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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Diese Charakteristik Metternichs gibt zugleich sehr erhebliche Fingerzeige
für die Charakteristik Varnhagens. Ein Bewunderer Metternichs, in bestän¬
digem vertrauten Verkehr mit der Aristokratie, was ihm nicht wenig Freude
machte, ein Freund und Vertheidiger von Gentz, sehr conservativ in entschei¬
denden Augenblicken, hielt er sich doch nach 1848 meistens zur Demokratie,
w einzelnen Fällen sogar zu der am weitesten vorgeschrittenen Schule derselben.
In der Galerie seiner Ideale hatten alle Nuancen Raum, von der äußersten
Rechten bis zur äußersten Linken. Zum Theil ist das freilich persönlich zu
erklären: ein Staatsmann, der resignirt hat, wird die Dinge immer etwas
anders auffassen, als ein Staatsmann im Amt, die Hauptsache aber war
die Schule Rahels. Jede Persönlichkeit war ihm werth, in der er etwas
Aristokratisches fand, Aristokratie des Standes oder des Benehmens oder auch
des Geistes. Die Gesinnung stand ihm erst in zweiter Linie, und er hatte
sogar eine entschiedene Vorliebe für Ansichten und Ueberzeugungen, die sich
vom Hergebrachten so weit als möglich entfernten. Diese Gesinnung, für
einen Mann der Gesellschaft gewiß die liebenswürdigste, ist nicht grade em¬
pfehlend für einen Staatsmann, und je höher seine Gabe im gesellschaftlichen
Verkehr war, desto zweifelhafter sind wir über seine politische Bedeutung.

Das Vertrauen, mit welchem ihm Metternich anscheinend entgegenkam,
hatte ihn offenbar überrascht; noch mehr seine wiener Freunde, und die letz¬
teren waren fest davon überzeugt, der Fürst wolle ihm die Stelle von Gentz
übertragen. Es geschah nicht, ja Metternich machte nicht einmal die geringste
Andeutung, und Varnhagen ließ den Freunden merken, er werde wol schwer¬
lich auf so etwas eingehn, es sei zwischen ihren Ansichten doch eine zu tiefe
Kluft, Metternich wolle nur die Erhaltung des Bestehenden, er die Erhaltung
und Fortbildung desselben. schmeichelhaft war ihm die Idee auf jeden Fall,
und im Anfang nahm das Gespräch in der That eine Wendung, die auf so
etwas hinzudeuten schien. Metternich bezeichnete ihn als den preußischen
Gentz. worauf Varnhagen entgegnete, daß ihm alles Ansehn und alle Vor¬
theile, die sich auf Gentz so reichlich gehäuft, entrückt geblieben, und daß er
seit dem Tode Rahels seine Dienstlaufbahn für geschlossen ansehe. "Der
Fürst sah mich erst etwas befremdet an und entgegnete dann vertraulich, daß
der Minister Ancillon ihm noch vor kurzem zugesagt, eine gewisse Arbeit, bei
welcher Oestreich ebenso sehr als Preußen das Interesse habe, sie mit Ge¬
wandtheit abgefaßt zu sehen, durch mich ausführen zu lassen. Ich gestand,
daß eine solche Absicht, deren Ursprung ich mehr in der guten Meinung des
Fürsten, als in der Geneigtheit Ancillons zu suchen wisse, mir allerdings be¬
kannt sei, allein ich zweifelte, daß jene Arbeit wirklich mir werde übertragen
werden. Metternich hatte nämlich mit Ancillon verabredet, daß, sobald die
Beschlüsse der letzten wiener Berathungen bei den deutschen Regierungen


Diese Charakteristik Metternichs gibt zugleich sehr erhebliche Fingerzeige
für die Charakteristik Varnhagens. Ein Bewunderer Metternichs, in bestän¬
digem vertrauten Verkehr mit der Aristokratie, was ihm nicht wenig Freude
machte, ein Freund und Vertheidiger von Gentz, sehr conservativ in entschei¬
denden Augenblicken, hielt er sich doch nach 1848 meistens zur Demokratie,
w einzelnen Fällen sogar zu der am weitesten vorgeschrittenen Schule derselben.
In der Galerie seiner Ideale hatten alle Nuancen Raum, von der äußersten
Rechten bis zur äußersten Linken. Zum Theil ist das freilich persönlich zu
erklären: ein Staatsmann, der resignirt hat, wird die Dinge immer etwas
anders auffassen, als ein Staatsmann im Amt, die Hauptsache aber war
die Schule Rahels. Jede Persönlichkeit war ihm werth, in der er etwas
Aristokratisches fand, Aristokratie des Standes oder des Benehmens oder auch
des Geistes. Die Gesinnung stand ihm erst in zweiter Linie, und er hatte
sogar eine entschiedene Vorliebe für Ansichten und Ueberzeugungen, die sich
vom Hergebrachten so weit als möglich entfernten. Diese Gesinnung, für
einen Mann der Gesellschaft gewiß die liebenswürdigste, ist nicht grade em¬
pfehlend für einen Staatsmann, und je höher seine Gabe im gesellschaftlichen
Verkehr war, desto zweifelhafter sind wir über seine politische Bedeutung.

