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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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ob es stärker sein kann, als die entgegengesetzte Nothwendigkeit. Denn wenn
auch Frankreich seit der Moniteurnote vom 15. März keinen öffentlichen Ver¬
such wieder gemacht hat, intellectuelle Scheidungen zwischen den einzelnen
Bundestheilen wieder herzustellen, so sind doch grade seit jenem Moment die
echellonirten Aufstellungen gegen die obere Rheingrenze bedeutend verstärkt
worden, und zwar mit Waffengattungen, von denen die fachwissenschaftlichen
Organe nachweisen, daß sie auf eine Offensive hinweisen. In demselben Mo¬
ment hat der Bund beschlossen, die Bundesfestungen auf den completen ar¬
tilleristischen Friedensstand zu bringen. Dies ist eine Demonstration, mit
welcher factisch dennoch keiner kriegerischen Eventualität begegnet wird; der
deutsche Südwesten sieht darin blos eine Inconsequenz im Hrincip, ohne
daß die selbststnndigcn Vorbereitungsanstrengungen der Einzelstaaten dadurch
selbst nur eine moralische Unterstützung gewonnen. Sollen nun dieselben auf
die bloße Möglichkeit eines den Krieg vielleicht vertagenden Congresses hin
ihre militärischen Vorbereitungen wieder einstellen, während die diplomatische
Etikette verbietet, Frankreich selbst nur die Verminderung seiner militärischen
Rüstungen während dieses fraglichen Congresses anzumuthen, nachdem dasselbe
beiläufig, der "irrgeleitcten öffentlichen Meinung" gegenüber erklärthat, seine
Rüstungen seien keine Rüstungen, sondern blos Completirungen? Setzen die
südwestdeutschcn Staaten ohne den Nachdruck eines Bundesbeschlusses ihre
Maßregeln zur Kriegsbereitschaft fort, so handeln sie vollkommen im Sinn
und nach dem Wunsch ihrer Bevölkerungen, obschon man sich durchaus nicht
verhehlt, daß im Kriegsfall, der nun einmal als gewiß angenommen wird,
Frankreich die vollste Schale seines Zornes über sie ausgießen würde. Gesetzt
aber, sie fühlten sich zu schwach, dem ersten Andrang Widerstand zu leisten,
weil der verzögerte Beschluß des Bundes zur Kriegsbereitschaft den marsch,
fertigen französischen Aufstellungen gegenüber sicherlich nicht rechtzeitig zur voll¬
endeten That werden könnte, gesetzt, sie ließen sich auf Transactionen ein,
um der Selbsterhaltung zu genügen, so würde, wie sie damit factisch von
Preußen geschieden würden, auch die Schuld eines solchen Ganges der Dinge
vom gesammten Südwesten ausschließlich auf Preußen gewälzt werden. Deutsch¬
land stände wieder auf dem Punkte, wie nach der Auflösung des deutschen
Rejches; darüber sollte man sich im Norden keine Illusionen machen. Andern¬
falls gesetzt, daß die vereinigte Macht der südwestdeutschen Staaten den ersten
Andrang aufhielte, daß preußische oder Bundeshilfe ihrem Ermatten zu Hilfe
käme und zu Hilfe kommen könnte, so brauchen wir wahrlich nicht weit zurück-
zugehen, um der keineswegs unwirksamen Beschuldigung zu begegnen, daß
der größte Bundesstaat es absichtlich habe dahin kommen lassen, um die Ab¬
hängigkeit der kleineren zu verstärken. Preußens moralisches Einflußgebict
könnte auf diese Weise nur eine Schmälerung erfahren.


ob es stärker sein kann, als die entgegengesetzte Nothwendigkeit. Denn wenn
auch Frankreich seit der Moniteurnote vom 15. März keinen öffentlichen Ver¬
such wieder gemacht hat, intellectuelle Scheidungen zwischen den einzelnen
Bundestheilen wieder herzustellen, so sind doch grade seit jenem Moment die
echellonirten Aufstellungen gegen die obere Rheingrenze bedeutend verstärkt
worden, und zwar mit Waffengattungen, von denen die fachwissenschaftlichen
Organe nachweisen, daß sie auf eine Offensive hinweisen. In demselben Mo¬
ment hat der Bund beschlossen, die Bundesfestungen auf den completen ar¬
tilleristischen Friedensstand zu bringen. Dies ist eine Demonstration, mit
welcher factisch dennoch keiner kriegerischen Eventualität begegnet wird; der
deutsche Südwesten sieht darin blos eine Inconsequenz im Hrincip, ohne
daß die selbststnndigcn Vorbereitungsanstrengungen der Einzelstaaten dadurch
selbst nur eine moralische Unterstützung gewonnen. Sollen nun dieselben auf
die bloße Möglichkeit eines den Krieg vielleicht vertagenden Congresses hin
ihre militärischen Vorbereitungen wieder einstellen, während die diplomatische
Etikette verbietet, Frankreich selbst nur die Verminderung seiner militärischen
Rüstungen während dieses fraglichen Congresses anzumuthen, nachdem dasselbe
beiläufig, der „irrgeleitcten öffentlichen Meinung" gegenüber erklärthat, seine
Rüstungen seien keine Rüstungen, sondern blos Completirungen? Setzen die
südwestdeutschcn Staaten ohne den Nachdruck eines Bundesbeschlusses ihre
Maßregeln zur Kriegsbereitschaft fort, so handeln sie vollkommen im Sinn
und nach dem Wunsch ihrer Bevölkerungen, obschon man sich durchaus nicht
verhehlt, daß im Kriegsfall, der nun einmal als gewiß angenommen wird,
Frankreich die vollste Schale seines Zornes über sie ausgießen würde. Gesetzt
aber, sie fühlten sich zu schwach, dem ersten Andrang Widerstand zu leisten,
weil der verzögerte Beschluß des Bundes zur Kriegsbereitschaft den marsch,
fertigen französischen Aufstellungen gegenüber sicherlich nicht rechtzeitig zur voll¬
endeten That werden könnte, gesetzt, sie ließen sich auf Transactionen ein,
um der Selbsterhaltung zu genügen, so würde, wie sie damit factisch von
Preußen geschieden würden, auch die Schuld eines solchen Ganges der Dinge
vom gesammten Südwesten ausschließlich auf Preußen gewälzt werden. Deutsch¬
land stände wieder auf dem Punkte, wie nach der Auflösung des deutschen
Rejches; darüber sollte man sich im Norden keine Illusionen machen. Andern¬
falls gesetzt, daß die vereinigte Macht der südwestdeutschen Staaten den ersten
Andrang aufhielte, daß preußische oder Bundeshilfe ihrem Ermatten zu Hilfe
käme und zu Hilfe kommen könnte, so brauchen wir wahrlich nicht weit zurück-
zugehen, um der keineswegs unwirksamen Beschuldigung zu begegnen, daß
der größte Bundesstaat es absichtlich habe dahin kommen lassen, um die Ab¬
hängigkeit der kleineren zu verstärken. Preußens moralisches Einflußgebict
könnte auf diese Weise nur eine Schmälerung erfahren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/161>, abgerufen am 22.12.2024.