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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Befehl, Ja Ja Ja! geschwinde -- sonst kommt der Zorn bis nach Ofen. Das üb¬
rige wegen der Rückreise macht sich bald.

Zwar mußte er schließlich ohne Graf Brunswick nach Töplitz reisen, dort
lernte er aber ein Fräulein Amalie Sebald kennen, welche als Gesellschafterin
einer vornehmen fremden Familie dort sich aushielt. Sie kam dem unbehülflichen
Sohn Apollos freundlich entgegen, nahm sich bei wiederholtem Unwohlsein seiner
Pflege nach Frauenart an; er fühlte sich auch sonst zu ihr hingezogen und so ent¬
stand der kleine Briefwechsel, welcher von ihrem freundschaftlichen Verkehr ein an¬
sprechendes Zeugniß ablegt und zu dessen Verständniß e-s keiner weiteren Erörterung
bedarf.

Teplitz, am 16. September 1812.

Tyrann ich ?! Ihr Tyrann ! Nur Mißdeutung kann Sie dies sa¬
gen lassen, wie wenn eben dieses ihr Urtheil keine Uebereinstimmung mit
mir andeuten! Nicht Tadel deswegen; es wäre eher Glück für Sie. --
Ich befand mich seit gestern schon nicht ganz wohl, seit diesem Morgen
äußerte sich's stärker; etwas Unverdauliches für mich genossen ist die Ursache
davon, und die reizbare Natur in mir ergreift ebenso das schlechte als gute, wie
es scheint; wenden Sie dies jedoch nicht auf meine moralische Natur an. Die
Leute sagen.nichts, es sind nur Leute; sie sehen sich meistens in Andern nur selbst
und das ist eben nichts; fort damit, das gute Schone braucht keine Leute. Es ist
ohne alle andere Beihülfe da und das scheint denn doch der Grund unseres Zusammen-
haltens zu sein. -- Leben Sie wohl liebe Amalie. Scheint mir der Mond heute
Abend heiterer als den Tag durch die Sonne, so sehen Sie den kleinsten kleinsten
aller Menschen bey Sich.

Ihr Freund
Beethoven.

Liebe gute Amalie. Seit ich gestern von Ihnen ging, verschlimmerte sich mein
Zustand und seit gestern Abend bis jetzt verließ ich noch nicht das Bette, ich wollte
Ihnen heute Nachricht geben und glaubte dann wieder mich dadurch Ihnen so wichtig
scheinen machen zu wollen so ließ ich es sein. -- Was träumen Sie, daß Sie mir
nichts sein können? mündlich wollen wir darüber, liebe Amalie, reden; immer
wünschte ich nur, daß Ihnen meine Gegenwart Ruhe und Frieden einflößte, und
daß sie zutraulich gegen mich wären; Ich hoffe mich morgen besser zu befinden und
einige Stunden werden uns noch da während Ihrer Anwesenheit übrig bleiben, in
der Natur uns beide wechselseitig zu erheben und zu erheitern. --Gute Nacht, liebe
Amalie, recht viel Dank für die Beweise Ihrer Gesinnungen für Ihren Freund


Beethoven.

In Tiedge will ich blättern.

Ich melde Ihnen nur, daß der Tyrann ganz sklavisch an das Bett gefesselt
ist -- so ist es! Ich werde froh sein, wenn ich nur noch mit dem Verlust des
heutigen Tages durchkomme. Mein gestriger Spaziergang bei Anbruch des Tages
in den Wäldern, wo es sehr neblicht war, hat meine Unpäßlichkeit vergrößert und
vielleicht meine Besserung erschwert. Tummeln Sie sich derweil mit Russen, Lap-
ländern, Scnnojcdeu :c. herum und singen Sie nicht zu sehr das Lied, "Es lebe hoch."


Ihr Freund Beethoven.

Befehl, Ja Ja Ja! geschwinde — sonst kommt der Zorn bis nach Ofen. Das üb¬
rige wegen der Rückreise macht sich bald.

Zwar mußte er schließlich ohne Graf Brunswick nach Töplitz reisen, dort
lernte er aber ein Fräulein Amalie Sebald kennen, welche als Gesellschafterin
einer vornehmen fremden Familie dort sich aushielt. Sie kam dem unbehülflichen
Sohn Apollos freundlich entgegen, nahm sich bei wiederholtem Unwohlsein seiner
Pflege nach Frauenart an; er fühlte sich auch sonst zu ihr hingezogen und so ent¬
stand der kleine Briefwechsel, welcher von ihrem freundschaftlichen Verkehr ein an¬
sprechendes Zeugniß ablegt und zu dessen Verständniß e-s keiner weiteren Erörterung
bedarf.

Teplitz, am 16. September 1812.

Tyrann ich ?! Ihr Tyrann ! Nur Mißdeutung kann Sie dies sa¬
gen lassen, wie wenn eben dieses ihr Urtheil keine Uebereinstimmung mit
mir andeuten! Nicht Tadel deswegen; es wäre eher Glück für Sie. —
Ich befand mich seit gestern schon nicht ganz wohl, seit diesem Morgen
äußerte sich's stärker; etwas Unverdauliches für mich genossen ist die Ursache
davon, und die reizbare Natur in mir ergreift ebenso das schlechte als gute, wie
es scheint; wenden Sie dies jedoch nicht auf meine moralische Natur an. Die
Leute sagen.nichts, es sind nur Leute; sie sehen sich meistens in Andern nur selbst
und das ist eben nichts; fort damit, das gute Schone braucht keine Leute. Es ist
ohne alle andere Beihülfe da und das scheint denn doch der Grund unseres Zusammen-
haltens zu sein. — Leben Sie wohl liebe Amalie. Scheint mir der Mond heute
Abend heiterer als den Tag durch die Sonne, so sehen Sie den kleinsten kleinsten
aller Menschen bey Sich.

