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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Huber auch zuweilen verführen, die Gesellen des Freimüthigen, die Merkel,
Bouterweck u. s. w. ungebührlich zu loben); fast keine Recension geht vorüber,
ohne der neuen "Schule" einen Hieb zu ertheilen. Bei Gelegenheit eines neu
erschienenen Buchs (Phantasien von Siegfried Schmid*). I803)heißt es:
"In jugendlichen Versuchen dieser Art Pflegte sonst ein allzu sichtbares Bestreben
nach Bedeutung in Charakteren und Situationen der gewöhnlichste Fehler
zu sein. Diesen Fehler nun rottet die neue Schule so mit der Wurzel aus,
daß ihre Zöglinge vielmehr alles Bedeutende und Besondre scheuen wie das
Feuer, und ein kaltes, flaches, wesenloses Ideal von allgemeinem Roman vor
Augen haben, das weder Plan noch Handlung, weder Situation noch Cha¬
raktere gestaltet. Eine allgemeine Tragödie besitzen wir nun Gottlob! für
alle kommenden Zeiten zu einer sckaudervollen Warnung und Belehrung, de¬
ren Symbol sie auch im gräßlichen Schlangenhaupt an ihrer Spitze trägt
(Alarkos); der Genius ihres Verfassers bedürfte zu ihrer Hervorbringung
keiner Selbstverleugnung." -- Auch in der Recension über Kleists Schrosfen-
stein, der einzigen, die dieses Stück gebührend würdigte, hofft er: "daß es
der leidigen Sekte, die durch ihre Proselytenmacherei die Blüte unserer Jugend
zu vergiften droht, nie gelingen werde, den Dichter an sich zu ziehn." -- Ein
ander Mal spricht er wieder Klinger nach: "Der deutsche gedruckte Unsinn
unterscheidet sich durch seine Originalität von allem ausländischen Unsinn; denn
er grenzt durch eine krampfhafte, oder,'wie seine reichen Schöpfer es lieber
hören, poetische Verzerrung mehr noch an Wahnsinn als an Dummheit, ob¬
gleich er mit letzterem reichlich ausgeschmückt ist. Ich kenne wol auch eng¬
lischen und französischen Unsinn; aber er ist doch immer von einer viel bescheidnern,
viel prosaischcrn Stimmung und läßt sich meistens mit der Dummheit ge¬
nügen. Das letzte Decennium des vorigen Jahrhunderts hat besonders viele
dieser originellen Verzückungen hervorgebracht, .und nach der blühenden Ju¬
gendkraft und der Fülle des Reichthums ihrer Schöpfer zu urtheilen, werden
sie uns auch hoffentlich im neu angetretenen daran nicht Mangel leiden
lassen."

Bis zum Herbst 1803 blieb Hubers Beschäftigung sich gleich, seine häus¬
liche Lage nahm an Annehmlichkeit zu. Da traf ihn am 8. October die
Nachricht, daß die Allgemeine Zeitung untersagt und der Druck verboten sei-
Schnell entschlossen wandten sich Cotta und Huber an Baiern, und schon am
9. Nov. konnte die Zeitung in Ulm mit kurfürstlich baierischen Privilegium
wieder beginnen. Zu diesem Zweck siedelte Huber nach Ulm über. Therese
blieb in Stuttgart zurück, bis er 28. März 1804 ihr melden konnte, er sei
als Landesdirectionsrath der vaierschen Provinz Schwaben in der Section



") Dem "Friedberger" Poeten Schillers von 1797.

Huber auch zuweilen verführen, die Gesellen des Freimüthigen, die Merkel,
Bouterweck u. s. w. ungebührlich zu loben); fast keine Recension geht vorüber,
ohne der neuen „Schule" einen Hieb zu ertheilen. Bei Gelegenheit eines neu
erschienenen Buchs (Phantasien von Siegfried Schmid*). I803)heißt es:
„In jugendlichen Versuchen dieser Art Pflegte sonst ein allzu sichtbares Bestreben
nach Bedeutung in Charakteren und Situationen der gewöhnlichste Fehler
zu sein. Diesen Fehler nun rottet die neue Schule so mit der Wurzel aus,
daß ihre Zöglinge vielmehr alles Bedeutende und Besondre scheuen wie das
Feuer, und ein kaltes, flaches, wesenloses Ideal von allgemeinem Roman vor
Augen haben, das weder Plan noch Handlung, weder Situation noch Cha¬
raktere gestaltet. Eine allgemeine Tragödie besitzen wir nun Gottlob! für
alle kommenden Zeiten zu einer sckaudervollen Warnung und Belehrung, de¬
ren Symbol sie auch im gräßlichen Schlangenhaupt an ihrer Spitze trägt
(Alarkos); der Genius ihres Verfassers bedürfte zu ihrer Hervorbringung
keiner Selbstverleugnung." — Auch in der Recension über Kleists Schrosfen-
stein, der einzigen, die dieses Stück gebührend würdigte, hofft er: „daß es
der leidigen Sekte, die durch ihre Proselytenmacherei die Blüte unserer Jugend
zu vergiften droht, nie gelingen werde, den Dichter an sich zu ziehn." — Ein
ander Mal spricht er wieder Klinger nach: „Der deutsche gedruckte Unsinn
unterscheidet sich durch seine Originalität von allem ausländischen Unsinn; denn
er grenzt durch eine krampfhafte, oder,'wie seine reichen Schöpfer es lieber
hören, poetische Verzerrung mehr noch an Wahnsinn als an Dummheit, ob¬
gleich er mit letzterem reichlich ausgeschmückt ist. Ich kenne wol auch eng¬
lischen und französischen Unsinn; aber er ist doch immer von einer viel bescheidnern,
viel prosaischcrn Stimmung und läßt sich meistens mit der Dummheit ge¬
nügen. Das letzte Decennium des vorigen Jahrhunderts hat besonders viele
dieser originellen Verzückungen hervorgebracht, .und nach der blühenden Ju¬
gendkraft und der Fülle des Reichthums ihrer Schöpfer zu urtheilen, werden
sie uns auch hoffentlich im neu angetretenen daran nicht Mangel leiden
lassen."

