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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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über der Eingangsthür geboten war, beobachtet, nur las ein Novize von der
an einer Langseite des Saals in der Höhe angebrachten Kanzel einen Bericht
aus der civilen. o^t-WIiea über die damals grade beendete Reise des heiligen
Vaters vor, und nach ihm theilten noch zwei seiner College" vom Tisch aus
Bruchstücke aus dem Leben eines Heiligen in lateinischer Sprache mit. Die
Bedienung besorgten ebenfalls zwei Novizen, unter denen dies Geschäft Reihe
umgeht. Wir als Fremde wurden vor den übrigen bevorzugt, indem wir mehr
und bessere Gerichte erhielten, überhaupt war das ganze Essen splendider als
in den bisherigen Klöstern; wenigstens hatten die Macaroni, die Liebesäpfel
und die ewigen Eierkuchen aufgehört; sie wurden durch eine dicke Reissuppe
und ein gutes Stück Fleisch vertreten, dazu gab es leidlichen Wein und hinter¬
her köstliche Pfirsiche und Trauben. Nach Tisch wiederholte sich derselbe feier¬
liche Gesang, den wir vor Tisch gehört hatten; zum Schluß knieten zwei No¬
vizen einige Minuten lang in der Mitte des Refectoriums nieder. Dann
schritt uns der Prior wieder voran und begleitete uns zur Forestieria, wo er
uns fast eine Stunde lang bis zum Schlafengehen unterhielt. --

Dieser intime Verkehr zwischen Fremden und Klosterbrüdern machte mir
als Protestanten, wenn ich aufrichtig sein soll, den Aufenthalt in'S. Scolastica
nicht grade behaglich; vielmehr überkam mich eine gewisse Befangenheit und
vorzüglich während der Scene im düstern Refectorium der Gedanke, ich wäre
unberufener Zeuge eines Cultus gewesen, der nicht der meine war und eben
deshalb bei und wegen seiner unverkennbaren Würde für mich etwas Un¬
heimliches hatte; ich mußte mir sagen, daß ich hier vielleicht nicht geduldet
würde, wenn man wüßte, daß ich einer andern Confession angehöre. Dies
Gefühl änderte sich auch wenig, als ich annehmen durfte, man sei mit'mei¬
ner Eigenschaft als Akatholik durch meine unterlassene Betheiligung an den
üblichen Cultusformen bekannt geworden. Ich faßte daher den Entschluß,
jedenfalls andern Tags abzureisen, wenn auch meine Begleiter schon merken
ließen, sie hätten nicht übel Lust noch länger zu bleiben. Zu mächtig war
der Gegenscu) zwischen der freien großen Natur und dem verschlossenen engen
Kloster auf mich eingedrungen, ich sehnte mich in das Thal, über den rau¬
schenden Fluß und über die Berge hinweg, auf denen ich den vollen, fast tag¬
heller Schein eines italienischen Mondes in seiner ganzen Pracht aus den
Fenstern meines Schlafzimmers liegen sah.

Mit angebrochenen Morgen betrachtete ich mir zuerst meine nächste Um¬
gebung. Die Forestieria hat einen noblern Anstrich wie diejenigen, welche ich
bisher kennen lernte, und insofern eine andere Einrichtung, als sie außer den
einzelnen Zimmern für die Fremden noch eine Art Vorsaal und ein Conver-
sationszimmer zu deren gemeinsamem Gebrauche enthält. Alle Zimmer sind
sehr geräumig und gut möblirt. Im Vorsaal befinden sich mit grünem Tuch


über der Eingangsthür geboten war, beobachtet, nur las ein Novize von der
an einer Langseite des Saals in der Höhe angebrachten Kanzel einen Bericht
aus der civilen. o^t-WIiea über die damals grade beendete Reise des heiligen
Vaters vor, und nach ihm theilten noch zwei seiner College» vom Tisch aus
Bruchstücke aus dem Leben eines Heiligen in lateinischer Sprache mit. Die
Bedienung besorgten ebenfalls zwei Novizen, unter denen dies Geschäft Reihe
umgeht. Wir als Fremde wurden vor den übrigen bevorzugt, indem wir mehr
und bessere Gerichte erhielten, überhaupt war das ganze Essen splendider als
in den bisherigen Klöstern; wenigstens hatten die Macaroni, die Liebesäpfel
und die ewigen Eierkuchen aufgehört; sie wurden durch eine dicke Reissuppe
und ein gutes Stück Fleisch vertreten, dazu gab es leidlichen Wein und hinter¬
her köstliche Pfirsiche und Trauben. Nach Tisch wiederholte sich derselbe feier¬
liche Gesang, den wir vor Tisch gehört hatten; zum Schluß knieten zwei No¬
vizen einige Minuten lang in der Mitte des Refectoriums nieder. Dann
schritt uns der Prior wieder voran und begleitete uns zur Forestieria, wo er
uns fast eine Stunde lang bis zum Schlafengehen unterhielt. —