Ihr Freund
Beethoven.

Liebe gute Amalie. Seit ich gestern von Ihnen ging, verschlimmerte sich mein
Zustand und seit gestern Abend bis jetzt verließ ich noch nicht das Bette, ich wollte
Ihnen heute Nachricht geben und glaubte dann wieder mich dadurch Ihnen so wichtig
scheinen machen zu wollen so ließ ich es sein. — Was träumen Sie, daß Sie mir
nichts sein können? mündlich wollen wir darüber, liebe Amalie, reden; immer
wünschte ich nur, daß Ihnen meine Gegenwart Ruhe und Frieden einflößte, und
daß sie zutraulich gegen mich wären; Ich hoffe mich morgen besser zu befinden und
einige Stunden werden uns noch da während Ihrer Anwesenheit übrig bleiben, in
der Natur uns beide wechselseitig zu erheben und zu erheitern. —Gute Nacht, liebe
Amalie, recht viel Dank für die Beweise Ihrer Gesinnungen für Ihren Freund


Beethoven.

In Tiedge will ich blättern.

Ich melde Ihnen nur, daß der Tyrann ganz sklavisch an das Bett gefesselt
ist — so ist es! Ich werde froh sein, wenn ich nur noch mit dem Verlust des
heutigen Tages durchkomme. Mein gestriger Spaziergang bei Anbruch des Tages
in den Wäldern, wo es sehr neblicht war, hat meine Unpäßlichkeit vergrößert und
vielleicht meine Besserung erschwert. Tummeln Sie sich derweil mit Russen, Lap-
ländern, Scnnojcdeu :c. herum und singen Sie nicht zu sehr das Lied, „Es lebe hoch."


Ihr Freund Beethoven.
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[0248] Befehl, Ja Ja Ja! geschwinde — sonst kommt der Zorn bis nach Ofen. Das üb¬ rige wegen der Rückreise macht sich bald. Zwar mußte er schließlich ohne Graf Brunswick nach Töplitz reisen, dort lernte er aber ein Fräulein Amalie Sebald kennen, welche als Gesellschafterin einer vornehmen fremden Familie dort sich aushielt. Sie kam dem unbehülflichen Sohn Apollos freundlich entgegen, nahm sich bei wiederholtem Unwohlsein seiner Pflege nach Frauenart an; er fühlte sich auch sonst zu ihr hingezogen und so ent¬ stand der kleine Briefwechsel, welcher von ihrem freundschaftlichen Verkehr ein an¬ sprechendes Zeugniß ablegt und zu dessen Verständniß e-s keiner weiteren Erörterung bedarf. Teplitz, am 16. September 1812. Tyrann ich ?! Ihr Tyrann ! Nur Mißdeutung kann Sie dies sa¬ gen lassen, wie wenn eben dieses ihr Urtheil keine Uebereinstimmung mit mir andeuten! Nicht Tadel deswegen; es wäre eher Glück für Sie. — Ich befand mich seit gestern schon nicht ganz wohl, seit diesem Morgen äußerte sich's stärker; etwas Unverdauliches für mich genossen ist die Ursache davon, und die reizbare Natur in mir ergreift ebenso das schlechte als gute, wie es scheint; wenden Sie dies jedoch nicht auf meine moralische Natur an. Die Leute sagen.nichts, es sind nur Leute; sie sehen sich meistens in Andern nur selbst und das ist eben nichts; fort damit, das gute Schone braucht keine Leute. Es ist ohne alle andere Beihülfe da und das scheint denn doch der Grund unseres Zusammen- haltens zu sein. — Leben Sie wohl liebe Amalie. Scheint mir der Mond heute Abend heiterer als den Tag durch die Sonne, so sehen Sie den kleinsten kleinsten aller Menschen bey Sich. Ihr Freund Beethoven. Liebe gute Amalie. Seit ich gestern von Ihnen ging, verschlimmerte sich mein Zustand und seit gestern Abend bis jetzt verließ ich noch nicht das Bette, ich wollte Ihnen heute Nachricht geben und glaubte dann wieder mich dadurch Ihnen so wichtig scheinen machen zu wollen so ließ ich es sein. — Was träumen Sie, daß Sie mir nichts sein können? mündlich wollen wir darüber, liebe Amalie, reden; immer wünschte ich nur, daß Ihnen meine Gegenwart Ruhe und Frieden einflößte, und daß sie zutraulich gegen mich wären; Ich hoffe mich morgen besser zu befinden und einige Stunden werden uns noch da während Ihrer Anwesenheit übrig bleiben, in der Natur uns beide wechselseitig zu erheben und zu erheitern. —Gute Nacht, liebe Amalie, recht viel Dank für die Beweise Ihrer Gesinnungen für Ihren Freund Beethoven. In Tiedge will ich blättern. Ich melde Ihnen nur, daß der Tyrann ganz sklavisch an das Bett gefesselt ist — so ist es! Ich werde froh sein, wenn ich nur noch mit dem Verlust des heutigen Tages durchkomme. Mein gestriger Spaziergang bei Anbruch des Tages in den Wäldern, wo es sehr neblicht war, hat meine Unpäßlichkeit vergrößert und vielleicht meine Besserung erschwert. Tummeln Sie sich derweil mit Russen, Lap- ländern, Scnnojcdeu :c. herum und singen Sie nicht zu sehr das Lied, „Es lebe hoch." Ihr Freund Beethoven.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/248>, abgerufen am 22.12.2024.