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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Lage war seiner angebornen Passivität angemessen. Der Vergleichspunkte
mit sich und andern werden zu viele abgeschnitten, man ist'an die Form der
Menschen, die man immer sieht, zu sehr gewöhnt; man vergißt endlich, was
nicht schön an ihr ist, und andere Menschen mißfallen uns, weil ihre Form
verschieden ist. Wir selbst machen auf unsern täglichen Umgang denselben
Eindruck; man findet uns ganz gut, so wie wir sind; wir brauchen nicht
liebenswürdiger zu werden, um zu gefallen. Man bildet sich seinen eignen'
Ausdruck, Redensarten, Jdeengang, und scheint nachher andern sonderbar.
Huber war mit seinen fortwährenden Citaten aus dramatischen und lyrischen
Dichtern für die Mainzer' ein ungeschickter Gesellschafter. Wenn nicht die
französische Sprachgewandtheit ihn gerettet Hütte, würde man ihm eine Art
Geniewesen haben vorwerfen mögen, wie es bei jungen Männern ist, welche
etwas viel in der poetischen Welt leben. Aus Ueberdruß an der gebildeten
Gesellschaft ließ er sich mit Schauspielern und jungen Rou6s von der Aristo¬
kratie ein, spielte viel und verlor. Dabei hatte er das Gefühl, daß sein
Umgang seiner nicht würdig war; man scheint ihn selbst von obenher ernst¬
lich gewarnt zu haben vor Illuminaten und östreichischen Spionen. -- Sein
Urtheil über die Mainzer Kreise war scharf, aber'nicht unrichtig, z. B. über
den Kurfürsten: "sein Antheil am Fürstenbunde ist eine Puppe, mit der er
für sein Leben gern spielt; der verstorbene König hat ihn zum Narren gehabt
und mit hohen Begriffen von seiner Wichtigkeit gekirrt. Das System der
andern unirten Hofe bringt ihn dergestalt i" ihre Mitte, daß er fast ganz
allein thätig scheint, immer angibt und spornt, aber sans eousöqmenee; denn
er ist sehr wollüstig und faul und würde selbst sehr angeführt sein, wenn es
wirklich viel zu thun gäbe." -- Am drückendsten war Huber die damals sehr
allgemeine Empfindung, daß ein freier Geist doch eigentlich nicht für das
Joch des Staatsdienstes gemacht sei. "Wir mögen es drehen und idealisiren
wie wir wollen," schreibt er 24. Mai Z788, "unsere Bestimmung ist es nicht,
dem Staat zu stöhnen und die Steine zusammenzutragen, daß andere nach
ihrem oft so verkehrten Geschmack Häuser darauf bauen. . . Und am Ende,
so erniedrigend.auch meine jetzige bloße Copistenarbeit ist, ich weiß doch nicht,
ob der Mittelzustand nicht noch fataler ist, wo man an ein ganz klein
Bischen Wirksamkeit ein ganz klein Bischen Geist wenden muß. Diese
Schnürbrust, in die der Staat seine Diener preßt, kann oft den gesundesten
Geist zum Krüppel machen. Die blos mechanische Arbeit, ist darum weniger
gefährlich, weil der Kopf dabei ganz auf die Seite geschafft werden kann.
Auf jeden Fall ist Resignation das Beste, und daneben zu trachten, daß man
eignen Werth nicht positiv verliert." -- 23. Juni. "Ein Hauptpunkt ist:
Ende dieser Laufbahn steht nach fünf, sechs Jahren ein jährliches sicheres
Auskommen, und es ist eine Thorheit, das zu verscherzen. . . Natur und Kunst


Lage war seiner angebornen Passivität angemessen. Der Vergleichspunkte
mit sich und andern werden zu viele abgeschnitten, man ist'an die Form der
Menschen, die man immer sieht, zu sehr gewöhnt; man vergißt endlich, was
nicht schön an ihr ist, und andere Menschen mißfallen uns, weil ihre Form
verschieden ist. Wir selbst machen auf unsern täglichen Umgang denselben
Eindruck; man findet uns ganz gut, so wie wir sind; wir brauchen nicht
liebenswürdiger zu werden, um zu gefallen. Man bildet sich seinen eignen'
Ausdruck, Redensarten, Jdeengang, und scheint nachher andern sonderbar.
Huber war mit seinen fortwährenden Citaten aus dramatischen und lyrischen
Dichtern für die Mainzer' ein ungeschickter Gesellschafter. Wenn nicht die
französische Sprachgewandtheit ihn gerettet Hütte, würde man ihm eine Art
Geniewesen haben vorwerfen mögen, wie es bei jungen Männern ist, welche
etwas viel in der poetischen Welt leben. Aus Ueberdruß an der gebildeten
Gesellschaft ließ er sich mit Schauspielern und jungen Rou6s von der Aristo¬
kratie ein, spielte viel und verlor. Dabei hatte er das Gefühl, daß sein
Umgang seiner nicht würdig war; man scheint ihn selbst von obenher ernst¬
lich gewarnt zu haben vor Illuminaten und östreichischen Spionen. — Sein
Urtheil über die Mainzer Kreise war scharf, aber'nicht unrichtig, z. B. über
den Kurfürsten: „sein Antheil am Fürstenbunde ist eine Puppe, mit der er
für sein Leben gern spielt; der verstorbene König hat ihn zum Narren gehabt
und mit hohen Begriffen von seiner Wichtigkeit gekirrt. Das System der
andern unirten Hofe bringt ihn dergestalt i« ihre Mitte, daß er fast ganz
allein thätig scheint, immer angibt und spornt, aber sans eousöqmenee; denn
er ist sehr wollüstig und faul und würde selbst sehr angeführt sein, wenn es
wirklich viel zu thun gäbe." — Am drückendsten war Huber die damals sehr
allgemeine Empfindung, daß ein freier Geist doch eigentlich nicht für das
Joch des Staatsdienstes gemacht sei. „Wir mögen es drehen und idealisiren
wie wir wollen," schreibt er 24. Mai Z788, „unsere Bestimmung ist es nicht,
dem Staat zu stöhnen und die Steine zusammenzutragen, daß andere nach
ihrem oft so verkehrten Geschmack Häuser darauf bauen. . . Und am Ende,
so erniedrigend.auch meine jetzige bloße Copistenarbeit ist, ich weiß doch nicht,
ob der Mittelzustand nicht noch fataler ist, wo man an ein ganz klein
Bischen Wirksamkeit ein ganz klein Bischen Geist wenden muß. Diese
Schnürbrust, in die der Staat seine Diener preßt, kann oft den gesundesten
Geist zum Krüppel machen. Die blos mechanische Arbeit, ist darum weniger
gefährlich, weil der Kopf dabei ganz auf die Seite geschafft werden kann.
Auf jeden Fall ist Resignation das Beste, und daneben zu trachten, daß man
eignen Werth nicht positiv verliert." — 23. Juni. „Ein Hauptpunkt ist:
Ende dieser Laufbahn steht nach fünf, sechs Jahren ein jährliches sicheres
Auskommen, und es ist eine Thorheit, das zu verscherzen. . . Natur und Kunst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/218>, abgerufen am 22.12.2024.