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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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schöpferische Kraft abging, wurden daraus regelmäßig Eulalien, die im ent¬
scheidenden Augenblick sagten: "sie stoßen da aus eine Unbegreiflichkeit, in
meiner Geschichte."

Dasselbe könnte man von Gutzkows Figuren sagen. Klingsohr und
Lucinde, die einzigen Personen dieses ersten Bandes, in deren Seelenbewegung
er uns einzuführen sucht, erregen in jedem Augenblick die Empfindung, daß
sie ebenso gut das gerade Gegentheil von dem thun könnten, was sie wirklich
thun. Es ist in ihnen, wie gesagt, keine Seele; sie tragen kein Gesetz der
innern Nothwendigkeit in sich, und darum kennen sie auch keine Leidenschaft,
obgleich namentlich der eine von ihnen alle Augenblicke tobt und lärmt, die
Stühle zerbricht und dergl. Und von derselben Art sind seine sämmtlichen
Helden vom ersten bis zum letzten. Darum ist es eben so schwer, sie zu
analysiren, ohne den Leser zu ermüden, den er durch eine ungeheure Masse
äußerer Erfindungen täuscht. Was aber Gutzkow von den übrigen Poeten
seines Gleichen unterscheidet, ist, daß seine Bildung so weit geht, ihm auf
Augenblicke die Erbärmlichkeit seines Helden klar zu machen; in solchen
Augenblicken nimmt er den Anschein eines Satirikers an, den er aber in der
nächsten Stunde über neuen Eindrücken, neuen Empfindungen wieder ver¬
gißt. Solche Züge finden sich auch im gegenwärtigen Band mehrfach, und
Figuren wie Schlurk und Ströhmer in den Rittern vom Geist, in denen sich
wirklich einige brillante Einfälle finden, sehen ganz aus wie eine Satire auf
seine eignen Schöpfungen; aber sobald er sich zusammenrafft, um einen tüch¬
tigen Menschen zu schildern, wird wieder ein Schlurk oder Ströhmer daraus,
nur in anderem CostüM.

Wer nicht von innerer Nothwendigkeit ausgeht, verfällt dem Zwang der
äußern Umstände d. h. dem Atomismus, und man wird an den vierten König
in Goethes Märchen erinnert, der, sobald ihm die Irrlichter die Goldadern
aussaugen, in einen lächerlichen und unförmigen Klumpen zusammenfällt.
Eine solche Gemüthsstimmung ist auch der wahren Satire nicht mächtig, denn
auch diese verlangt ein festes Maß der Seele, das man auch im Uebermuth
nicht aus den Augen setzt. Gutzkow, in seinem innersten Wesen ein An-
empfinder, bemüht sich durchweg, sich selber in Rührung zu sprechen. Er lauscht
gewissermaßen mit Behagen dem Klang seiner eigenen Worte. Nun wird er
aber gleichzeitig von unzähligen sich widersprechenden Gedanken und Empfin¬
dungen heimgesucht und da er keinem derselben Widerstand zu leisten vermag,
widerfährt ihm fast durchweg, daß er das Ungehörigste in den Vordergrund
stiebt, daß seine Rührung plötzlich in blasirte oder gar in faunische Stim¬
mung überspringt und daß seine Satire in schwächlicher, empfindsamer Ruh-
m>ng verklingt.

Diese Gesetzlosigkeit seines Geistes zeigt sich aber nicht blos in der großen


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schöpferische Kraft abging, wurden daraus regelmäßig Eulalien, die im ent¬
scheidenden Augenblick sagten: „sie stoßen da aus eine Unbegreiflichkeit, in
meiner Geschichte."

Dasselbe könnte man von Gutzkows Figuren sagen. Klingsohr und
Lucinde, die einzigen Personen dieses ersten Bandes, in deren Seelenbewegung
er uns einzuführen sucht, erregen in jedem Augenblick die Empfindung, daß
sie ebenso gut das gerade Gegentheil von dem thun könnten, was sie wirklich
thun. Es ist in ihnen, wie gesagt, keine Seele; sie tragen kein Gesetz der
innern Nothwendigkeit in sich, und darum kennen sie auch keine Leidenschaft,
obgleich namentlich der eine von ihnen alle Augenblicke tobt und lärmt, die
Stühle zerbricht und dergl. Und von derselben Art sind seine sämmtlichen
Helden vom ersten bis zum letzten. Darum ist es eben so schwer, sie zu
analysiren, ohne den Leser zu ermüden, den er durch eine ungeheure Masse
äußerer Erfindungen täuscht. Was aber Gutzkow von den übrigen Poeten
seines Gleichen unterscheidet, ist, daß seine Bildung so weit geht, ihm auf
Augenblicke die Erbärmlichkeit seines Helden klar zu machen; in solchen
Augenblicken nimmt er den Anschein eines Satirikers an, den er aber in der
nächsten Stunde über neuen Eindrücken, neuen Empfindungen wieder ver¬
gißt. Solche Züge finden sich auch im gegenwärtigen Band mehrfach, und
Figuren wie Schlurk und Ströhmer in den Rittern vom Geist, in denen sich
wirklich einige brillante Einfälle finden, sehen ganz aus wie eine Satire auf
seine eignen Schöpfungen; aber sobald er sich zusammenrafft, um einen tüch¬
tigen Menschen zu schildern, wird wieder ein Schlurk oder Ströhmer daraus,
nur in anderem CostüM.

