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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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lich hinter dem Champagnerglase zwei feste, kraftvoll verbundene Männer zu
sehn! S. 225. Klingsohr lebt von da an auf Kosten des Kronsyndicus, dessen
Sohn Jerome, den er doch für seinen Bruder halten muß, er im Duell
erschießt.

Diese verschiedenen Charaktermomente sind in einer so erstaunlichen
Weise miteinander combinirt, daß man zum Verständniß derselben die dich¬
terische Production Gutzkows überhaupt ins Auge fassen muß. Aus dieser
Untersuchung ergibt sich, daß nicht sein böser Wille, sondern nur seine
völlige dichterische Unfähigkeit solche Monstrositäten zur Welt bringt, daß
es ihm infolge dessen ebenso wenig möglich ist, wirklich böse als wirklich gute
Menschen zu schildern. Seine Gestalten von der ersten bis zur letzten sind
nur Mollusken, sie haben keinen Knochenbau, und so stark sie in Empfindungen
sind, fehlt ihnen doch die Seele. ^

Mit Recht tadelt man den Materialismus der heutigen Naturwissenschaft,
daß er, vielleicht ohne es zu wollen, den Glauben um die Seele untergräbt,
den Glauben an jene individuelle Lebenskraft, die, uns allen bekannt ob¬
gleich uns allen wunderbar, aus innerer Naturbestimmtheit heraus der äußern
Naturbestimmtheit widersteht, bald sie bezwingt, bald ihr unterliegt, und so
ihr eignes Schicksal ist. Indeß ist diese Doctrin, weil sie vom Gefühl wie
von der Wahrnehmung leicht widerlegt wird, viel weniger schädlich, als jene
mißbräuchlich sogenannte Dichtung, die uns seelenlose Gestalten vorführt und
uns daran gewohnt. Der Glaube an die Freiheit ist von dem Bewußtsein
der innern Naturbcstimmtheit der Seele, die sich nicht in bloße sinnliche Ein¬
drücke, in bloße Empfindungen zerbröckeln läßt, unzertrennlich verbunden: nur
die Seele kann sich frei nennen, die ihrer eignen Nothwendigkeit folgt. Dichter
mit Talent aber ohne schöpferische Kraft sind nie im Stande, das Bild einer
solchen Seele hervorzubringen, sie sind auch nie im Stande, eine wahre Lei¬
denschaft zu schildern, denn auch die Leidenschaft, die alle mitwirkenden Um¬
stände überflutet, ist ein Ausfluß jener dämonischen Kraft, die zu verherr¬
lichen von Alters her als die hohe Aufgabe der Tragödie angesehn wurde.
Jene Dichter, die, unfähig den Kern des Wesens zu erfassen, alles, was ge¬
schieht, aus zufälligen Uniständen, Eindrücken und Erregungen herleiten, ver¬
fallen eben deshalb nothwendig in Unsittlichkeit, denn Unsittlichkeit ist nichts
Anderes, als der Atomismus des Willens. Ein solcher Dichter, ein.Talent und,
Erfindung Gutzkow überlegen, an Bildung freilich ihm nachstehend, aber
seiner Zeit ebenso gefeiert als dieser, weil er ebenso dem Jnstinct der Menge
huldigte, war Kotzebue: die Parallele würde sich bis ins Einzelne durchführen
lassen. Auch Kotzebue ging nicht etwa darauf aus, die Sittlichkeit zu unter¬
graben, im Gegentheil hatte er die beste Absicht, namentlich in seinen Trauer¬
spielen tugendhafte Helden und Menschen zu schildern; aber weil ihm die
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lich hinter dem Champagnerglase zwei feste, kraftvoll verbundene Männer zu
sehn! S. 225. Klingsohr lebt von da an auf Kosten des Kronsyndicus, dessen
Sohn Jerome, den er doch für seinen Bruder halten muß, er im Duell
erschießt.

Diese verschiedenen Charaktermomente sind in einer so erstaunlichen
Weise miteinander combinirt, daß man zum Verständniß derselben die dich¬
terische Production Gutzkows überhaupt ins Auge fassen muß. Aus dieser
Untersuchung ergibt sich, daß nicht sein böser Wille, sondern nur seine
völlige dichterische Unfähigkeit solche Monstrositäten zur Welt bringt, daß
es ihm infolge dessen ebenso wenig möglich ist, wirklich böse als wirklich gute
Menschen zu schildern. Seine Gestalten von der ersten bis zur letzten sind
nur Mollusken, sie haben keinen Knochenbau, und so stark sie in Empfindungen
sind, fehlt ihnen doch die Seele. ^

Mit Recht tadelt man den Materialismus der heutigen Naturwissenschaft,
daß er, vielleicht ohne es zu wollen, den Glauben um die Seele untergräbt,
den Glauben an jene individuelle Lebenskraft, die, uns allen bekannt ob¬
gleich uns allen wunderbar, aus innerer Naturbestimmtheit heraus der äußern
Naturbestimmtheit widersteht, bald sie bezwingt, bald ihr unterliegt, und so
ihr eignes Schicksal ist. Indeß ist diese Doctrin, weil sie vom Gefühl wie
von der Wahrnehmung leicht widerlegt wird, viel weniger schädlich, als jene
mißbräuchlich sogenannte Dichtung, die uns seelenlose Gestalten vorführt und
uns daran gewohnt. Der Glaube an die Freiheit ist von dem Bewußtsein
der innern Naturbcstimmtheit der Seele, die sich nicht in bloße sinnliche Ein¬
drücke, in bloße Empfindungen zerbröckeln läßt, unzertrennlich verbunden: nur
die Seele kann sich frei nennen, die ihrer eignen Nothwendigkeit folgt. Dichter
mit Talent aber ohne schöpferische Kraft sind nie im Stande, das Bild einer
solchen Seele hervorzubringen, sie sind auch nie im Stande, eine wahre Lei¬
denschaft zu schildern, denn auch die Leidenschaft, die alle mitwirkenden Um¬
stände überflutet, ist ein Ausfluß jener dämonischen Kraft, die zu verherr¬
lichen von Alters her als die hohe Aufgabe der Tragödie angesehn wurde.
Jene Dichter, die, unfähig den Kern des Wesens zu erfassen, alles, was ge¬
schieht, aus zufälligen Uniständen, Eindrücken und Erregungen herleiten, ver¬
fallen eben deshalb nothwendig in Unsittlichkeit, denn Unsittlichkeit ist nichts
Anderes, als der Atomismus des Willens. Ein solcher Dichter, ein.Talent und,
Erfindung Gutzkow überlegen, an Bildung freilich ihm nachstehend, aber
seiner Zeit ebenso gefeiert als dieser, weil er ebenso dem Jnstinct der Menge
huldigte, war Kotzebue: die Parallele würde sich bis ins Einzelne durchführen
lassen. Auch Kotzebue ging nicht etwa darauf aus, die Sittlichkeit zu unter¬
graben, im Gegentheil hatte er die beste Absicht, namentlich in seinen Trauer¬
spielen tugendhafte Helden und Menschen zu schildern; aber weil ihm die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/284>, abgerufen am 23.12.2024.