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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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zigen. welche man von offizieller Seite empfing -- fast unzweifelhaft anzu¬
deuten, daß Preußen eine nationale Gefahr noch gar nicht anerkenne, jeden¬
falls seine deutschen Bundesgenossen ohne Aufklärung über seine Stellung zu
der deutschen Sphäre der europäischen Frage gelassen habe. Welche Uebel die
Theorie der freien Hand und der Nondummeridiespolltik bei den bisherigen
europäischen Verwicklungen über Deutschland und namentlich für das nationale
Bewußtsein gebracht, war noch in zu frischer Erinnerung, um nicht abermals
bedrohlich vor dem geistigen Blick des Patriotismus aufzutauchen, welcher,
wir wiederholen es. in der Aufwirbelung des italienischen Tumults blos eine
Diversion sah. um Oestreichs Wasserkraft an einem entfernten Punkte zu be¬
schäftigen, während das eigentliche Ziel der Napoleonischen Expansivplane das
linke Rheinufer blieb. Wie weit der Südwesten darin Recht hatte und hat
-- denn endgiltig ist es ja wahrlich auch heute noch nicht entschieden -- kann
hier nicht in Frage kommen. In seinem Bewußtsein aber hatte er jedenfalls
vollkommen recht, wenn er forderte, daß Preußen aufs entschiedenste gegen
jede Bedrohung Deutschlands eintrete. Diese Forderung wurde lärmend
geltend gemacht, lärmender vielleicht, als es geschehen wäre, wenn Preußen
vielleicht einige Wochen früher in Bezug auf die nationale Sphäre der euro¬
päischen Frage dieselben Erklärungen abgegeben hätte, mit denen es den
v. März bezeichnete. Denn gezweifelt an, echtdeutschen Sinn von Preußens
jetziger Staatsleitung hatte niemand,, aber daran hatte man gezweifelt, ob
dieselbe vollkommen ehrlich unterrichtet sei von den thatsächlichen Verhältnissen
an Deutschlands Westgrenzen und vom südwestdeutschen Geiste. Denn daran
ließen die berliner Aeußerungen in der Presse am meisten zweifeln.

Man schien dort nämlich zu glauben, oder affectirte den Glauben, als
wolle der deutsche Südwesten eine initiative Aggression des deutschen Bundes
gegen Frankreich, um dieses zu hindern, Oestreich in Italien anzugreifen oder
durch Sardinien angreifen zu lassen. Man sagte selbst rund heraus, der
deutsche Südwesten wolle den Krieg vom Po an den Rhein verlegen. Außer
in ein paar ultramontanen Parteiblättern, welche um so lauter schreien, je
wehr sie sich der moralischen Ohnmacht und politischen UnWahrhaftigkeit ihrer
Partei bewußt sind, vermag man jedoch die Aufforderung, den Napoleonischen
Planen das Prävenire zu spielen und hcißspornig Deutschland für Oestreichs
hegemonistische Interessen in Italien einzusetzen, in keinem süddeutschen Or-
San nachzuweisen. Und selbst die Ultramontanen rückten blos verblümt und
versuchsweise mit dieser Idee hervor, indem sie Oestreich nannten und Rom
meinten. Denn an Oestreich in Italien ist ihnen offenbar sehr wenig gelegen,
Wol dagegen sehr viel daran, daß die römische staatliche Wirthschaft nicht
etwa unsanft berührt werde, wohin die italienische Frage im Beginn ihrer
jetzigen Phase allerdings stark genug neigte. Wäre es ihnen nun gelungen,


zigen. welche man von offizieller Seite empfing — fast unzweifelhaft anzu¬
deuten, daß Preußen eine nationale Gefahr noch gar nicht anerkenne, jeden¬
falls seine deutschen Bundesgenossen ohne Aufklärung über seine Stellung zu
der deutschen Sphäre der europäischen Frage gelassen habe. Welche Uebel die
Theorie der freien Hand und der Nondummeridiespolltik bei den bisherigen
europäischen Verwicklungen über Deutschland und namentlich für das nationale
Bewußtsein gebracht, war noch in zu frischer Erinnerung, um nicht abermals
bedrohlich vor dem geistigen Blick des Patriotismus aufzutauchen, welcher,
wir wiederholen es. in der Aufwirbelung des italienischen Tumults blos eine
Diversion sah. um Oestreichs Wasserkraft an einem entfernten Punkte zu be¬
schäftigen, während das eigentliche Ziel der Napoleonischen Expansivplane das
linke Rheinufer blieb. Wie weit der Südwesten darin Recht hatte und hat
— denn endgiltig ist es ja wahrlich auch heute noch nicht entschieden — kann
hier nicht in Frage kommen. In seinem Bewußtsein aber hatte er jedenfalls
vollkommen recht, wenn er forderte, daß Preußen aufs entschiedenste gegen
jede Bedrohung Deutschlands eintrete. Diese Forderung wurde lärmend
geltend gemacht, lärmender vielleicht, als es geschehen wäre, wenn Preußen
vielleicht einige Wochen früher in Bezug auf die nationale Sphäre der euro¬
päischen Frage dieselben Erklärungen abgegeben hätte, mit denen es den
v. März bezeichnete. Denn gezweifelt an, echtdeutschen Sinn von Preußens
jetziger Staatsleitung hatte niemand,, aber daran hatte man gezweifelt, ob
dieselbe vollkommen ehrlich unterrichtet sei von den thatsächlichen Verhältnissen
an Deutschlands Westgrenzen und vom südwestdeutschen Geiste. Denn daran
ließen die berliner Aeußerungen in der Presse am meisten zweifeln.

Man schien dort nämlich zu glauben, oder affectirte den Glauben, als
wolle der deutsche Südwesten eine initiative Aggression des deutschen Bundes
gegen Frankreich, um dieses zu hindern, Oestreich in Italien anzugreifen oder
durch Sardinien angreifen zu lassen. Man sagte selbst rund heraus, der
deutsche Südwesten wolle den Krieg vom Po an den Rhein verlegen. Außer
in ein paar ultramontanen Parteiblättern, welche um so lauter schreien, je
wehr sie sich der moralischen Ohnmacht und politischen UnWahrhaftigkeit ihrer
Partei bewußt sind, vermag man jedoch die Aufforderung, den Napoleonischen
Planen das Prävenire zu spielen und hcißspornig Deutschland für Oestreichs
hegemonistische Interessen in Italien einzusetzen, in keinem süddeutschen Or-
San nachzuweisen. Und selbst die Ultramontanen rückten blos verblümt und
versuchsweise mit dieser Idee hervor, indem sie Oestreich nannten und Rom
meinten. Denn an Oestreich in Italien ist ihnen offenbar sehr wenig gelegen,
Wol dagegen sehr viel daran, daß die römische staatliche Wirthschaft nicht
etwa unsanft berührt werde, wohin die italienische Frage im Beginn ihrer
jetzigen Phase allerdings stark genug neigte. Wäre es ihnen nun gelungen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/159>, abgerufen am 22.12.2024.