ein Gespräch ein, fragend,
woher ich komme, was mein Reiseziel sei, und wer mich begleite. Dabei
beschäftigte er sich damit, mir den Kaffee, welcher eben hereingebracht wurde,
einzngießen und mit Milch und Zucker zuzubereiten. Meine Gefährten hatten
sich zur Messe in die Kirche begeben; ich erzählte dem vermeintlichen Pilger,
ich würde heute abreisen, jene hätten aber die Absicht, noch zu bleiben, wor¬
auf er antwortete: "Sie können nicht, haben sie nicht die Thürüberschrift ge¬
lesen?" Ein solcher kategorischer Ausspruch ließ mich ahnen, daß der Mann
wol im Kloster etwas zu sagen haben müsse, und diese Ahnung bestärkte sich,
als er aus meine Mittheilung, ich hätte mich für das Archiv in Montecassino
interessut, erklärte, er müsse zwar eiligst in Geschäften nach Subjaco, wolle
wich aber zuvor in die Urkundensammlung von S. Scolastica führen. Den
Finger an den Mund gelegt, durchschritt er mit mir auf den Zehen die
Klostergänge, mir zuflüsternd, hier herrsche eine andere Stille, als die zu
Montecassino. Was uns von Mönchspersonal begegnete, siel auf die Knie
und küßte meinem Begleiter die Hand. Im Vorübergehen rief er zu meiner
Unterhaltung einen vierzehnjährigen Knaben ans der Klosterschule herbei, der,
^n Mailänder von Geburt, vier Jahr lang bei Kempten eine Lehranstalt
besucht und dort deutsch gelernt hatte. Dieser mußte mir seinen und seiner


Grenzboten Is. 1859, 37

beschlagene Lehnsessel und große Oelbilder von Heiligen, darunter das der
Scolastica; über der Eingangsthür ist eine Tafel eingemauert mit der In¬
schrift: ü vivtato xor i korvstwri al xrolongiU'S it suo svAgioroo in laestv
uwM xiü al 24 oro (Es ist dem Fremden verboten, länger als vierundzwan-
zig Stunden an diesem Orte zu verweilen). Wem diese Worte noch Zweifel übrig
lassen sollten, der fand eine genügende Erläuterung in zwei zur Seite der
Thüre angebrachten französisch und italienisch abgefaßten, Anschlägen mit Be¬
stimmungen für die Fremden, worin wiederholt und deutlich ausgesprochen
war, daß es keinem Gaste, weß Ranges und Standes er auch sei, gestattet wäre,
länger als eine Nacht und einen Tag im Kloster zuzubringen; nebenbei war
auch erwähnt, daß es verboten sei, irgend welche Vergütung für die Aufnahme
im Kloster zu offeriren. Die Weisheit jener Beschränkung des Aufenthalts sah
ich ein, als man mir mittheilte, die Zahl der Einkehrenden belaufe sich im
Monat October durchschnittlich auf fünfhundert, und als ich merkte, daß es
des Abtes Pflicht sei, fortwährend den Begleiter, Führer und Unterhalter der
Gäste zu machen. Ich kannte diese Sitte nicht, wußte auch namentlich nicht,
daß der Abt die Fremden in der Forestieria aussuche, statt sich von ihnen be¬
willkommnen zu lassen; es durfte mir deshalb nicht verdacht werden, als ich
den Mann im schwarzen Habit und schwarzen Pilgerhut, der plötzlich des
Morgens früh-in den Vorsaal trat, worin ich grade mit Schreiben beschäftigt
war, für einen Pilger und für einen Fremden gleich mir hielt. Er reichte
mir freundlichst die Hand und ließ sich mit mir in ein Gespräch ein, fragend,
woher ich komme, was mein Reiseziel sei, und wer mich begleite. Dabei
beschäftigte er sich damit, mir den Kaffee, welcher eben hereingebracht wurde,
einzngießen und mit Milch und Zucker zuzubereiten. Meine Gefährten hatten
sich zur Messe in die Kirche begeben; ich erzählte dem vermeintlichen Pilger,
ich würde heute abreisen, jene hätten aber die Absicht, noch zu bleiben, wor¬
auf er antwortete: „Sie können nicht, haben sie nicht die Thürüberschrift ge¬
lesen?" Ein solcher kategorischer Ausspruch ließ mich ahnen, daß der Mann
wol im Kloster etwas zu sagen haben müsse, und diese Ahnung bestärkte sich,
