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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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den Krieg vom Po an den Rhein zu lenken, so daß der Bund sofort genö¬
thigt gewesen wäre, gewissermaßen als Oestreichs Vortrab oder Lehnsmann
den Kampf mit Frankreich zu engagiren. dann hatte die Partei, welche sich
in ihrer östreichischen Herrschaft noch keineswegs nach Wunsch gefestigt fühlt,
aus dieses ihr Verdienst um Abwendung des Krieges vom Kaiserstaat aller¬
dings manchen weiteren Machtanspruch stützen können.

Allein grade den Verkehr mit dieser Partei ist man leider im deutschen
Südwesten gewohnter, als im Norden. Selbst wo sie sich der allgemeinen
öffentlichen Stimmung anzuschließen scheint, verhandelt diese mit ihr, so zu
sagen, mit gespannter Pistole. Ein aggressives Vorgehen Deutschlands gegen
Frankreich, weil dieses Oestreichs Separatverträge mit Mittelitalien einer euro¬
päischen Revision unterziehen will, ist dem Südwesten niemals in den Sinn
gekommen; er forderte nur eine feste Defensivstellung an der Rheingrenze,
weil ihm die italienische Fragstellung eben blos als ablenkende Diversion zur
Verhüllung der Plane gegen das Rheinufer, ein bloßer Scheinbeginn des
eigentlichen Anfanges erschien. Und weil für solche vorsorgliche Defensive in .
dem südwestdeutschen Staatencomplex kein genügender Kern gegeben sein kann, '
weil Preußen nur als deutsche Großmacht den materiellen und mora¬
lischen Nachdruck einer solchen Vorsorge Deutschlands zu geben vermag --
daher dieses Drängen nach Bundesbewaffnung, daher diese grollenden Vor¬
würfe gegen Preußens Zurückhaltung, gegen seine hemmenden Einflüsse, die
es selbst der einst (im orientalischen Krieg) mit der Neutralität vereinbaren
Kriegsbereitschaft des Bundes entgegenstellte.

Unterdessen ist die Congreßidee aus der vermittelnden Thätigkeit Eng¬
lands, Rußlands und Preußens hervorgegangen. Kommt der Congreß zu
Stande, so ist voraussichtlich die kriegerische Explosion, wenigstens auf Mo¬
nate vertagt; andernfalls freilich wol kaum noch wenige Wochen. Der erstere
Fall, welcher den Verhandlungen und Vereinbarungen über Deutschlands Hal¬
tung günstiger sein mag, steigert im deutschen Südwesten zwei Uebel, von
denen das deutsche Hinterland weit geringeren Maßes getroffen wird: die
allgemeine Geschäftslosigkeit und die Ausfuhr von Kriegsbedürfnissen, welche
unseren eigenen Regierungen, resp, dem Bund die Vorsorge nach dieser Rich/
tung erschwert und vertheuert. Dies ist bereits jetzt so positiv und statistisch
bei Tuchbestellungen, Pulverliefcrungen, den Pferdefnttcrpreisen :c. nachgewie¬
sen, daß man hier .nicht weiter darauf einzugehen braucht. Dem Pferdcaus-
suhrverbot wurde die demonstrative Spitze dadurch abgebrochen, daß man es
vom Zollverein ausgehen ließ. Anträge ähnlicher Art von Seite der Zoll¬
vereinstaaten hat Preußen neuerdings abgewiesen, und zwar, wie die Zeitungen
besagen, um Frankreich keinen Vorwand zur Gereiztheit gegen den Bund zu
geben. Niemand wird dieses Motiv verwerfen können. Aber die Frage ist,


den Krieg vom Po an den Rhein zu lenken, so daß der Bund sofort genö¬
thigt gewesen wäre, gewissermaßen als Oestreichs Vortrab oder Lehnsmann
den Kampf mit Frankreich zu engagiren. dann hatte die Partei, welche sich
in ihrer östreichischen Herrschaft noch keineswegs nach Wunsch gefestigt fühlt,
aus dieses ihr Verdienst um Abwendung des Krieges vom Kaiserstaat aller¬
dings manchen weiteren Machtanspruch stützen können.

Allein grade den Verkehr mit dieser Partei ist man leider im deutschen
Südwesten gewohnter, als im Norden. Selbst wo sie sich der allgemeinen
öffentlichen Stimmung anzuschließen scheint, verhandelt diese mit ihr, so zu
sagen, mit gespannter Pistole. Ein aggressives Vorgehen Deutschlands gegen
Frankreich, weil dieses Oestreichs Separatverträge mit Mittelitalien einer euro¬
päischen Revision unterziehen will, ist dem Südwesten niemals in den Sinn
gekommen; er forderte nur eine feste Defensivstellung an der Rheingrenze,
weil ihm die italienische Fragstellung eben blos als ablenkende Diversion zur
Verhüllung der Plane gegen das Rheinufer, ein bloßer Scheinbeginn des
eigentlichen Anfanges erschien. Und weil für solche vorsorgliche Defensive in .
dem südwestdeutschen Staatencomplex kein genügender Kern gegeben sein kann, '
weil Preußen nur als deutsche Großmacht den materiellen und mora¬
lischen Nachdruck einer solchen Vorsorge Deutschlands zu geben vermag —
daher dieses Drängen nach Bundesbewaffnung, daher diese grollenden Vor¬
würfe gegen Preußens Zurückhaltung, gegen seine hemmenden Einflüsse, die
es selbst der einst (im orientalischen Krieg) mit der Neutralität vereinbaren
Kriegsbereitschaft des Bundes entgegenstellte.

Unterdessen ist die Congreßidee aus der vermittelnden Thätigkeit Eng¬
lands, Rußlands und Preußens hervorgegangen. Kommt der Congreß zu
Stande, so ist voraussichtlich die kriegerische Explosion, wenigstens auf Mo¬
nate vertagt; andernfalls freilich wol kaum noch wenige Wochen. Der erstere
Fall, welcher den Verhandlungen und Vereinbarungen über Deutschlands Hal¬
tung günstiger sein mag, steigert im deutschen Südwesten zwei Uebel, von
denen das deutsche Hinterland weit geringeren Maßes getroffen wird: die
allgemeine Geschäftslosigkeit und die Ausfuhr von Kriegsbedürfnissen, welche
unseren eigenen Regierungen, resp, dem Bund die Vorsorge nach dieser Rich/
tung erschwert und vertheuert. Dies ist bereits jetzt so positiv und statistisch
bei Tuchbestellungen, Pulverliefcrungen, den Pferdefnttcrpreisen :c. nachgewie¬
sen, daß man hier .nicht weiter darauf einzugehen braucht. Dem Pferdcaus-
suhrverbot wurde die demonstrative Spitze dadurch abgebrochen, daß man es
vom Zollverein ausgehen ließ. Anträge ähnlicher Art von Seite der Zoll¬
vereinstaaten hat Preußen neuerdings abgewiesen, und zwar, wie die Zeitungen
besagen, um Frankreich keinen Vorwand zur Gereiztheit gegen den Bund zu
geben. Niemand wird dieses Motiv verwerfen können. Aber die Frage ist,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/160>, abgerufen am 22.12.2024.