Dieser intime Verkehr zwischen Fremden und Klosterbrüdern machte mir
als Protestanten, wenn ich aufrichtig sein soll, den Aufenthalt in'S. Scolastica
nicht grade behaglich; vielmehr überkam mich eine gewisse Befangenheit und
vorzüglich während der Scene im düstern Refectorium der Gedanke, ich wäre
unberufener Zeuge eines Cultus gewesen, der nicht der meine war und eben
deshalb bei und wegen seiner unverkennbaren Würde für mich etwas Un¬
heimliches hatte; ich mußte mir sagen, daß ich hier vielleicht nicht geduldet
würde, wenn man wüßte, daß ich einer andern Confession angehöre. Dies
Gefühl änderte sich auch wenig, als ich annehmen durfte, man sei mit'mei¬
ner Eigenschaft als Akatholik durch meine unterlassene Betheiligung an den
üblichen Cultusformen bekannt geworden. Ich faßte daher den Entschluß,
jedenfalls andern Tags abzureisen, wenn auch meine Begleiter schon merken
ließen, sie hätten nicht übel Lust noch länger zu bleiben. Zu mächtig war
der Gegenscu) zwischen der freien großen Natur und dem verschlossenen engen
Kloster auf mich eingedrungen, ich sehnte mich in das Thal, über den rau¬
schenden Fluß und über die Berge hinweg, auf denen ich den vollen, fast tag¬
heller Schein eines italienischen Mondes in seiner ganzen Pracht aus den
Fenstern meines Schlafzimmers liegen sah.

Mit angebrochenen Morgen betrachtete ich mir zuerst meine nächste Um¬
gebung. Die Forestieria hat einen noblern Anstrich wie diejenigen, welche ich
bisher kennen lernte, und insofern eine andere Einrichtung, als sie außer den
einzelnen Zimmern für die Fremden noch eine Art Vorsaal und ein Conver-
sationszimmer zu deren gemeinsamem Gebrauche enthält. Alle Zimmer sind
sehr geräumig und gut möblirt. Im Vorsaal befinden sich mit grünem Tuch


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[0298] über der Eingangsthür geboten war, beobachtet, nur las ein Novize von der an einer Langseite des Saals in der Höhe angebrachten Kanzel einen Bericht aus der civilen. o^t-WIiea über die damals grade beendete Reise des heiligen Vaters vor, und nach ihm theilten noch zwei seiner College» vom Tisch aus Bruchstücke aus dem Leben eines Heiligen in lateinischer Sprache mit. Die Bedienung besorgten ebenfalls zwei Novizen, unter denen dies Geschäft Reihe umgeht. Wir als Fremde wurden vor den übrigen bevorzugt, indem wir mehr und bessere Gerichte erhielten, überhaupt war das ganze Essen splendider als in den bisherigen Klöstern; wenigstens hatten die Macaroni, die Liebesäpfel und die ewigen Eierkuchen aufgehört; sie wurden durch eine dicke Reissuppe und ein gutes Stück Fleisch vertreten, dazu gab es leidlichen Wein und hinter¬ her köstliche Pfirsiche und Trauben. Nach Tisch wiederholte sich derselbe feier¬ liche Gesang, den wir vor Tisch gehört hatten; zum Schluß knieten zwei No¬ vizen einige Minuten lang in der Mitte des Refectoriums nieder. Dann schritt uns der Prior wieder voran und begleitete uns zur Forestieria, wo er uns fast eine Stunde lang bis zum Schlafengehen unterhielt. — Dieser intime Verkehr zwischen Fremden und Klosterbrüdern machte mir als Protestanten, wenn ich aufrichtig sein soll, den Aufenthalt in'S. Scolastica nicht grade behaglich; vielmehr überkam mich eine gewisse Befangenheit und vorzüglich während der Scene im düstern Refectorium der Gedanke, ich wäre unberufener Zeuge eines Cultus gewesen, der nicht der meine war und eben deshalb bei und wegen seiner unverkennbaren Würde für mich etwas Un¬ heimliches hatte; ich mußte mir sagen, daß ich hier vielleicht nicht geduldet würde, wenn man wüßte, daß ich einer andern Confession angehöre. Dies Gefühl änderte sich auch wenig, als ich annehmen durfte, man sei mit'mei¬ ner Eigenschaft als Akatholik durch meine unterlassene Betheiligung an den üblichen Cultusformen bekannt geworden. Ich faßte daher den Entschluß, jedenfalls andern Tags abzureisen, wenn auch meine Begleiter schon merken ließen, sie hätten nicht übel Lust noch länger zu bleiben. Zu mächtig war der Gegenscu) zwischen der freien großen Natur und dem verschlossenen engen Kloster auf mich eingedrungen, ich sehnte mich in das Thal, über den rau¬ schenden Fluß und über die Berge hinweg, auf denen ich den vollen, fast tag¬ heller Schein eines italienischen Mondes in seiner ganzen Pracht aus den Fenstern meines Schlafzimmers liegen sah. Mit angebrochenen Morgen betrachtete ich mir zuerst meine nächste Um¬ gebung. Die Forestieria hat einen noblern Anstrich wie diejenigen, welche ich bisher kennen lernte, und insofern eine andere Einrichtung, als sie außer den einzelnen Zimmern für die Fremden noch eine Art Vorsaal und ein Conver- sationszimmer zu deren gemeinsamem Gebrauche enthält. Alle Zimmer sind sehr geräumig und gut möblirt. Im Vorsaal befinden sich mit grünem Tuch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/298>, abgerufen am 23.12.2024.