Das Vertrauen, mit welchem ihm Metternich anscheinend entgegenkam,
hatte ihn offenbar überrascht; noch mehr seine wiener Freunde, und die letz¬
teren waren fest davon überzeugt, der Fürst wolle ihm die Stelle von Gentz
übertragen. Es geschah nicht, ja Metternich machte nicht einmal die geringste
Andeutung, und Varnhagen ließ den Freunden merken, er werde wol schwer¬
lich auf so etwas eingehn, es sei zwischen ihren Ansichten doch eine zu tiefe
Kluft, Metternich wolle nur die Erhaltung des Bestehenden, er die Erhaltung
und Fortbildung desselben. schmeichelhaft war ihm die Idee auf jeden Fall,
und im Anfang nahm das Gespräch in der That eine Wendung, die auf so
etwas hinzudeuten schien. Metternich bezeichnete ihn als den preußischen
Gentz. worauf Varnhagen entgegnete, daß ihm alles Ansehn und alle Vor¬
theile, die sich auf Gentz so reichlich gehäuft, entrückt geblieben, und daß er
seit dem Tode Rahels seine Dienstlaufbahn für geschlossen ansehe. „Der
Fürst sah mich erst etwas befremdet an und entgegnete dann vertraulich, daß
der Minister Ancillon ihm noch vor kurzem zugesagt, eine gewisse Arbeit, bei
welcher Oestreich ebenso sehr als Preußen das Interesse habe, sie mit Ge¬
wandtheit abgefaßt zu sehen, durch mich ausführen zu lassen. Ich gestand,
daß eine solche Absicht, deren Ursprung ich mehr in der guten Meinung des
Fürsten, als in der Geneigtheit Ancillons zu suchen wisse, mir allerdings be¬
kannt sei, allein ich zweifelte, daß jene Arbeit wirklich mir werde übertragen
werden. Metternich hatte nämlich mit Ancillon verabredet, daß, sobald die
Beschlüsse der letzten wiener Berathungen bei den deutschen Regierungen


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[0199] Diese Charakteristik Metternichs gibt zugleich sehr erhebliche Fingerzeige für die Charakteristik Varnhagens. Ein Bewunderer Metternichs, in bestän¬ digem vertrauten Verkehr mit der Aristokratie, was ihm nicht wenig Freude machte, ein Freund und Vertheidiger von Gentz, sehr conservativ in entschei¬ denden Augenblicken, hielt er sich doch nach 1848 meistens zur Demokratie, w einzelnen Fällen sogar zu der am weitesten vorgeschrittenen Schule derselben. In der Galerie seiner Ideale hatten alle Nuancen Raum, von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken. Zum Theil ist das freilich persönlich zu erklären: ein Staatsmann, der resignirt hat, wird die Dinge immer etwas anders auffassen, als ein Staatsmann im Amt, die Hauptsache aber war die Schule Rahels. Jede Persönlichkeit war ihm werth, in der er etwas Aristokratisches fand, Aristokratie des Standes oder des Benehmens oder auch des Geistes. Die Gesinnung stand ihm erst in zweiter Linie, und er hatte sogar eine entschiedene Vorliebe für Ansichten und Ueberzeugungen, die sich vom Hergebrachten so weit als möglich entfernten. Diese Gesinnung, für einen Mann der Gesellschaft gewiß die liebenswürdigste, ist nicht grade em¬ pfehlend für einen Staatsmann, und je höher seine Gabe im gesellschaftlichen Verkehr war, desto zweifelhafter sind wir über seine politische Bedeutung. Das Vertrauen, mit welchem ihm Metternich anscheinend entgegenkam, hatte ihn offenbar überrascht; noch mehr seine wiener Freunde, und die letz¬ teren waren fest davon überzeugt, der Fürst wolle ihm die Stelle von Gentz übertragen. Es geschah nicht, ja Metternich machte nicht einmal die geringste Andeutung, und Varnhagen ließ den Freunden merken, er werde wol schwer¬ lich auf so etwas eingehn, es sei zwischen ihren Ansichten doch eine zu tiefe Kluft, Metternich wolle nur die Erhaltung des Bestehenden, er die Erhaltung und Fortbildung desselben. schmeichelhaft war ihm die Idee auf jeden Fall, und im Anfang nahm das Gespräch in der That eine Wendung, die auf so etwas hinzudeuten schien. Metternich bezeichnete ihn als den preußischen Gentz. worauf Varnhagen entgegnete, daß ihm alles Ansehn und alle Vor¬ theile, die sich auf Gentz so reichlich gehäuft, entrückt geblieben, und daß er seit dem Tode Rahels seine Dienstlaufbahn für geschlossen ansehe. „Der Fürst sah mich erst etwas befremdet an und entgegnete dann vertraulich, daß der Minister Ancillon ihm noch vor kurzem zugesagt, eine gewisse Arbeit, bei welcher Oestreich ebenso sehr als Preußen das Interesse habe, sie mit Ge¬ wandtheit abgefaßt zu sehen, durch mich ausführen zu lassen. Ich gestand, daß eine solche Absicht, deren Ursprung ich mehr in der guten Meinung des Fürsten, als in der Geneigtheit Ancillons zu suchen wisse, mir allerdings be¬ kannt sei, allein ich zweifelte, daß jene Arbeit wirklich mir werde übertragen werden. Metternich hatte nämlich mit Ancillon verabredet, daß, sobald die Beschlüsse der letzten wiener Berathungen bei den deutschen Regierungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/199>, abgerufen am 22.12.2024.