Bis zum Herbst 1803 blieb Hubers Beschäftigung sich gleich, seine häus¬
liche Lage nahm an Annehmlichkeit zu. Da traf ihn am 8. October die
Nachricht, daß die Allgemeine Zeitung untersagt und der Druck verboten sei-
Schnell entschlossen wandten sich Cotta und Huber an Baiern, und schon am
9. Nov. konnte die Zeitung in Ulm mit kurfürstlich baierischen Privilegium
wieder beginnen. Zu diesem Zweck siedelte Huber nach Ulm über. Therese
blieb in Stuttgart zurück, bis er 28. März 1804 ihr melden konnte, er sei
als Landesdirectionsrath der vaierschen Provinz Schwaben in der Section



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[0276] Huber auch zuweilen verführen, die Gesellen des Freimüthigen, die Merkel, Bouterweck u. s. w. ungebührlich zu loben); fast keine Recension geht vorüber, ohne der neuen „Schule" einen Hieb zu ertheilen. Bei Gelegenheit eines neu erschienenen Buchs (Phantasien von Siegfried Schmid*). I803)heißt es: „In jugendlichen Versuchen dieser Art Pflegte sonst ein allzu sichtbares Bestreben nach Bedeutung in Charakteren und Situationen der gewöhnlichste Fehler zu sein. Diesen Fehler nun rottet die neue Schule so mit der Wurzel aus, daß ihre Zöglinge vielmehr alles Bedeutende und Besondre scheuen wie das Feuer, und ein kaltes, flaches, wesenloses Ideal von allgemeinem Roman vor Augen haben, das weder Plan noch Handlung, weder Situation noch Cha¬ raktere gestaltet. Eine allgemeine Tragödie besitzen wir nun Gottlob! für alle kommenden Zeiten zu einer sckaudervollen Warnung und Belehrung, de¬ ren Symbol sie auch im gräßlichen Schlangenhaupt an ihrer Spitze trägt (Alarkos); der Genius ihres Verfassers bedürfte zu ihrer Hervorbringung keiner Selbstverleugnung." — Auch in der Recension über Kleists Schrosfen- stein, der einzigen, die dieses Stück gebührend würdigte, hofft er: „daß es der leidigen Sekte, die durch ihre Proselytenmacherei die Blüte unserer Jugend zu vergiften droht, nie gelingen werde, den Dichter an sich zu ziehn." — Ein ander Mal spricht er wieder Klinger nach: „Der deutsche gedruckte Unsinn unterscheidet sich durch seine Originalität von allem ausländischen Unsinn; denn er grenzt durch eine krampfhafte, oder,'wie seine reichen Schöpfer es lieber hören, poetische Verzerrung mehr noch an Wahnsinn als an Dummheit, ob¬ gleich er mit letzterem reichlich ausgeschmückt ist. Ich kenne wol auch eng¬ lischen und französischen Unsinn; aber er ist doch immer von einer viel bescheidnern, viel prosaischcrn Stimmung und läßt sich meistens mit der Dummheit ge¬ nügen. Das letzte Decennium des vorigen Jahrhunderts hat besonders viele dieser originellen Verzückungen hervorgebracht, .und nach der blühenden Ju¬ gendkraft und der Fülle des Reichthums ihrer Schöpfer zu urtheilen, werden sie uns auch hoffentlich im neu angetretenen daran nicht Mangel leiden lassen." Bis zum Herbst 1803 blieb Hubers Beschäftigung sich gleich, seine häus¬ liche Lage nahm an Annehmlichkeit zu. Da traf ihn am 8. October die Nachricht, daß die Allgemeine Zeitung untersagt und der Druck verboten sei- Schnell entschlossen wandten sich Cotta und Huber an Baiern, und schon am 9. Nov. konnte die Zeitung in Ulm mit kurfürstlich baierischen Privilegium wieder beginnen. Zu diesem Zweck siedelte Huber nach Ulm über. Therese blieb in Stuttgart zurück, bis er 28. März 1804 ihr melden konnte, er sei als Landesdirectionsrath der vaierschen Provinz Schwaben in der Section ") Dem „Friedberger" Poeten Schillers von 1797.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/276>, abgerufen am 22.12.2024.