Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.Werde, namentlich aber,-daß schon ihr bloßer Eintritt jene mittelstaatiiche Po¬ 19* '
Werde, namentlich aber,-daß schon ihr bloßer Eintritt jene mittelstaatiiche Po¬ 19* '
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107204"/> <p xml:id="ID_448" prev="#ID_447" next="#ID_449"> Werde, namentlich aber,-daß schon ihr bloßer Eintritt jene mittelstaatiiche Po¬<lb/> litik zu einiger Mäßigung zurückführen werde, welche bis dahin die verfassungs¬<lb/> feindlichen Principe und die polizeiselige Praxis des größten Bundesstaates<lb/> so eifrig zur Norm genommen hatte. Die langgedrückte Ungeduld erwartete<lb/> allerdings diese Consequenzen zu rasch; auch mochte man vielleicht in Preußen<lb/> selbst beim Uebergang in das neue System nicht erwartet haben, so schweren<lb/> Hemmnissen zu begegnen, so lange noch mit Aufräumung übler Erbschaften<lb/> im Ganzen, wie im Detail zu schaffen zu haben, ehe man entschiedenen Griffes<lb/> an die Entwicklung eines gesunden Staatslebens aus dem kranken herantreten<lb/> könnte. In Preußen führte diese ernüchternde Erkenntniß zu dem praktisch<lb/> sicherlich richtigen Entschluß der patriotischen Parteien, jedes Drängen der<lb/> Regierung zu vermeiden. In Südwestdeutschland aber wuchs der alte Arg¬<lb/> wohn, daß ein in sich befriedigtes Preußen seine Beachtung von der nationa¬<lb/> len Frage nunmehr wegwende, daß Preußen sich auf sich zurückziehe, nachdem<lb/> jene Maximen obsolet geworden, welche grade die letzten Momente ihrer Herr¬<lb/> schaft mit einer „zukunftpolitischen" Literatur bezeichnet hatten, die über „Preu¬<lb/> ßens süddeutsches Einflußgebiet" verfügte, wie über Lehnstaaten der Tungusen<lb/> und Tartaren. Der beste Eindruck des Westphalenschen Systems war eine er¬<lb/> oberungslustige Drohung gewesen, welche verheißen hatte, wenn Deutschland<lb/> in preußischem Besitz sei, werde Preußen national werden; der erste Eindruck<lb/> der neuen Politik war, daß Preußen es dem übrigen Deutschland überlasse,<lb/> den moralischen Impulsen des neuen preußischen Lebens zu folgen. Aber<lb/> dazu gehörten andere Voraussetzungen, als sie der deutsche Südwesten bot.<lb/> Während der ganzen neunjährigen Herrschaft des Manteuffel-Westphalenschen<lb/> Systems waren alle etwaige constitutionelle oder nationale Anregungen der<lb/> südwestdeutschen Kammern grade von Berlin aus entweder mit der Revolution<lb/> identificirt oder und spottender Lächerlichmachung behandelt worden; wir er¬<lb/> innern beispielsweise an die parlamentarischen Mahnungen zur Vundesreform<lb/> nach dem orientalischen Krieg in Würtemberg, Baiern, Baden, Hessen, Nassau.<lb/> Von Seite der einheimischen Regierungen war solchen Aeußerungen stets Ver¬<lb/> tagung oder Auflösung gefolgt. Jetzt war, außer der baierischen, keine Landes¬<lb/> vertretung versammelt und also momentan nicht einmal die Möglichkeit gegeben,<lb/> mit Anlehnung an das preußische Beispiel einen ehrlichen Constitutionalismus zu<lb/> fordern. In Baiern aber herrschten Zustände, welche denn doch selbst im<lb/> Südwesten kaum ihres Gleichen fanden. Trotzdem war von einem moralischen<lb/> Einfluß der nunmehrigen preußischen Principe auf die Mittel- und kleinstaat¬<lb/> liche Regierungspraxis weder hier noch sonst im deutschen Südwesten etwas<lb/> M verspüren. Ja die officielle und subvenirte Presse aller Einzelstaaten schien<lb/> absichtlich darauf bedacht, das nationale Element des preußischen Umschwunges,<lb/> das Hervortreten des ehrlichen Rechtsstaates in den Hintergrund zu drängen,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 19* '</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0157]
