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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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vom geistlichen und weltlichen Fürsten, welche katholische Schriftsteller aufzu¬
stellen gesucht, um zu zeigen, daß die Fehler des letztem die Reinheit des erstem
nicht berühren, ist doch geschichtlich und praktisch nicht durchzuführen. Es ge¬
hört der naive Glaube des Grafen de Maistre dazu, sich über alle entgegen¬
stehenden Zeugnisse hinwegzusetzen und zu versichern, die Papste hätten niemals
ihre kirchliche Macht benutzt, um weltliche Vortheile zu erlangen.-' Man
braucht, um sich vom Gegentheil zu überzeugen, nicht in das erste Mittelalter
zurückzugehen, wo die Pipinische Schenkung das weltliche Gebiet begründete.
Allerdings ging Geistern wie Gregor dem Siebenten und Innocenz dem Achten das
Streben nach Ausbildung der kirchlichen Macht über alles, aber je mehr jener
großartige ideale Zug verschwand, desto entschiedener verfolgten ihre Nach¬
folger die Zwecke des weltlichen Fürstenthums. Auf dem dahier Concil ward
es offen gesagt, daß der Papst ohne das Erbgut der Kirche nur einen Knecht
der Könige vorstelle. Die Statthalter Christi fühlten sich immer mehr als
italienische Fürsten, sie benutzten die Verwickelungen des Augenblicks, um ihre
weltlichen Absichten durchzusetzen, und ihre Familien auszustatten, die Regie¬
rungen von Sixtus dem Vierten, Alexander dem Zweiten, Julius dem Sechsten
und Sixtus dem Fünften bieten reiche Commentare hierfür, man weiß, welche
Rolle sie in den Wirren von Florenz, Urbino, Mantua und Venedig gespielt
haben, jede Gelegenheit ward zum Vortheil benutzt, jede Beeinträchtigung als
Sacrileg hingestellt; so kam der jetzige Kirchenstaat zu Stande.

Es ist zu bemerken, daß der Aufschwung, den die päpstliche Macht durch
die Reaction gegen die Reformation nahm, viel weniger auf der Thätigkeit
der Päpste selbst beruhte, als auf der der katholischen Fürsten, die ihre Macht
durch die religiöse Bewegung bedroht sahen, und auf der der geistlichen Orden,
namentlich der Jesuiten. Es bezeichnet den tiefsten Verfall der kirchlichen Oberge¬
walt, daß Clemens der Vierzehnte sich dazu verstand diesen Orden, den getreusten'
Kampfer für das Pontisicat, aufzuheben, denn es war ein entscheidender Sieg der
öffentlichen Meinung, der den Orden aus einem Lande nach dem andern ver¬
trieb, bis endlich das Haupt der Kirche sich dazu verstand, diesem Verdict seine
Sanction zu geben. Das Papstthum war damals' so geschwächt, daß es der
Revolution nur ohnmächtigen Widerstand entgegensetzen konnte, die Staats¬
raison allein war es, die den Sieger von Marengo bewog, wieder mit der
römischen Kirche anzuknüpfen. Der Cultus der Vernunft hatte sich als zer¬
rüttend bewiesen, die Herstellung des Katholicismus ward als zweckmäßig
und nothwendig betrachtet, um die staatliche Autoritär durch religiöse Motive
zu stützen. In den Denkschriften von Portalis über das Concordat finden
sich die verschiedenen Möglichkeiten hinsichtlich der Art dieser Wiederherstellung
auf das kühlste abgewogen. Ein Patriarch würde zu mächtig sein. "Wenn er
ehrgeizig ist, kann er Verschwörer werden und ist im Stande die Gemüther


vom geistlichen und weltlichen Fürsten, welche katholische Schriftsteller aufzu¬
stellen gesucht, um zu zeigen, daß die Fehler des letztem die Reinheit des erstem
nicht berühren, ist doch geschichtlich und praktisch nicht durchzuführen. Es ge¬
hört der naive Glaube des Grafen de Maistre dazu, sich über alle entgegen¬
stehenden Zeugnisse hinwegzusetzen und zu versichern, die Papste hätten niemals
ihre kirchliche Macht benutzt, um weltliche Vortheile zu erlangen.-' Man
braucht, um sich vom Gegentheil zu überzeugen, nicht in das erste Mittelalter
zurückzugehen, wo die Pipinische Schenkung das weltliche Gebiet begründete.
Allerdings ging Geistern wie Gregor dem Siebenten und Innocenz dem Achten das
Streben nach Ausbildung der kirchlichen Macht über alles, aber je mehr jener
großartige ideale Zug verschwand, desto entschiedener verfolgten ihre Nach¬
folger die Zwecke des weltlichen Fürstenthums. Auf dem dahier Concil ward
es offen gesagt, daß der Papst ohne das Erbgut der Kirche nur einen Knecht
der Könige vorstelle. Die Statthalter Christi fühlten sich immer mehr als
italienische Fürsten, sie benutzten die Verwickelungen des Augenblicks, um ihre
weltlichen Absichten durchzusetzen, und ihre Familien auszustatten, die Regie¬
rungen von Sixtus dem Vierten, Alexander dem Zweiten, Julius dem Sechsten
und Sixtus dem Fünften bieten reiche Commentare hierfür, man weiß, welche
Rolle sie in den Wirren von Florenz, Urbino, Mantua und Venedig gespielt
haben, jede Gelegenheit ward zum Vortheil benutzt, jede Beeinträchtigung als
Sacrileg hingestellt; so kam der jetzige Kirchenstaat zu Stande.

