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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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füllen dies Nachtgemäide, das übrigens mit großem Geschick ausgeführt ist*).
^- Es ist merkwürdig, wie Therese zuweilen G. Sand antecipirt; in "Erge¬
bung ist besser denn Opfer" haben wir den spätern Jacques, der sich dies
Mal vergiftet, um der Liebe seiner Frau zu einem andern nicht im Wege zu
fein; in Pauline Dupuis (abgesehen von dem scheußlichen Inhalt eine
ihrer besten ErzMungen), fast E. Sues Basquine, die, als halbes Kind auf
eine raffinirte Weise (durch einen Mönch) corrumpirt, die Umarmung eines
edlen Mannes nicht mehr ertragen kann und daher Gift. nimmt. -- Lisette
(1802!) ist schon eine Figur der neuesten Romantik, eine Cameliendcnne: ein
edler Jüngling liebt eine Courtisane und will sie heirathen; um ihn nicht zu
besudeln, tödtet sie sich selbst. Auch diese Erzählung verräth viel Talent. --
In andern werden verschiedene weibliche Capricen geschildert: die eine junge
Dame verliebt sich in den Kaiser Napoleon, die andre in einen Steckbrief.
Ueber den Begriff der Weiblichkeit werden bei der Besprechung von Goethes
weiblichen Charakteren manche interessante Bemerkungen gemacht; die Sinn¬
lichkeit (wie Goethe ganz richtig dargestellt) sei der hervorstechende Charakter
des Weibes; die gesellschaftliche Weiblichkeit sei die schützende Form der natür¬
lichen; alle Unarten und Koketterien der Weiber entspringen aus dem Gefühl,
daß sie heirathen müssen, um dem Spott u. s. w. zu entgehn.

Diese von Huber doch wol gebilligten und unter seinem Namen heraus¬
gegebenen Novellen Theresens muß man sich in Erinnerung bringen, wenn
wan die übrigens höchst scharfsinnige Deduction liest, in welcher er den Zu¬
sammenhang zwischen der sittlichen und politischen Depravation Frankreichs
entwickelt. In der Zeitschrift Klio stellt er '"Justine"**) als eine von den
Thatsachen dar, ohne deren Kenntniß die philosophische Beurtheilung der Re¬
volution unvollständig sei: "Diese Ueberzeugung bewegt uns, bei einem Ge¬
genstand zu verweilen, der, indem er Imagination, Gefühl und Sinnlichkeit
auf die grausamste Folter spannt, zugleich die Vernunft betäubt und den stärk¬
sten Denker auf einen Augenblick verwirren kann." "Das Buch ist ledig¬
lich zum Beweis des durchgängigen Sieges bestimmt, welchen des Verfassers
System dem Recht des Stärkern in seiner weitesten und gräßlichsten Bedeutung,
in dem ganzen Umfang der rasendsten und grausamsten Lüste verheißt." "Man
denke sich den ganzen Unflath, den die Muse der Bordelle ihren Geweihten




') Ueberhaupt standen die Franzosen in solchen Erfindungen nicht allein. Huber selbst
g'de einmal von einem Buch "Verbrechen aus Liebe" folgende Jnhaltsanzeige: "Eine Dlle.
°° Florville bekommt von ihrem Bruder, unbekannterweise, ein Kind, ersticht ihren Sohn (eben
^°ses Kind), der sie, unbekannterweise, entehren will, bringt ihre Mutter, unbekannterweise,
durch ihr Zeugniß auf das Blutgerüst, heirathet unbekannterweise ihren Vater; wie sie von
v'chem guter Hoffnung ist, wird sie von all den kleinen Unannehmlichkeiten und Mißver¬
ständnissen haarklein unterrichtet und schießt sich eine Kugel vor den Kopf."
"*
) -luLtwö on les umIKeur-s as la vertu erschien zuerst 1791.
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füllen dies Nachtgemäide, das übrigens mit großem Geschick ausgeführt ist*).
^- Es ist merkwürdig, wie Therese zuweilen G. Sand antecipirt; in „Erge¬
bung ist besser denn Opfer" haben wir den spätern Jacques, der sich dies
Mal vergiftet, um der Liebe seiner Frau zu einem andern nicht im Wege zu
fein; in Pauline Dupuis (abgesehen von dem scheußlichen Inhalt eine
ihrer besten ErzMungen), fast E. Sues Basquine, die, als halbes Kind auf
eine raffinirte Weise (durch einen Mönch) corrumpirt, die Umarmung eines
edlen Mannes nicht mehr ertragen kann und daher Gift. nimmt. — Lisette
(1802!) ist schon eine Figur der neuesten Romantik, eine Cameliendcnne: ein
edler Jüngling liebt eine Courtisane und will sie heirathen; um ihn nicht zu
besudeln, tödtet sie sich selbst. Auch diese Erzählung verräth viel Talent. —
In andern werden verschiedene weibliche Capricen geschildert: die eine junge
Dame verliebt sich in den Kaiser Napoleon, die andre in einen Steckbrief.
Ueber den Begriff der Weiblichkeit werden bei der Besprechung von Goethes
weiblichen Charakteren manche interessante Bemerkungen gemacht; die Sinn¬
lichkeit (wie Goethe ganz richtig dargestellt) sei der hervorstechende Charakter
des Weibes; die gesellschaftliche Weiblichkeit sei die schützende Form der natür¬
lichen; alle Unarten und Koketterien der Weiber entspringen aus dem Gefühl,
daß sie heirathen müssen, um dem Spott u. s. w. zu entgehn.

Diese von Huber doch wol gebilligten und unter seinem Namen heraus¬
gegebenen Novellen Theresens muß man sich in Erinnerung bringen, wenn
wan die übrigens höchst scharfsinnige Deduction liest, in welcher er den Zu¬
sammenhang zwischen der sittlichen und politischen Depravation Frankreichs
entwickelt. In der Zeitschrift Klio stellt er '„Justine"**) als eine von den
Thatsachen dar, ohne deren Kenntniß die philosophische Beurtheilung der Re¬
volution unvollständig sei: „Diese Ueberzeugung bewegt uns, bei einem Ge¬
genstand zu verweilen, der, indem er Imagination, Gefühl und Sinnlichkeit
auf die grausamste Folter spannt, zugleich die Vernunft betäubt und den stärk¬
sten Denker auf einen Augenblick verwirren kann." „Das Buch ist ledig¬
lich zum Beweis des durchgängigen Sieges bestimmt, welchen des Verfassers
System dem Recht des Stärkern in seiner weitesten und gräßlichsten Bedeutung,
in dem ganzen Umfang der rasendsten und grausamsten Lüste verheißt." „Man
denke sich den ganzen Unflath, den die Muse der Bordelle ihren Geweihten




') Ueberhaupt standen die Franzosen in solchen Erfindungen nicht allein. Huber selbst
g'de einmal von einem Buch „Verbrechen aus Liebe" folgende Jnhaltsanzeige: „Eine Dlle.
°° Florville bekommt von ihrem Bruder, unbekannterweise, ein Kind, ersticht ihren Sohn (eben
^°ses Kind), der sie, unbekannterweise, entehren will, bringt ihre Mutter, unbekannterweise,
durch ihr Zeugniß auf das Blutgerüst, heirathet unbekannterweise ihren Vater; wie sie von
v'chem guter Hoffnung ist, wird sie von all den kleinen Unannehmlichkeiten und Mißver¬
ständnissen haarklein unterrichtet und schießt sich eine Kugel vor den Kopf."
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) -luLtwö on les umIKeur-s as la vertu erschien zuerst 1791.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/269>, abgerufen am 23.12.2024.