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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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1858 1900 Mitglieder, welche im Jahre 1857 mit einem Betriebsfond von
15.142 Pfd. für 79.788 Pfd. Geschäfte und 5470 Pfd. Gewinn machten, wor¬
in die Bctriebsresultate einer Mahlmühle und einer Weberei noch nicht in-
begriffen sind. Man betreibt folgende Geschäfte: 1) Handel mit Mehl. Koh¬
len. Fleisch- und Colonialwaaren, und Kleiderstoffen; 2) eine Schuhmacherei,
eine Schlächterei und Schneiderei; 3) eine Mahlmühle; 4) eine Weberei. Fonds
und Verwaltung jedes dieser Geschäfte sind getrennt, und trotz ihrer Verschie¬
denartigkeit beziehen sich doch alle im Grunde auf einen und denselben Zweck:
die Versorgung mit allgemein nothwendigen Consumartikeln. wie Nahrung.
Heizung und Kleidung. wobei man denn freilich bis zur Production der Roh¬
stoffe zurückgegangen ist. Nirgend sehen wir aber ein Bank- oder Credit-
gcschäft hereingezogen, und der erste Grundsatz beim Waarenverkauf ist die
Baarzahlung. wogegen man in Erfurt gleich von Haus aus den Mitgliedern
den Borg verspricht. Und nicht blos hierin stehn diese Stores im Gegensatz
zu der erfmter Association, sondern auch besonders in ihrer Verfassung. Von
Arbeitern gegründet, werden sie auch von denselben verwaltet, und sämmt¬
liche Mitglieder, indem der gleichen Berechtigung aller die gleiche Verpflichtung
entspricht, stehen in unbeschränkter Haft gegen die Geschäftsgläubiger. Ein
Beweis zum mindesten, daß die Existenz und der Aufschwung solcher Vereine
durchaus nicht mit Nothwendigkeit an Initiative und Leitung von Männern
aus den höhern Gesellschaftsschichten geknüpft ist, wie in Erfurt.

Allein trotz dieser Bedenken gegen die erfurter Einrichtungen im Allge¬
meinen, sind wir doch weit entfernt, das Gute und Zweckmäßige, den Fort¬
schritt, der darin liegt, zu verkennen. Wenn auch zu dem Zweck einer dauern¬
den Hebung der arbeitenden Classen in materieller, sittlicher und intellectueller
Hinsicht die Gewöhnung derselben zur Selbsthilfe, als unentbehrliche Grund¬
lage, stets vorangestellt werden muß. so hat doch der in Erfurt eingeschlagene
Weg als Zwischenstadium, als Durchgangspunkt, um dahin zu gelangen,
immer seinen Werth, indem er die Leute wenigstens durch die materielle Ver¬
einigung ihrer Mittel manche erhebliche Vortheile erreichen lehrt. wenn er
sie auch noch von dem intellectuellen Theil der Aufgabe, der Gründung und
Leitung der Geschäfte, fern hält. Namentlich begrüßen wir in ihm eine neue
Phase der Sache bei den von den wohlhabenden und gebildeten Ständen
ausgehenden hierher gehörenden Bestrebungen. Während diese Bestrebungen
bisher fast immer den Charakter der Mildthätigkeit annahmen, und die reine
Passivität, das stillhalten der Patienten, an denen man die verschiedenen
Euren vornahm, voraussetzten, fordert man in Erfurt von denjenigen, um
deren Aushilfe es zu thun ist. doch schon eine entgegenkommende Thätigkeit
in den baaren Beisteuern, und erhebt so das beiderseitige Verhältniß auf das
Wirthschaftlich allein berechtigte Niveau von Leistung und Gegenleistung. Und


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1858 1900 Mitglieder, welche im Jahre 1857 mit einem Betriebsfond von
15.142 Pfd. für 79.788 Pfd. Geschäfte und 5470 Pfd. Gewinn machten, wor¬
in die Bctriebsresultate einer Mahlmühle und einer Weberei noch nicht in-
begriffen sind. Man betreibt folgende Geschäfte: 1) Handel mit Mehl. Koh¬
len. Fleisch- und Colonialwaaren, und Kleiderstoffen; 2) eine Schuhmacherei,
eine Schlächterei und Schneiderei; 3) eine Mahlmühle; 4) eine Weberei. Fonds
und Verwaltung jedes dieser Geschäfte sind getrennt, und trotz ihrer Verschie¬
denartigkeit beziehen sich doch alle im Grunde auf einen und denselben Zweck:
die Versorgung mit allgemein nothwendigen Consumartikeln. wie Nahrung.
Heizung und Kleidung. wobei man denn freilich bis zur Production der Roh¬
stoffe zurückgegangen ist. Nirgend sehen wir aber ein Bank- oder Credit-
gcschäft hereingezogen, und der erste Grundsatz beim Waarenverkauf ist die
Baarzahlung. wogegen man in Erfurt gleich von Haus aus den Mitgliedern
den Borg verspricht. Und nicht blos hierin stehn diese Stores im Gegensatz
zu der erfmter Association, sondern auch besonders in ihrer Verfassung. Von
Arbeitern gegründet, werden sie auch von denselben verwaltet, und sämmt¬
liche Mitglieder, indem der gleichen Berechtigung aller die gleiche Verpflichtung
entspricht, stehen in unbeschränkter Haft gegen die Geschäftsgläubiger. Ein
Beweis zum mindesten, daß die Existenz und der Aufschwung solcher Vereine
durchaus nicht mit Nothwendigkeit an Initiative und Leitung von Männern
aus den höhern Gesellschaftsschichten geknüpft ist, wie in Erfurt.

Allein trotz dieser Bedenken gegen die erfurter Einrichtungen im Allge¬
meinen, sind wir doch weit entfernt, das Gute und Zweckmäßige, den Fort¬
schritt, der darin liegt, zu verkennen. Wenn auch zu dem Zweck einer dauern¬
den Hebung der arbeitenden Classen in materieller, sittlicher und intellectueller
Hinsicht die Gewöhnung derselben zur Selbsthilfe, als unentbehrliche Grund¬
lage, stets vorangestellt werden muß. so hat doch der in Erfurt eingeschlagene
Weg als Zwischenstadium, als Durchgangspunkt, um dahin zu gelangen,
immer seinen Werth, indem er die Leute wenigstens durch die materielle Ver¬
einigung ihrer Mittel manche erhebliche Vortheile erreichen lehrt. wenn er
sie auch noch von dem intellectuellen Theil der Aufgabe, der Gründung und
Leitung der Geschäfte, fern hält. Namentlich begrüßen wir in ihm eine neue
Phase der Sache bei den von den wohlhabenden und gebildeten Ständen
ausgehenden hierher gehörenden Bestrebungen. Während diese Bestrebungen
bisher fast immer den Charakter der Mildthätigkeit annahmen, und die reine
Passivität, das stillhalten der Patienten, an denen man die verschiedenen
Euren vornahm, voraussetzten, fordert man in Erfurt von denjenigen, um
deren Aushilfe es zu thun ist. doch schon eine entgegenkommende Thätigkeit
in den baaren Beisteuern, und erhebt so das beiderseitige Verhältniß auf das
Wirthschaftlich allein berechtigte Niveau von Leistung und Gegenleistung. Und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/21>, abgerufen am 22.12.2024.