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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Revolution verwirklicht. Bald wurden sie zu Tausenden von einem oder dem
andern Praktiker jener Lehre verfolgt, eingekerkert, guillotinirt. In den Reden
Se. Justs z. B, findet sich eine materielle Analogie mit den Ideen und der Manier
der Schule Justinens. So wandte sich der Abscheu gegen diese Greuel endlich auch
gegen die Ideen, die damit zusammenhängen, und diese Stimmung ist jetzt (1797)
die herrschende in Frankreich." -- "In der ?düosoMo äans 1s bvuüoir, vom Ver¬
sasser der Justine (1797). ist ein Aufsatz, der unter dem Titel: ?rantzg.i8, en-
core un etkort, si vous oculo-i cers Repudlieams! das System allgemeiner
Zerstörung durch Loslassung aller Verbrechen predigt. Der scheinbar gründliche
Ernst, mit welchem diese fürchterliche Ironie ausgeführt ist, macht sie für
Menschen, deren Verstand und Empfindung so beschaffen sind, daß sie sich in
dem ungeheuern Gewebe von Sophismen verirren können, zu einem zwei¬
schneidigen Schwert, so daß. indem der Royalismus gegen die Stiftung einer
Republik nichts Bittereres vorbringen konnte, doch zugleich die politischen Grund¬
sätze der berühmtesten Montagnards mit kraftvoller Wärme hier niedcrgezeich-
net stehn. Nachdem der Verfasser, nicht ohne Beredsamkeit und Schwung,
eine Apologie des Mordes auf allgemeine Naturgesetze zu gründen gesucht,
geht er zu der speciellen Frage über, wie in einem kriegerischen und republi¬
kanischen Staat der Mord anzusehn sei: -- M würde äußerst gefährlich sein,
eine Mißgunst auf diese Handlung zu werfen oder sie zu bestrafen; der Stolz
des Republikaners fordert etwas Wildheit; wenn er weich wird, verliert er
seine Kraft und wird bald unterjocht. Eine Nation, die mit republikanischer
Verfassung anfängt, wird sich nur durch Tugenden erhalten, weil man nur vom
Geringern zum Höhern fortschreitet; aber eine schon verdorbene Nation, welche
das Joch ihrer monarchischen Regierung muthig abschüttelt, wird sich nur durch
viele Verbrechen aufrecht halten, denn sie ist schon ein Verbrechen, und wenn
sie vom Verbrechen zur Tugend übergehn wollte, d.h. von einem gewaltsamen
Zustand zu einem sanften, so würde sie in eine Trägheit verfallen, deren Resultat
bald ihr unfehlbarer Untergang sein würde." --Noch gefährlicher in Bezug auf
ihre Wirkung fand er die Romane von N6elf de la Bretonne. dem Balzac
jener Zeit, dessen 1.6 coeur Irumaiu clevoile 1797 erschien. Es ist für das
Verständniß der damaligen Bildung von Wichtigkeit, daß Schiller an diesem Buch
wie an den I^isons äa-nZereuZes nicht blos ein sehr großes Interesse fand, son¬
dern im Ganzen an der Unsittlichkeit derselben kein Arg hatte. -- Huber macht
(25. Juli 1797) daraus aufmerksam, wie leicht dies Buch in jungen Gemü¬
thern den Wahn erregen könne, daß "dieses monströse Gemüth von Senti¬
mentalität und Brutalität, von Rouerie und Nicuserie wirklich das menschliche
Herz sei." -.Ihm selbst ist das Buch ein sehr merkwürdiges Problem gewesen.
"Schon die Vereinigung von platter Liebelei, gewaltthätiger Brutalität, ab¬
scheulicher Verführung und viehischer Wollust in einem und demselben Cha-


Revolution verwirklicht. Bald wurden sie zu Tausenden von einem oder dem
andern Praktiker jener Lehre verfolgt, eingekerkert, guillotinirt. In den Reden
Se. Justs z. B, findet sich eine materielle Analogie mit den Ideen und der Manier
der Schule Justinens. So wandte sich der Abscheu gegen diese Greuel endlich auch
gegen die Ideen, die damit zusammenhängen, und diese Stimmung ist jetzt (1797)
die herrschende in Frankreich." — „In der ?düosoMo äans 1s bvuüoir, vom Ver¬
sasser der Justine (1797). ist ein Aufsatz, der unter dem Titel: ?rantzg.i8, en-
core un etkort, si vous oculo-i cers Repudlieams! das System allgemeiner
Zerstörung durch Loslassung aller Verbrechen predigt. Der scheinbar gründliche
Ernst, mit welchem diese fürchterliche Ironie ausgeführt ist, macht sie für
Menschen, deren Verstand und Empfindung so beschaffen sind, daß sie sich in
dem ungeheuern Gewebe von Sophismen verirren können, zu einem zwei¬
schneidigen Schwert, so daß. indem der Royalismus gegen die Stiftung einer
Republik nichts Bittereres vorbringen konnte, doch zugleich die politischen Grund¬
sätze der berühmtesten Montagnards mit kraftvoller Wärme hier niedcrgezeich-
net stehn. Nachdem der Verfasser, nicht ohne Beredsamkeit und Schwung,
eine Apologie des Mordes auf allgemeine Naturgesetze zu gründen gesucht,
geht er zu der speciellen Frage über, wie in einem kriegerischen und republi¬
kanischen Staat der Mord anzusehn sei: — M würde äußerst gefährlich sein,
eine Mißgunst auf diese Handlung zu werfen oder sie zu bestrafen; der Stolz
des Republikaners fordert etwas Wildheit; wenn er weich wird, verliert er
seine Kraft und wird bald unterjocht. Eine Nation, die mit republikanischer
Verfassung anfängt, wird sich nur durch Tugenden erhalten, weil man nur vom
Geringern zum Höhern fortschreitet; aber eine schon verdorbene Nation, welche
das Joch ihrer monarchischen Regierung muthig abschüttelt, wird sich nur durch
viele Verbrechen aufrecht halten, denn sie ist schon ein Verbrechen, und wenn
sie vom Verbrechen zur Tugend übergehn wollte, d.h. von einem gewaltsamen
Zustand zu einem sanften, so würde sie in eine Trägheit verfallen, deren Resultat
bald ihr unfehlbarer Untergang sein würde." —Noch gefährlicher in Bezug auf
ihre Wirkung fand er die Romane von N6elf de la Bretonne. dem Balzac
jener Zeit, dessen 1.6 coeur Irumaiu clevoile 1797 erschien. Es ist für das
Verständniß der damaligen Bildung von Wichtigkeit, daß Schiller an diesem Buch
wie an den I^isons äa-nZereuZes nicht blos ein sehr großes Interesse fand, son¬
dern im Ganzen an der Unsittlichkeit derselben kein Arg hatte. — Huber macht
(25. Juli 1797) daraus aufmerksam, wie leicht dies Buch in jungen Gemü¬
thern den Wahn erregen könne, daß „dieses monströse Gemüth von Senti¬
mentalität und Brutalität, von Rouerie und Nicuserie wirklich das menschliche
Herz sei." -.Ihm selbst ist das Buch ein sehr merkwürdiges Problem gewesen.
»Schon die Vereinigung von platter Liebelei, gewaltthätiger Brutalität, ab¬
scheulicher Verführung und viehischer Wollust in einem und demselben Cha-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/271>, abgerufen am 23.12.2024.