Werde, namentlich aber,-daß schon ihr bloßer Eintritt jene mittelstaatiiche Po¬
litik zu einiger Mäßigung zurückführen werde, welche bis dahin die verfassungs¬
feindlichen Principe und die polizeiselige Praxis des größten Bundesstaates
so eifrig zur Norm genommen hatte. Die langgedrückte Ungeduld erwartete
allerdings diese Consequenzen zu rasch; auch mochte man vielleicht in Preußen
selbst beim Uebergang in das neue System nicht erwartet haben, so schweren
Hemmnissen zu begegnen, so lange noch mit Aufräumung übler Erbschaften
im Ganzen, wie im Detail zu schaffen zu haben, ehe man entschiedenen Griffes
an die Entwicklung eines gesunden Staatslebens aus dem kranken herantreten
könnte. In Preußen führte diese ernüchternde Erkenntniß zu dem praktisch
sicherlich richtigen Entschluß der patriotischen Parteien, jedes Drängen der
Regierung zu vermeiden. In Südwestdeutschland aber wuchs der alte Arg¬
wohn, daß ein in sich befriedigtes Preußen seine Beachtung von der nationa¬
len Frage nunmehr wegwende, daß Preußen sich auf sich zurückziehe, nachdem
jene Maximen obsolet geworden, welche grade die letzten Momente ihrer Herr¬
schaft mit einer „zukunftpolitischen" Literatur bezeichnet hatten, die über „Preu¬
ßens süddeutsches Einflußgebiet" verfügte, wie über Lehnstaaten der Tungusen
und Tartaren. Der beste Eindruck des Westphalenschen Systems war eine er¬
oberungslustige Drohung gewesen, welche verheißen hatte, wenn Deutschland
in preußischem Besitz sei, werde Preußen national werden; der erste Eindruck
der neuen Politik war, daß Preußen es dem übrigen Deutschland überlasse,
den moralischen Impulsen des neuen preußischen Lebens zu folgen. Aber
dazu gehörten andere Voraussetzungen, als sie der deutsche Südwesten bot.
Während der ganzen neunjährigen Herrschaft des Manteuffel-Westphalenschen
Systems waren alle etwaige constitutionelle oder nationale Anregungen der
südwestdeutschen Kammern grade von Berlin aus entweder mit der Revolution
identificirt oder und spottender Lächerlichmachung behandelt worden; wir er¬
innern beispielsweise an die parlamentarischen Mahnungen zur Vundesreform
nach dem orientalischen Krieg in Würtemberg, Baiern, Baden, Hessen, Nassau.
Von Seite der einheimischen Regierungen war solchen Aeußerungen stets Ver¬
tagung oder Auflösung gefolgt. Jetzt war, außer der baierischen, keine Landes¬
vertretung versammelt und also momentan nicht einmal die Möglichkeit gegeben,
mit Anlehnung an das preußische Beispiel einen ehrlichen Constitutionalismus zu
fordern. In Baiern aber herrschten Zustände, welche denn doch selbst im
Südwesten kaum ihres Gleichen fanden. Trotzdem war von einem moralischen
Einfluß der nunmehrigen preußischen Principe auf die Mittel- und kleinstaat¬
liche Regierungspraxis weder hier noch sonst im deutschen Südwesten etwas
M verspüren. Ja die officielle und subvenirte Presse aller Einzelstaaten schien
absichtlich darauf bedacht, das nationale Element des preußischen Umschwunges,
das Hervortreten des ehrlichen Rechtsstaates in den Hintergrund zu drängen,
19* '
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |