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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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blick dieser harmlosen Zustände war Goethes Besuch in Mainz. Aug. 1792. "Er
war gesellschaftlich lustig, und ich bin in dieser Hinsicht sehr von ihm erbaut ge¬
wesen. Uebrigens treibt er das Vermeiden aller Individualität im Umgang
bis zum Lächerlichen. -- Die ihn früher kannten, finden, daß seine Physiog¬
nomie etwas ausgezeichnet Sinnliches und Erschlafftes bekommen hat. Zugleich
scheint er Politica im Kopfe zu haben, wozu ich ihm denn von Herzen gra-
tulire. Indessen freute mich, nachdem der erste Anfall von zurückstoßender
Steifigkeit vorbei war. die milde Leichtigkeit und der Schein von Anspruchs¬
losigkeit in seinem gesellschaftlichen Ton. Den ersten Abend wurden wir alle
durch guten Wein gestimmt, er war wirklich lebhast; wenn er launig kräftig
etwas auseinandersetzte, machte es mir vielen Spaß, seine Mutter ganz in
ihm wiederzufinden . . . An Begeisterung für ein höheres Ziel glaube ich in
Goethe nicht mehr, sondern an das Studium einer gewissen weisen Sinnlich¬
keit, deren Ideal er vorzüglich in Italien zusammengebraut haben mag, und
in welche dann mannigfaltige, und gegen seinen ehemaligen Geist oberfläch¬
liche Beschäftigungen mit wissenschaftlichen und andern vorhandenen Gegen¬
ständen mit einschlagen. Vielleicht hat er Recht, vielleicht auch nicht."

Forster und Huber lebten in der sonderbarsten Sorglosigkeit in Bezug auf
den Einfluß, den die öffentlichen Angelegenheiten auch auf sie haben mußten.
Sie berechneten ihre Wirkung auf künftige Geschlechter, und waren nur im
Allgemeinen bereit, der Zukunft der Menschheit jedes beliebige Opfer zu brin¬
gen. Hubers immer wachsende Liebe zu Therese drohte schon damals, ihn
w das Verhängniß seiner Freunde zu reißen. Als im Anfang October die
Franzosen Speyer und Worms besetzten, verließ er mit allen übrigen Personen
der fremden Gesandtschaften die Stadt, um in Frankfurt die weitern Verfü¬
gungen seines Hofes abzuwarten und den Fortgang der Begebenheiten zu
beobachten. Einige Wochen verflossen, die französischen Truppen rückten kei¬
nen Schritt weiter; Forster schrieb täglich seinem Freund nach Frankfurt, und
lag ihm an, da sein Hof gar nichts von sich hören ließe, nach Mainz zurück¬
zukehren. Huber stand lange an; endlich folgte er dem Drang seines Her¬
zens (Anfang November): eine Unbesonnenheit, die um so ärger war, da
sich Förster bereits den Cwbbisten angeschlossen hatte. - Er erhielt einen ernsten
Verweis und den Besehl, nach Frankfurt zurückzukehren. Vergebens suchte er
auch Forster zu entführen. "Meine Seele hat keinen ruhigen Augenblick,"
schrieb er an seine Eltern 5. Dec. "die Gegenwart drückt mich nieder,
allein ich will sie ertragen. Die Zukunft ist in meinem Gemüth fest be¬
schlossen, und ich werde für sie kein Opfer achten." Zwar setzt er 12. Dec.
hinzu: "ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, meine Pläne sind in meinem
Innern verschlossen!" Aber das war nicht genau: Therese hatte am 7. Dec.
Mainz verlassen, und Huber hatte sich verpflichtet, für sie zu sorgen.


blick dieser harmlosen Zustände war Goethes Besuch in Mainz. Aug. 1792. „Er
war gesellschaftlich lustig, und ich bin in dieser Hinsicht sehr von ihm erbaut ge¬
wesen. Uebrigens treibt er das Vermeiden aller Individualität im Umgang
bis zum Lächerlichen. — Die ihn früher kannten, finden, daß seine Physiog¬
nomie etwas ausgezeichnet Sinnliches und Erschlafftes bekommen hat. Zugleich
scheint er Politica im Kopfe zu haben, wozu ich ihm denn von Herzen gra-
tulire. Indessen freute mich, nachdem der erste Anfall von zurückstoßender
Steifigkeit vorbei war. die milde Leichtigkeit und der Schein von Anspruchs¬
losigkeit in seinem gesellschaftlichen Ton. Den ersten Abend wurden wir alle
durch guten Wein gestimmt, er war wirklich lebhast; wenn er launig kräftig
etwas auseinandersetzte, machte es mir vielen Spaß, seine Mutter ganz in
ihm wiederzufinden . . . An Begeisterung für ein höheres Ziel glaube ich in
Goethe nicht mehr, sondern an das Studium einer gewissen weisen Sinnlich¬
keit, deren Ideal er vorzüglich in Italien zusammengebraut haben mag, und
in welche dann mannigfaltige, und gegen seinen ehemaligen Geist oberfläch¬
liche Beschäftigungen mit wissenschaftlichen und andern vorhandenen Gegen¬
ständen mit einschlagen. Vielleicht hat er Recht, vielleicht auch nicht."

Forster und Huber lebten in der sonderbarsten Sorglosigkeit in Bezug auf
den Einfluß, den die öffentlichen Angelegenheiten auch auf sie haben mußten.
Sie berechneten ihre Wirkung auf künftige Geschlechter, und waren nur im
Allgemeinen bereit, der Zukunft der Menschheit jedes beliebige Opfer zu brin¬
gen. Hubers immer wachsende Liebe zu Therese drohte schon damals, ihn
w das Verhängniß seiner Freunde zu reißen. Als im Anfang October die
Franzosen Speyer und Worms besetzten, verließ er mit allen übrigen Personen
der fremden Gesandtschaften die Stadt, um in Frankfurt die weitern Verfü¬
gungen seines Hofes abzuwarten und den Fortgang der Begebenheiten zu
beobachten. Einige Wochen verflossen, die französischen Truppen rückten kei¬
nen Schritt weiter; Forster schrieb täglich seinem Freund nach Frankfurt, und
lag ihm an, da sein Hof gar nichts von sich hören ließe, nach Mainz zurück¬
zukehren. Huber stand lange an; endlich folgte er dem Drang seines Her¬
zens (Anfang November): eine Unbesonnenheit, die um so ärger war, da
sich Förster bereits den Cwbbisten angeschlossen hatte. - Er erhielt einen ernsten
Verweis und den Besehl, nach Frankfurt zurückzukehren. Vergebens suchte er
auch Forster zu entführen. „Meine Seele hat keinen ruhigen Augenblick,"
schrieb er an seine Eltern 5. Dec. „die Gegenwart drückt mich nieder,
allein ich will sie ertragen. Die Zukunft ist in meinem Gemüth fest be¬
schlossen, und ich werde für sie kein Opfer achten." Zwar setzt er 12. Dec.
hinzu: „ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, meine Pläne sind in meinem
Innern verschlossen!" Aber das war nicht genau: Therese hatte am 7. Dec.
Mainz verlassen, und Huber hatte sich verpflichtet, für sie zu sorgen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/231>, abgerufen am 22.12.2024.