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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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auch nicht sehr warm. Die letzte Recension, die Heyne zugeschrieben wurde,
war von Schlegel. Schiller schrieb bereits Nov. 1788 an Körner: "Ueber
Hubers dramatischen Beruf bin ich nicht mit dir einig. Ich komme darauf
zurück, was ich dir. glaube ich, und auch ihm schon gesagt habe: er hat keinen
dramatischen Stil, im Plan ist er glücklicher. Sein Fehler ist, daß er sich
über einen Gedanken ganz ausschüttet, und das soll man nie. Die Scenen
aus dem heimlichen Gericht gefallen mir weniger, je mehr ich sie lese, weil
sie keinen Gedanken im Rückhalt haben, den sie nicht aussagen; kurz weil sie er¬
staunlich wortreich sind. Ich glaube nicht, daß Huber viel im Dramatischen leisten
wird, und es sollte mir leid thun, wenn er dieses zu spät bemerkte, und seine
Fähigkeiten von einem dankbareren Fach ablenkte. Freilich ist mir diese Be¬
schäftigung bei ihm lieber als keine, aber muß denn just diese Alternative
kein?" Huber schrieb noch vier Jahre nach Vollendung des Stücks an eine
geistreiche Freundin: "je mehr ich mich von der Zeit, wo ich das heimliche
Gericht dichtete, entferne, je mehr finde ich, daß ich damals sehr gut wußte,
was ich wollte. Wie ich letzthin aufmerksam es wieder las, habe ich mich
sogar überzeugt, daß der Plan und die Anordnung des Stücks nach ziemlich
guten Grundsätzen gemacht sei. Allein es hat wenig Schattirung in den
Charakteren oder vielmehr nur Philosophie über die Charaktere, wenig Ein¬
fachheit, viel zu viel Ueberfluß in der Ausmalerei. Die hauptsächlichsten Ideen
sind auf tausendfache Weise variirt und mühselig ausgearbeitet, anstatt con-
centrirt zu sein und mächtig und mit Glanz hervorzutreten."

Das Stück spielt in den Zeiten Kaiser Karl des Vierten. Ein Ritter,
von Thatendrang verzehrt und ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen, wird von
den Mitgliedern des Vehmgerichts überredet, ihrem Bund beizutreten, welcher
sich die Aufgabe gestellt hat, die Verbrechen auf Erden auszumitteln und zu
bestrafen. Er leistet den Eid, in der Verfolgung dieses Bestrebens sich durch
keine persönlichen Beziehungen irren zu lassen. Nun entdeckt er in seinem
theuersten Freund einen heimlichen Verbrecher und so kommt seine Pflicht mit
seinem Herzen in Conflict. Zugleich findet er, daß der an sich gute Zweck
des Ordens, weil er sich bedenklicher Mittel bedienen muß. schlechten, ja gemei¬
nen Interessen dient, und diese Entdeckung, die ihn zum Selbstmord treibt,
wachen gleichzeitig' noch einige von den wichtigsten Ordensgliedern. Man sieht,'
^ ist dieselbe Moral, die Schiller in den Briefen über Don Carlos predigt:
die Abstraction der Tugend, die sich der natürlichen Grenzen und Beziehungen
entschlage, führt zu den bedenklichsten Abwegen. Liest man das Stück un¬
befangen, so wirft man es mit den übrigen Ritter- und Räuberstücken in eine
Classe, man findet einige nicht ungeschickte Wirkungen darin, das Ganze er¬
scheint trocken und ziemlich gehaltlos. Liest man dagegen die Briefe an Körner,
so erstaunt man über die Menge von Feinheiten, die Huber darin hat ein-


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auch nicht sehr warm. Die letzte Recension, die Heyne zugeschrieben wurde,
war von Schlegel. Schiller schrieb bereits Nov. 1788 an Körner: „Ueber
Hubers dramatischen Beruf bin ich nicht mit dir einig. Ich komme darauf
zurück, was ich dir. glaube ich, und auch ihm schon gesagt habe: er hat keinen
dramatischen Stil, im Plan ist er glücklicher. Sein Fehler ist, daß er sich
über einen Gedanken ganz ausschüttet, und das soll man nie. Die Scenen
aus dem heimlichen Gericht gefallen mir weniger, je mehr ich sie lese, weil
sie keinen Gedanken im Rückhalt haben, den sie nicht aussagen; kurz weil sie er¬
staunlich wortreich sind. Ich glaube nicht, daß Huber viel im Dramatischen leisten
wird, und es sollte mir leid thun, wenn er dieses zu spät bemerkte, und seine
Fähigkeiten von einem dankbareren Fach ablenkte. Freilich ist mir diese Be¬
schäftigung bei ihm lieber als keine, aber muß denn just diese Alternative
kein?" Huber schrieb noch vier Jahre nach Vollendung des Stücks an eine
geistreiche Freundin: „je mehr ich mich von der Zeit, wo ich das heimliche
Gericht dichtete, entferne, je mehr finde ich, daß ich damals sehr gut wußte,
was ich wollte. Wie ich letzthin aufmerksam es wieder las, habe ich mich
sogar überzeugt, daß der Plan und die Anordnung des Stücks nach ziemlich
guten Grundsätzen gemacht sei. Allein es hat wenig Schattirung in den
Charakteren oder vielmehr nur Philosophie über die Charaktere, wenig Ein¬
fachheit, viel zu viel Ueberfluß in der Ausmalerei. Die hauptsächlichsten Ideen
sind auf tausendfache Weise variirt und mühselig ausgearbeitet, anstatt con-
centrirt zu sein und mächtig und mit Glanz hervorzutreten."

Das Stück spielt in den Zeiten Kaiser Karl des Vierten. Ein Ritter,
von Thatendrang verzehrt und ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen, wird von
den Mitgliedern des Vehmgerichts überredet, ihrem Bund beizutreten, welcher
sich die Aufgabe gestellt hat, die Verbrechen auf Erden auszumitteln und zu
bestrafen. Er leistet den Eid, in der Verfolgung dieses Bestrebens sich durch
keine persönlichen Beziehungen irren zu lassen. Nun entdeckt er in seinem
theuersten Freund einen heimlichen Verbrecher und so kommt seine Pflicht mit
seinem Herzen in Conflict. Zugleich findet er, daß der an sich gute Zweck
des Ordens, weil er sich bedenklicher Mittel bedienen muß. schlechten, ja gemei¬
nen Interessen dient, und diese Entdeckung, die ihn zum Selbstmord treibt,
wachen gleichzeitig' noch einige von den wichtigsten Ordensgliedern. Man sieht,'
^ ist dieselbe Moral, die Schiller in den Briefen über Don Carlos predigt:
die Abstraction der Tugend, die sich der natürlichen Grenzen und Beziehungen
entschlage, führt zu den bedenklichsten Abwegen. Liest man das Stück un¬
befangen, so wirft man es mit den übrigen Ritter- und Räuberstücken in eine
Classe, man findet einige nicht ungeschickte Wirkungen darin, das Ganze er¬
scheint trocken und ziemlich gehaltlos. Liest man dagegen die Briefe an Körner,
so erstaunt man über die Menge von Feinheiten, die Huber darin hat ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/221>, abgerufen am 22.12.2024.