als er aus meine Mittheilung, ich hätte mich für das Archiv in Montecassino
interessut, erklärte, er müsse zwar eiligst in Geschäften nach Subjaco, wolle
wich aber zuvor in die Urkundensammlung von S. Scolastica führen. Den
Finger an den Mund gelegt, durchschritt er mit mir auf den Zehen die
Klostergänge, mir zuflüsternd, hier herrsche eine andere Stille, als die zu
Montecassino. Was uns von Mönchspersonal begegnete, siel auf die Knie
und küßte meinem Begleiter die Hand. Im Vorübergehen rief er zu meiner
Unterhaltung einen vierzehnjährigen Knaben ans der Klosterschule herbei, der,
^n Mailänder von Geburt, vier Jahr lang bei Kempten eine Lehranstalt
besucht und dort deutsch gelernt hatte. Dieser mußte mir seinen und seiner


Grenzboten Is. 1859, 37
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107346"/>
          <p xml:id="ID_878" prev="#ID_877" next="#ID_879"> beschlagene Lehnsessel und große Oelbilder von Heiligen, darunter das der<lb/>
Scolastica; über der Eingangsthür ist eine Tafel eingemauert mit der In¬<lb/>
schrift: ü vivtato xor i korvstwri al xrolongiU'S it suo svAgioroo in laestv<lb/>
uwM xiü al 24 oro (Es ist dem Fremden verboten, länger als vierundzwan-<lb/>
zig Stunden an diesem Orte zu verweilen). Wem diese Worte noch Zweifel übrig<lb/>
lassen sollten, der fand eine genügende Erläuterung in zwei zur Seite der<lb/>
Thüre angebrachten französisch und italienisch abgefaßten, Anschlägen mit Be¬<lb/>
stimmungen für die Fremden, worin wiederholt und deutlich ausgesprochen<lb/>
war, daß es keinem Gaste, weß Ranges und Standes er auch sei, gestattet wäre,<lb/>
länger als eine Nacht und einen Tag im Kloster zuzubringen; nebenbei war<lb/>
auch erwähnt, daß es verboten sei, irgend welche Vergütung für die Aufnahme<lb/>
im Kloster zu offeriren. Die Weisheit jener Beschränkung des Aufenthalts sah<lb/>
ich ein, als man mir mittheilte, die Zahl der Einkehrenden belaufe sich im<lb/>
Monat October durchschnittlich auf fünfhundert, und als ich merkte, daß es<lb/>
des Abtes Pflicht sei, fortwährend den Begleiter, Führer und Unterhalter der<lb/>
Gäste zu machen. Ich kannte diese Sitte nicht, wußte auch namentlich nicht,<lb/>
daß der Abt die Fremden in der Forestieria aussuche, statt sich von ihnen be¬<lb/>
willkommnen zu lassen; es durfte mir deshalb nicht verdacht werden, als ich<lb/>
den Mann im schwarzen Habit und schwarzen Pilgerhut, der plötzlich des<lb/>
Morgens früh-in den Vorsaal trat, worin ich grade mit Schreiben beschäftigt<lb/>
war, für einen Pilger und für einen Fremden gleich mir hielt. Er reichte<lb/>
mir freundlichst die Hand und ließ sich mit mir in ein Gespräch ein, fragend,<lb/>
woher ich komme, was mein Reiseziel sei, und wer mich begleite. Dabei<lb/>
beschäftigte er sich damit, mir den Kaffee, welcher eben hereingebracht wurde,<lb/>
einzngießen und mit Milch und Zucker zuzubereiten. Meine Gefährten hatten<lb/>
sich zur Messe in die Kirche begeben; ich erzählte dem vermeintlichen Pilger,<lb/>
ich würde heute abreisen, jene hätten aber die Absicht, noch zu bleiben, wor¬<lb/>
auf er antwortete: &#x201E;Sie können nicht, haben sie nicht die Thürüberschrift ge¬<lb/>
lesen?" Ein solcher kategorischer Ausspruch ließ mich ahnen, daß der Mann<lb/>
wol im Kloster etwas zu sagen haben müsse, und diese Ahnung bestärkte sich,<lb/>
als er aus meine Mittheilung, ich hätte mich für das Archiv in Montecassino<lb/>
interessut, erklärte, er müsse zwar eiligst in Geschäften nach Subjaco, wolle<lb/>
wich aber zuvor in die Urkundensammlung von S. Scolastica führen. Den<lb/>
Finger an den Mund gelegt, durchschritt er mit mir auf den Zehen die<lb/>
Klostergänge, mir zuflüsternd, hier herrsche eine andere Stille, als die zu<lb/>
