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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Wahrscheinlich ist es der Abschnitt "Wien und Baden 1834", Seite 69
bis 142.

Bald nach dem Tode seiner geliebten Gemahlin und nach der Heraus¬
gabe des Buches, das ihren Namen fuhrt, besuchte Varnhagen seine alten
Freunde und GönneV in Wien, die ihm ihre Theilnahme um seinen schweren
Verlust mit mehr oder minder Gefühl an den Tag legten. Zu diesen Gönnern
gehörte auch Fürst Metternich, der ihn zweimal in vertrauter langer Au¬
dienz empfing, ihn außerdem mehrmals zur Tafel zog und ihm sein ganzes
politisches Glaubensbekenntniß auseinandersetzte. Im Privatgespräch hat Herr
von Varnhagen wol manches von diesem Glaubensbekenntniß verlauten lassen, und
wir glauben nicht fehlzugreifen, wenn wir in der schon früher von uns besprochenen
zeitgen össischen Geschichte von Adolph Schmidt bedeutende Spuren dieser
Mittheilungen finden; aber er Hütte es für eineJndiscretion gehalten, etwas davon
an die Oeffentlichkeit zu bringen. Ob er damit ganz den Sinn des Fürsten
getroffen hat, ist zweifelhaft; zwar war der Fürst namentlich in seinem spätern
Alter zu solchen Ergießungen überhaupt geneigt, und es gab für ihn keine
glücklichere Stunde, als wenn er in lebhaftem Ton irgend einem Mann von
Qualität seine Principien und deren welthistorische Bedeutung auseinander¬
setzen konnte, aber hier, einem geistvollen Schriftsteller gegenüber, dem "preu¬
ßischen Gentz", wie er ihn nennt, hatte er wol noch einen stillen Neben¬
gedanken: er hätte zwar über jede etwaige Indiscretion den Kopf geschüttelt,
aber wir glauben, er hätte sie verziehen. Und wol konnte er es, denn das
Bild, welches er von sich selbst entwirft und welches ' Herr von Varnhagen
ihm nachzeichnet, ist schmeichelhaft genug, fast so schmeichelhaft, wie das von
einem andern jungdeutschen Schriftsteller entworfene. Dieser Punkt des Ge¬
sprächs ist interessant genug, um hier hervorgehoben zu werden. Es war
davon die Rede, wie man junge Talente für die gute Sache concentriren könnte.
-- "Die Jüngern! sagte der Fürst, ja wo findet man deren, die nicht schon
ganz in Wildheit verloren wären? -- Ich legte dem Fürsten die Grundzüge
einer Göthegcscllschaft vor, die man in Weimar stiften und über ganz Deutsch¬
land ausbreiten sollte; da würde viel guter Nach- und Wetteifer entstehen, in
einem Sinn, der dem Gange der Geistesbildung in Deutschlauo förderlich '
sein könnte, ohne das Mißtrauen der Regierungen zu erwecken; eine solche
Gesellschaft ließe sich so einrichten, daß sie manchen irrschweifenden Kräften
zum rollenden Sammelplatz dienen könnte. Ich versicherte, es würden die
besten Kopfe und schönsten Talente oft in dem Augenblick, wo sie den bessern
Weg schon betreten, mit Gewalt auf den schlechten zurückgestoßen. Da mir
Heinrich Laube einfiel, dessen kürzlich erfolgte Verhaftung mir aus Berlin war
geschrieben worden, so glaubte ich die Gelegenheit benutzen zu müssen, ihm
hier einigen Vorschub zu thun. Ich sagte zu, seinen Gunsten, was ich an


Wahrscheinlich ist es der Abschnitt „Wien und Baden 1834", Seite 69
bis 142.

Bald nach dem Tode seiner geliebten Gemahlin und nach der Heraus¬
gabe des Buches, das ihren Namen fuhrt, besuchte Varnhagen seine alten
Freunde und GönneV in Wien, die ihm ihre Theilnahme um seinen schweren
Verlust mit mehr oder minder Gefühl an den Tag legten. Zu diesen Gönnern
gehörte auch Fürst Metternich, der ihn zweimal in vertrauter langer Au¬
dienz empfing, ihn außerdem mehrmals zur Tafel zog und ihm sein ganzes
politisches Glaubensbekenntniß auseinandersetzte. Im Privatgespräch hat Herr
von Varnhagen wol manches von diesem Glaubensbekenntniß verlauten lassen, und
wir glauben nicht fehlzugreifen, wenn wir in der schon früher von uns besprochenen
zeitgen össischen Geschichte von Adolph Schmidt bedeutende Spuren dieser
Mittheilungen finden; aber er Hütte es für eineJndiscretion gehalten, etwas davon
an die Oeffentlichkeit zu bringen. Ob er damit ganz den Sinn des Fürsten
getroffen hat, ist zweifelhaft; zwar war der Fürst namentlich in seinem spätern
Alter zu solchen Ergießungen überhaupt geneigt, und es gab für ihn keine
glücklichere Stunde, als wenn er in lebhaftem Ton irgend einem Mann von
Qualität seine Principien und deren welthistorische Bedeutung auseinander¬
setzen konnte, aber hier, einem geistvollen Schriftsteller gegenüber, dem „preu¬
ßischen Gentz", wie er ihn nennt, hatte er wol noch einen stillen Neben¬
gedanken: er hätte zwar über jede etwaige Indiscretion den Kopf geschüttelt,
aber wir glauben, er hätte sie verziehen. Und wol konnte er es, denn das
Bild, welches er von sich selbst entwirft und welches ' Herr von Varnhagen
ihm nachzeichnet, ist schmeichelhaft genug, fast so schmeichelhaft, wie das von
einem andern jungdeutschen Schriftsteller entworfene. Dieser Punkt des Ge¬
sprächs ist interessant genug, um hier hervorgehoben zu werden. Es war
davon die Rede, wie man junge Talente für die gute Sache concentriren könnte.
— „Die Jüngern! sagte der Fürst, ja wo findet man deren, die nicht schon
ganz in Wildheit verloren wären? — Ich legte dem Fürsten die Grundzüge
einer Göthegcscllschaft vor, die man in Weimar stiften und über ganz Deutsch¬
land ausbreiten sollte; da würde viel guter Nach- und Wetteifer entstehen, in
einem Sinn, der dem Gange der Geistesbildung in Deutschlauo förderlich '
sein könnte, ohne das Mißtrauen der Regierungen zu erwecken; eine solche
Gesellschaft ließe sich so einrichten, daß sie manchen irrschweifenden Kräften
zum rollenden Sammelplatz dienen könnte. Ich versicherte, es würden die
besten Kopfe und schönsten Talente oft in dem Augenblick, wo sie den bessern
Weg schon betreten, mit Gewalt auf den schlechten zurückgestoßen. Da mir
Heinrich Laube einfiel, dessen kürzlich erfolgte Verhaftung mir aus Berlin war
geschrieben worden, so glaubte ich die Gelegenheit benutzen zu müssen, ihm
hier einigen Vorschub zu thun. Ich sagte zu, seinen Gunsten, was ich an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/196>, abgerufen am 22.12.2024.