Wer nicht von innerer Nothwendigkeit ausgeht, verfällt dem Zwang der
äußern Umstände d. h. dem Atomismus, und man wird an den vierten König
in Goethes Märchen erinnert, der, sobald ihm die Irrlichter die Goldadern
aussaugen, in einen lächerlichen und unförmigen Klumpen zusammenfällt.
Eine solche Gemüthsstimmung ist auch der wahren Satire nicht mächtig, denn
auch diese verlangt ein festes Maß der Seele, das man auch im Uebermuth
nicht aus den Augen setzt. Gutzkow, in seinem innersten Wesen ein An-
empfinder, bemüht sich durchweg, sich selber in Rührung zu sprechen. Er lauscht
gewissermaßen mit Behagen dem Klang seiner eigenen Worte. Nun wird er
aber gleichzeitig von unzähligen sich widersprechenden Gedanken und Empfin¬
dungen heimgesucht und da er keinem derselben Widerstand zu leisten vermag,
widerfährt ihm fast durchweg, daß er das Ungehörigste in den Vordergrund
stiebt, daß seine Rührung plötzlich in blasirte oder gar in faunische Stim¬
mung überspringt und daß seine Satire in schwächlicher, empfindsamer Ruh-
m>ng verklingt.

Diese Gesetzlosigkeit seines Geistes zeigt sich aber nicht blos in der großen


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[0285] schöpferische Kraft abging, wurden daraus regelmäßig Eulalien, die im ent¬ scheidenden Augenblick sagten: „sie stoßen da aus eine Unbegreiflichkeit, in meiner Geschichte." Dasselbe könnte man von Gutzkows Figuren sagen. Klingsohr und Lucinde, die einzigen Personen dieses ersten Bandes, in deren Seelenbewegung er uns einzuführen sucht, erregen in jedem Augenblick die Empfindung, daß sie ebenso gut das gerade Gegentheil von dem thun könnten, was sie wirklich thun. Es ist in ihnen, wie gesagt, keine Seele; sie tragen kein Gesetz der innern Nothwendigkeit in sich, und darum kennen sie auch keine Leidenschaft, obgleich namentlich der eine von ihnen alle Augenblicke tobt und lärmt, die Stühle zerbricht und dergl. Und von derselben Art sind seine sämmtlichen Helden vom ersten bis zum letzten. Darum ist es eben so schwer, sie zu analysiren, ohne den Leser zu ermüden, den er durch eine ungeheure Masse äußerer Erfindungen täuscht. Was aber Gutzkow von den übrigen Poeten seines Gleichen unterscheidet, ist, daß seine Bildung so weit geht, ihm auf Augenblicke die Erbärmlichkeit seines Helden klar zu machen; in solchen Augenblicken nimmt er den Anschein eines Satirikers an, den er aber in der nächsten Stunde über neuen Eindrücken, neuen Empfindungen wieder ver¬ gißt. Solche Züge finden sich auch im gegenwärtigen Band mehrfach, und Figuren wie Schlurk und Ströhmer in den Rittern vom Geist, in denen sich wirklich einige brillante Einfälle finden, sehen ganz aus wie eine Satire auf seine eignen Schöpfungen; aber sobald er sich zusammenrafft, um einen tüch¬ tigen Menschen zu schildern, wird wieder ein Schlurk oder Ströhmer daraus, nur in anderem CostüM. Wer nicht von innerer Nothwendigkeit ausgeht, verfällt dem Zwang der äußern Umstände d. h. dem Atomismus, und man wird an den vierten König in Goethes Märchen erinnert, der, sobald ihm die Irrlichter die Goldadern aussaugen, in einen lächerlichen und unförmigen Klumpen zusammenfällt. Eine solche Gemüthsstimmung ist auch der wahren Satire nicht mächtig, denn auch diese verlangt ein festes Maß der Seele, das man auch im Uebermuth nicht aus den Augen setzt. Gutzkow, in seinem innersten Wesen ein An- empfinder, bemüht sich durchweg, sich selber in Rührung zu sprechen. Er lauscht gewissermaßen mit Behagen dem Klang seiner eigenen Worte. Nun wird er aber gleichzeitig von unzähligen sich widersprechenden Gedanken und Empfin¬ dungen heimgesucht und da er keinem derselben Widerstand zu leisten vermag, widerfährt ihm fast durchweg, daß er das Ungehörigste in den Vordergrund stiebt, daß seine Rührung plötzlich in blasirte oder gar in faunische Stim¬ mung überspringt und daß seine Satire in schwächlicher, empfindsamer Ruh- m>ng verklingt. Diese Gesetzlosigkeit seines Geistes zeigt sich aber nicht blos in der großen 35*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/285>, abgerufen am 23.12.2024.