Montecassino. Was uns von Mönchspersonal begegnete, siel auf die Knie<lb/>
und küßte meinem Begleiter die Hand. Im Vorübergehen rief er zu meiner<lb/>
Unterhaltung einen vierzehnjährigen Knaben ans der Klosterschule herbei, der,<lb/>
^n Mailänder von Geburt, vier Jahr lang bei Kempten eine Lehranstalt<lb/>
besucht und dort deutsch gelernt hatte. Dieser mußte mir seinen und seiner</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten Is. 1859, 37</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0299] beschlagene Lehnsessel und große Oelbilder von Heiligen, darunter das der Scolastica; über der Eingangsthür ist eine Tafel eingemauert mit der In¬ schrift: ü vivtato xor i korvstwri al xrolongiU'S it suo svAgioroo in laestv uwM xiü al 24 oro (Es ist dem Fremden verboten, länger als vierundzwan- zig Stunden an diesem Orte zu verweilen). Wem diese Worte noch Zweifel übrig lassen sollten, der fand eine genügende Erläuterung in zwei zur Seite der Thüre angebrachten französisch und italienisch abgefaßten, Anschlägen mit Be¬ stimmungen für die Fremden, worin wiederholt und deutlich ausgesprochen war, daß es keinem Gaste, weß Ranges und Standes er auch sei, gestattet wäre, länger als eine Nacht und einen Tag im Kloster zuzubringen; nebenbei war auch erwähnt, daß es verboten sei, irgend welche Vergütung für die Aufnahme im Kloster zu offeriren. Die Weisheit jener Beschränkung des Aufenthalts sah ich ein, als man mir mittheilte, die Zahl der Einkehrenden belaufe sich im Monat October durchschnittlich auf fünfhundert, und als ich merkte, daß es des Abtes Pflicht sei, fortwährend den Begleiter, Führer und Unterhalter der Gäste zu machen. Ich kannte diese Sitte nicht, wußte auch namentlich nicht, daß der Abt die Fremden in der Forestieria aussuche, statt sich von ihnen be¬ willkommnen zu lassen; es durfte mir deshalb nicht verdacht werden, als ich den Mann im schwarzen Habit und schwarzen Pilgerhut, der plötzlich des Morgens früh-in den Vorsaal trat, worin ich grade mit Schreiben beschäftigt war, für einen Pilger und für einen Fremden gleich mir hielt. Er reichte mir freundlichst die Hand und ließ sich mit mir in ein Gespräch ein, fragend, woher ich komme, was mein Reiseziel sei, und wer mich begleite. Dabei beschäftigte er sich damit, mir den Kaffee, welcher eben hereingebracht wurde, einzngießen und mit Milch und Zucker zuzubereiten. Meine Gefährten hatten sich zur Messe in die Kirche begeben; ich erzählte dem vermeintlichen Pilger, ich würde heute abreisen, jene hätten aber die Absicht, noch zu bleiben, wor¬ auf er antwortete: „Sie können nicht, haben sie nicht die Thürüberschrift ge¬ lesen?" Ein solcher kategorischer Ausspruch ließ mich ahnen, daß der Mann wol im Kloster etwas zu sagen haben müsse, und diese Ahnung bestärkte sich, als er aus meine Mittheilung, ich hätte mich für das Archiv in Montecassino interessut, erklärte, er müsse zwar eiligst in Geschäften nach Subjaco, wolle wich aber zuvor in die Urkundensammlung von S. Scolastica führen. Den Finger an den Mund gelegt, durchschritt er mit mir auf den Zehen die Klostergänge, mir zuflüsternd, hier herrsche eine andere Stille, als die zu Montecassino. Was uns von Mönchspersonal begegnete, siel auf die Knie und küßte meinem Begleiter die Hand. Im Vorübergehen rief er zu meiner Unterhaltung einen vierzehnjährigen Knaben ans der Klosterschule herbei, der, ^n Mailänder von Geburt, vier Jahr lang bei Kempten eine Lehranstalt besucht und dort deutsch gelernt hatte. Dieser mußte mir seinen und seiner Grenzboten Is. 1859, 37

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/299
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/299>, abgerufen am 23.12.2024.