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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Welchen Entschluß aber nun fassen? Huber kam 29. Den. bei seinem
Hof darum ein, ihn von Frankfurt entweder nach Dresden zurückzurufen,
oder ihn in Erfurt beim Coadjutor zu accreditiren. Noch schwankte er also;
da verließ Therese Straßburg, um nach Neufchatel zu gehn. "So wunder¬
bar," erzählt sie selbst, "spann das Schicksal den Faden von seinem Leben
fort, daß es schwer zu unterscheiden war, wo es ihn unbewußt fortriß oder
wo er es selbst bereitete. So reiften die Umstände, welche es ihm zur Pflicht
machten, seine ganze Zukunft zu dem einzigen Zweck zu verwenden, der Ver¬
sorger der Familie seines unglücklichen Freundes zu sein. Er täuschte sich
über keine Folge dieses Schritts, er sah ihnen muthig und mit Ergebung
entgegen. Die unerwartetsten Vorfälle hatten diese Entwicklung in wenigen
Wochen herbeigeführt, und er opferte sein bürgerliches Glück, seiue Freunde,
er weihte ein ganzes Leben, um seiner würdig den kühn aus sich genommenen
Beruf zu erfüllen. "Er erwartete," setzt sie später hinzu, "bei wichtigen
Dingen gleichsam die Einwirkung einer höhern Macht; er konnte mit beson¬
derer Rührung bei dem Begriff der Alten vom Schicksal stehn bleiben. Sein
Wille war selten eine Anregung für ihn; aber entschieden die Umstände bis
zum Müssen, so wollte er dann, was er mußte, mit rastloser Kraft." --
Den 15. Februar 1793 erhielt er Urlaub; den 26. Februar schickte er seinen
Eltern einen Brief von Therese mit der Nachricht seines Borhabens; im März
traf er in Leipzig ein, wo er seine Eltern sehr gealtert fand; in der Mitte
April in Dresden. Die Männer, durch welche sein Abschiedsgesuch an den
Kurfürsten kommen mußte, fanden seinen Schritt so unbegreiflich, daß man
ihm von allen Seiten abrieth. Da er die geheime Ursache verschwieg, mußte
er phantastisch, ja vielleicht erst durch diesen Schritt verdächtig erscheinen.
Bis zu Ende Mai 1793 hatte er noch keine Antwort vom Hof; nun wagte
er endlich einer vertrauten Person des Cabinets die Ursache zu entdecken,
welche ihn nöthigte, auf alle Fälle und ohne Aufschub ins Ausland zu reisen.
Dies Schreiben verfehlte seine Wirkung nicht, er erhielt seinen Abschied und
vereinigte sich schleunigst in Neufchatel mit Therese.

(Schluß im nächsten Heft).




Welchen Entschluß aber nun fassen? Huber kam 29. Den. bei seinem
Hof darum ein, ihn von Frankfurt entweder nach Dresden zurückzurufen,
oder ihn in Erfurt beim Coadjutor zu accreditiren. Noch schwankte er also;
da verließ Therese Straßburg, um nach Neufchatel zu gehn. „So wunder¬
bar," erzählt sie selbst, „spann das Schicksal den Faden von seinem Leben
fort, daß es schwer zu unterscheiden war, wo es ihn unbewußt fortriß oder
wo er es selbst bereitete. So reiften die Umstände, welche es ihm zur Pflicht
machten, seine ganze Zukunft zu dem einzigen Zweck zu verwenden, der Ver¬
sorger der Familie seines unglücklichen Freundes zu sein. Er täuschte sich
über keine Folge dieses Schritts, er sah ihnen muthig und mit Ergebung
entgegen. Die unerwartetsten Vorfälle hatten diese Entwicklung in wenigen
Wochen herbeigeführt, und er opferte sein bürgerliches Glück, seiue Freunde,
er weihte ein ganzes Leben, um seiner würdig den kühn aus sich genommenen
Beruf zu erfüllen. „Er erwartete," setzt sie später hinzu, „bei wichtigen
Dingen gleichsam die Einwirkung einer höhern Macht; er konnte mit beson¬
derer Rührung bei dem Begriff der Alten vom Schicksal stehn bleiben. Sein
Wille war selten eine Anregung für ihn; aber entschieden die Umstände bis
zum Müssen, so wollte er dann, was er mußte, mit rastloser Kraft." —
Den 15. Februar 1793 erhielt er Urlaub; den 26. Februar schickte er seinen
Eltern einen Brief von Therese mit der Nachricht seines Borhabens; im März
traf er in Leipzig ein, wo er seine Eltern sehr gealtert fand; in der Mitte
April in Dresden. Die Männer, durch welche sein Abschiedsgesuch an den
Kurfürsten kommen mußte, fanden seinen Schritt so unbegreiflich, daß man
ihm von allen Seiten abrieth. Da er die geheime Ursache verschwieg, mußte
er phantastisch, ja vielleicht erst durch diesen Schritt verdächtig erscheinen.
Bis zu Ende Mai 1793 hatte er noch keine Antwort vom Hof; nun wagte
er endlich einer vertrauten Person des Cabinets die Ursache zu entdecken,
welche ihn nöthigte, auf alle Fälle und ohne Aufschub ins Ausland zu reisen.
Dies Schreiben verfehlte seine Wirkung nicht, er erhielt seinen Abschied und
vereinigte sich schleunigst in Neufchatel mit Therese.

