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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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gunst nicht zu Wege brachte, gelang ungewollt einer mächtigen Persönlichkeit.
Sobald Goethe auftritt, sehen wir einen nach dem andern jener excentrischen
Kometen sich dieser Sonne anschließen, sie bald in näheren bald in ferneren
Bahnen umkreisen, bis endlich auch der letzte und größte, bis Schiller sich
ihr fügt; und nun wird Dichtkunst, Philosophie, Alterthum, Naturwissenschaft
und Geschichte, ja die Religion in Zucht genommen; obgleich mit heimlichem
Widerstreben richtet sich alles, was geschrieben wird, nach Weimar und Jena,
und wenn man früher von Goethe sagte, er mache in Weimar Sonnenschein
und schlecht Wetter, so konnte man jetzt dasselbe von Weimar und Jena in
Bezug auf Deutschland sagen. Selbst das tolle Wagstück der Xenien diente
dazu, diese Beziehungen zu verstärken, denn nun war auch der Pöbel der
Literatur in diesen Zauberkreis gebannt, und wenn er auch nichts Anderes
that, als auf die Despoten an der Ilm und an der Saale zu lästern, so
war das eben nur eine indirecte Anerkennung ihres Despotismus. Die
herrschende Literatur fand im lesenden und schreibenden Publicum gemäßigte
und excentrische Anhänger, gemäßigte und fanatische Widersacher, aber sie
fand keinen Gleichgiltigen mehr: wer sich nicht für oder wider das antike
Schicksal, für oder wider den Hexameter, für oder wider den transcenden¬
talen Idealismus aussprechen konnte, durste in gebildeten Kreisen nicht mehr
mitreden. Wenn Fr. v. Staöl die Deutschen als ein Volk definirte, das sich
mit dem antiken Schicksal, dem Hexameter, dem transcendentalen Idealis¬
mus und ähnlichen Dingen zu thun mache, so war das für die gebildeten
Kreise, die sie allein kannte, nicht unrichtig: freilich waren diese Kreise nicht
das ganze Volk, und als nach Schillers Tod der große Krieg losbrach, der
mit Gewalt die absolute Kunsv und den transcendentalen Idealismus hinter
die politischen Fragen zurückdrängte, war es mit der Centralisation der deut¬
schen Literatur vorbei. Es begann eine babylonische Sprachverwirrung und
nur noch die Sehnsucht nach dem alten Paradies lebte fort, jene Sehnsucht,
die sich an die Knie des alternden Dichters anklammerte, und noch heute ge¬
schäftig ist, immer neue Bausteine und Zierrathen zu seiner Ehrenhalle herbei¬
zuschaffen.

"Wer nicht die Welt in seinen Freunden sieht, verdient nicht, daß die
Welt von ihm erfahre!" sagt Goethe im Tasso. Aehnlich sprach sich Schiller
in den spätern Jahren aus, als er Goethe, die Humboldts, Körner, und seine
Frau für sein einziges Publicum erklärte. Sophokles, Shakespeare, Calderon
u. s. w. haben nicht so gedacht, weil sie unmittelbar zur Nation sprachen,
weil bei ihnen die sociale Aristokratie mit der geistigen, zusammenfiel. Das
ist eben der charakteristische Gegensatz unseres classischen Zeitalters gegen alle
verwandte Perioden. Unsere Dichter brauchten ein Medium, durch welches
sie das Volk verstanden und de,in Volk verständlich wurden, ein ideales Pu-


gunst nicht zu Wege brachte, gelang ungewollt einer mächtigen Persönlichkeit.
Sobald Goethe auftritt, sehen wir einen nach dem andern jener excentrischen
Kometen sich dieser Sonne anschließen, sie bald in näheren bald in ferneren
Bahnen umkreisen, bis endlich auch der letzte und größte, bis Schiller sich
ihr fügt; und nun wird Dichtkunst, Philosophie, Alterthum, Naturwissenschaft
und Geschichte, ja die Religion in Zucht genommen; obgleich mit heimlichem
Widerstreben richtet sich alles, was geschrieben wird, nach Weimar und Jena,
und wenn man früher von Goethe sagte, er mache in Weimar Sonnenschein
und schlecht Wetter, so konnte man jetzt dasselbe von Weimar und Jena in
Bezug auf Deutschland sagen. Selbst das tolle Wagstück der Xenien diente
dazu, diese Beziehungen zu verstärken, denn nun war auch der Pöbel der
Literatur in diesen Zauberkreis gebannt, und wenn er auch nichts Anderes
that, als auf die Despoten an der Ilm und an der Saale zu lästern, so
war das eben nur eine indirecte Anerkennung ihres Despotismus. Die
herrschende Literatur fand im lesenden und schreibenden Publicum gemäßigte
und excentrische Anhänger, gemäßigte und fanatische Widersacher, aber sie
fand keinen Gleichgiltigen mehr: wer sich nicht für oder wider das antike
Schicksal, für oder wider den Hexameter, für oder wider den transcenden¬
talen Idealismus aussprechen konnte, durste in gebildeten Kreisen nicht mehr
mitreden. Wenn Fr. v. Staöl die Deutschen als ein Volk definirte, das sich
mit dem antiken Schicksal, dem Hexameter, dem transcendentalen Idealis¬
mus und ähnlichen Dingen zu thun mache, so war das für die gebildeten
Kreise, die sie allein kannte, nicht unrichtig: freilich waren diese Kreise nicht
das ganze Volk, und als nach Schillers Tod der große Krieg losbrach, der
mit Gewalt die absolute Kunsv und den transcendentalen Idealismus hinter
die politischen Fragen zurückdrängte, war es mit der Centralisation der deut¬
schen Literatur vorbei. Es begann eine babylonische Sprachverwirrung und
nur noch die Sehnsucht nach dem alten Paradies lebte fort, jene Sehnsucht,
die sich an die Knie des alternden Dichters anklammerte, und noch heute ge¬
schäftig ist, immer neue Bausteine und Zierrathen zu seiner Ehrenhalle herbei¬
zuschaffen.

„Wer nicht die Welt in seinen Freunden sieht, verdient nicht, daß die
Welt von ihm erfahre!" sagt Goethe im Tasso. Aehnlich sprach sich Schiller
in den spätern Jahren aus, als er Goethe, die Humboldts, Körner, und seine
Frau für sein einziges Publicum erklärte. Sophokles, Shakespeare, Calderon
u. s. w. haben nicht so gedacht, weil sie unmittelbar zur Nation sprachen,
weil bei ihnen die sociale Aristokratie mit der geistigen, zusammenfiel. Das
ist eben der charakteristische Gegensatz unseres classischen Zeitalters gegen alle
verwandte Perioden. Unsere Dichter brauchten ein Medium, durch welches
sie das Volk verstanden und de,in Volk verständlich wurden, ein ideales Pu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/212>, abgerufen am 22.12.2024.