Es ist zu bemerken, daß der Aufschwung, den die päpstliche Macht durch
die Reaction gegen die Reformation nahm, viel weniger auf der Thätigkeit
der Päpste selbst beruhte, als auf der der katholischen Fürsten, die ihre Macht
durch die religiöse Bewegung bedroht sahen, und auf der der geistlichen Orden,
namentlich der Jesuiten. Es bezeichnet den tiefsten Verfall der kirchlichen Oberge¬
walt, daß Clemens der Vierzehnte sich dazu verstand diesen Orden, den getreusten'
Kampfer für das Pontisicat, aufzuheben, denn es war ein entscheidender Sieg der
öffentlichen Meinung, der den Orden aus einem Lande nach dem andern ver¬
trieb, bis endlich das Haupt der Kirche sich dazu verstand, diesem Verdict seine
Sanction zu geben. Das Papstthum war damals' so geschwächt, daß es der
Revolution nur ohnmächtigen Widerstand entgegensetzen konnte, die Staats¬
raison allein war es, die den Sieger von Marengo bewog, wieder mit der
römischen Kirche anzuknüpfen. Der Cultus der Vernunft hatte sich als zer¬
rüttend bewiesen, die Herstellung des Katholicismus ward als zweckmäßig
und nothwendig betrachtet, um die staatliche Autoritär durch religiöse Motive
zu stützen. In den Denkschriften von Portalis über das Concordat finden
sich die verschiedenen Möglichkeiten hinsichtlich der Art dieser Wiederherstellung
auf das kühlste abgewogen. Ein Patriarch würde zu mächtig sein. „Wenn er
ehrgeizig ist, kann er Verschwörer werden und ist im Stande die Gemüther


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[0186] vom geistlichen und weltlichen Fürsten, welche katholische Schriftsteller aufzu¬ stellen gesucht, um zu zeigen, daß die Fehler des letztem die Reinheit des erstem nicht berühren, ist doch geschichtlich und praktisch nicht durchzuführen. Es ge¬ hört der naive Glaube des Grafen de Maistre dazu, sich über alle entgegen¬ stehenden Zeugnisse hinwegzusetzen und zu versichern, die Papste hätten niemals ihre kirchliche Macht benutzt, um weltliche Vortheile zu erlangen.-' Man braucht, um sich vom Gegentheil zu überzeugen, nicht in das erste Mittelalter zurückzugehen, wo die Pipinische Schenkung das weltliche Gebiet begründete. Allerdings ging Geistern wie Gregor dem Siebenten und Innocenz dem Achten das Streben nach Ausbildung der kirchlichen Macht über alles, aber je mehr jener großartige ideale Zug verschwand, desto entschiedener verfolgten ihre Nach¬ folger die Zwecke des weltlichen Fürstenthums. Auf dem dahier Concil ward es offen gesagt, daß der Papst ohne das Erbgut der Kirche nur einen Knecht der Könige vorstelle. Die Statthalter Christi fühlten sich immer mehr als italienische Fürsten, sie benutzten die Verwickelungen des Augenblicks, um ihre weltlichen Absichten durchzusetzen, und ihre Familien auszustatten, die Regie¬ rungen von Sixtus dem Vierten, Alexander dem Zweiten, Julius dem Sechsten und Sixtus dem Fünften bieten reiche Commentare hierfür, man weiß, welche Rolle sie in den Wirren von Florenz, Urbino, Mantua und Venedig gespielt haben, jede Gelegenheit ward zum Vortheil benutzt, jede Beeinträchtigung als Sacrileg hingestellt; so kam der jetzige Kirchenstaat zu Stande. Es ist zu bemerken, daß der Aufschwung, den die päpstliche Macht durch die Reaction gegen die Reformation nahm, viel weniger auf der Thätigkeit der Päpste selbst beruhte, als auf der der katholischen Fürsten, die ihre Macht durch die religiöse Bewegung bedroht sahen, und auf der der geistlichen Orden, namentlich der Jesuiten. Es bezeichnet den tiefsten Verfall der kirchlichen Oberge¬ walt, daß Clemens der Vierzehnte sich dazu verstand diesen Orden, den getreusten' Kampfer für das Pontisicat, aufzuheben, denn es war ein entscheidender Sieg der öffentlichen Meinung, der den Orden aus einem Lande nach dem andern ver¬ trieb, bis endlich das Haupt der Kirche sich dazu verstand, diesem Verdict seine Sanction zu geben. Das Papstthum war damals' so geschwächt, daß es der Revolution nur ohnmächtigen Widerstand entgegensetzen konnte, die Staats¬ raison allein war es, die den Sieger von Marengo bewog, wieder mit der römischen Kirche anzuknüpfen. Der Cultus der Vernunft hatte sich als zer¬ rüttend bewiesen, die Herstellung des Katholicismus ward als zweckmäßig und nothwendig betrachtet, um die staatliche Autoritär durch religiöse Motive zu stützen. In den Denkschriften von Portalis über das Concordat finden sich die verschiedenen Möglichkeiten hinsichtlich der Art dieser Wiederherstellung auf das kühlste abgewogen. Ein Patriarch würde zu mächtig sein. „Wenn er ehrgeizig ist, kann er Verschwörer werden und ist im Stande die Gemüther

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/186>, abgerufen am 22.12.2024.