(Schluß im nächsten Heft).




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[0232] Welchen Entschluß aber nun fassen? Huber kam 29. Den. bei seinem Hof darum ein, ihn von Frankfurt entweder nach Dresden zurückzurufen, oder ihn in Erfurt beim Coadjutor zu accreditiren. Noch schwankte er also; da verließ Therese Straßburg, um nach Neufchatel zu gehn. „So wunder¬ bar," erzählt sie selbst, „spann das Schicksal den Faden von seinem Leben fort, daß es schwer zu unterscheiden war, wo es ihn unbewußt fortriß oder wo er es selbst bereitete. So reiften die Umstände, welche es ihm zur Pflicht machten, seine ganze Zukunft zu dem einzigen Zweck zu verwenden, der Ver¬ sorger der Familie seines unglücklichen Freundes zu sein. Er täuschte sich über keine Folge dieses Schritts, er sah ihnen muthig und mit Ergebung entgegen. Die unerwartetsten Vorfälle hatten diese Entwicklung in wenigen Wochen herbeigeführt, und er opferte sein bürgerliches Glück, seiue Freunde, er weihte ein ganzes Leben, um seiner würdig den kühn aus sich genommenen Beruf zu erfüllen. „Er erwartete," setzt sie später hinzu, „bei wichtigen Dingen gleichsam die Einwirkung einer höhern Macht; er konnte mit beson¬ derer Rührung bei dem Begriff der Alten vom Schicksal stehn bleiben. Sein Wille war selten eine Anregung für ihn; aber entschieden die Umstände bis zum Müssen, so wollte er dann, was er mußte, mit rastloser Kraft." — Den 15. Februar 1793 erhielt er Urlaub; den 26. Februar schickte er seinen Eltern einen Brief von Therese mit der Nachricht seines Borhabens; im März traf er in Leipzig ein, wo er seine Eltern sehr gealtert fand; in der Mitte April in Dresden. Die Männer, durch welche sein Abschiedsgesuch an den Kurfürsten kommen mußte, fanden seinen Schritt so unbegreiflich, daß man ihm von allen Seiten abrieth. Da er die geheime Ursache verschwieg, mußte er phantastisch, ja vielleicht erst durch diesen Schritt verdächtig erscheinen. Bis zu Ende Mai 1793 hatte er noch keine Antwort vom Hof; nun wagte er endlich einer vertrauten Person des Cabinets die Ursache zu entdecken, welche ihn nöthigte, auf alle Fälle und ohne Aufschub ins Ausland zu reisen. Dies Schreiben verfehlte seine Wirkung nicht, er erhielt seinen Abschied und vereinigte sich schleunigst in Neufchatel mit Therese. (Schluß im nächsten Heft).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/232>, abgerufen am 22.12.2024.