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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Oestreich war nun zunächst von der Kriegsdrohung betroffen, von welcher
im ersten Moment des Alarms niemand mit Bestimmtheit sagen konnte, ob
sie blos dessen italienische Beziehungen berühren solle, oder ob nicht wenigstens
sofort jener Winkel Deutschlands in unmittelbare Mitleidenschaft gezogen werde,
in welchem es mit Oestreich und der Schweiz zusammengrenzt. Seit Jahren
aber waren die zarten Rücksichten der südwestdeutschen Grenzstaaten gegen den
Imperialismus nur gewachsen, und die Besorgniß des Publicums, daß jetzt
aus lauter Rücksicht nicht an jeder Stelle die volle Pflicht gethan werde, um
der gemeinsamen Bedrohung des Vaterlandes energisch zu begegnen, oder
wenigstens nicht rechtzeitig, war nicht ohne innere Berechtigung. Dazu haben
die einflußreichen Beziehungen Rußlands, welches der Süddeutsche seit der
Stuttgarter Kaiserconferenz nur als festen Alliirten des Napoleonismus denkt,
gleichzeitig seit dem Ende des orientalischen Krieges immer festeren Fuß im
Südwesten gefaßt. Dann endlich war dem Süddeutschen von vornherein die
künstlich aufgewirbelte Verwicklung gar keine östreichisch-italienische, sondern
weit unmittelbarer eine französisch-rheinländische Frage.

Denn darauf, daß das linke Rheinland das eigentliche Ziel napoleonischer
Politik, hat die öffentliche Meinung des deutschen Südwestens nicht etwa erst
seit der ominösen Neujahrsfloskel des Kaisers seine Ueberzeugungen, sondern
seit Jahren' fast schon sein Leben gerichtet. In diesem gewissermaßen instinc-
tiven Bewußtsein beruhete weit nichr als in den genugsam durchgeredeten
sonstigen Gründen jener noch heute unbeschwichtigte Widerwille gegen die kehlcr
Rheinbrücke und gegen Rheinbrücken überhaupt, wie gegen die von Frankreich
so eifrig betriebenen Schutzverträge für Literatur-, Bilder-, Fabrikstempeleigen¬
thum. In diesem Gefühl haben sich Hunderte von jenen tausend und aber¬
tausend täglichen und persönlichen Beziehungen über die politische Grenze
herüber und hinüber allmälig gelockert oder verloren, weiche letztere vor dem
neunapoleonischcn Regiment bis zur Unerkennbarkeit ihrer Linie überflochten.
In diesem Bewußtsein ist jene frühere, fast bedenkliche Sympathie für Frank¬
reich wirklich abgestorben und in ihr Gegentheil umgeschlagen, welche nament¬
lich der lurksrheinischen Pfalz und Mainz noch vor verhältnißmäßig wenigen
Jahren mit Recht zum nationalen Vorwurf gemacht wurde.

Wenn aber das südwestdeutsche Drängen nach einer sofortigen demon¬
strativen Abwehrstellung Deutschlands an manchen Stellen den Anschein ge¬
wann, als sei es gewissermaßen aus Mißstimmung gegen Preußen hervor¬
gegangen -- so muß man nicht blos den Moment ins Auge fassen, unter
dem die nationale höchste Gefahr über uns hereinzubrechen drohte, sondern
auch', was unmittelbar voranging. Die Regicrungsveründerung in Preußen
war im ganzen Südwesten mit der freudigen Zuversicht bewillkommt worden,
daß sie die Frage der nationalen Reform sofort auf die Tagesordnung setzen


Oestreich war nun zunächst von der Kriegsdrohung betroffen, von welcher
im ersten Moment des Alarms niemand mit Bestimmtheit sagen konnte, ob
sie blos dessen italienische Beziehungen berühren solle, oder ob nicht wenigstens
sofort jener Winkel Deutschlands in unmittelbare Mitleidenschaft gezogen werde,
in welchem es mit Oestreich und der Schweiz zusammengrenzt. Seit Jahren
aber waren die zarten Rücksichten der südwestdeutschen Grenzstaaten gegen den
Imperialismus nur gewachsen, und die Besorgniß des Publicums, daß jetzt
aus lauter Rücksicht nicht an jeder Stelle die volle Pflicht gethan werde, um
der gemeinsamen Bedrohung des Vaterlandes energisch zu begegnen, oder
wenigstens nicht rechtzeitig, war nicht ohne innere Berechtigung. Dazu haben
die einflußreichen Beziehungen Rußlands, welches der Süddeutsche seit der
Stuttgarter Kaiserconferenz nur als festen Alliirten des Napoleonismus denkt,
gleichzeitig seit dem Ende des orientalischen Krieges immer festeren Fuß im
Südwesten gefaßt. Dann endlich war dem Süddeutschen von vornherein die
künstlich aufgewirbelte Verwicklung gar keine östreichisch-italienische, sondern
weit unmittelbarer eine französisch-rheinländische Frage.

Denn darauf, daß das linke Rheinland das eigentliche Ziel napoleonischer
Politik, hat die öffentliche Meinung des deutschen Südwestens nicht etwa erst
seit der ominösen Neujahrsfloskel des Kaisers seine Ueberzeugungen, sondern
seit Jahren' fast schon sein Leben gerichtet. In diesem gewissermaßen instinc-
tiven Bewußtsein beruhete weit nichr als in den genugsam durchgeredeten
sonstigen Gründen jener noch heute unbeschwichtigte Widerwille gegen die kehlcr
Rheinbrücke und gegen Rheinbrücken überhaupt, wie gegen die von Frankreich
so eifrig betriebenen Schutzverträge für Literatur-, Bilder-, Fabrikstempeleigen¬
thum. In diesem Gefühl haben sich Hunderte von jenen tausend und aber¬
tausend täglichen und persönlichen Beziehungen über die politische Grenze
herüber und hinüber allmälig gelockert oder verloren, weiche letztere vor dem
neunapoleonischcn Regiment bis zur Unerkennbarkeit ihrer Linie überflochten.
In diesem Bewußtsein ist jene frühere, fast bedenkliche Sympathie für Frank¬
reich wirklich abgestorben und in ihr Gegentheil umgeschlagen, welche nament¬
lich der lurksrheinischen Pfalz und Mainz noch vor verhältnißmäßig wenigen
Jahren mit Recht zum nationalen Vorwurf gemacht wurde.

Wenn aber das südwestdeutsche Drängen nach einer sofortigen demon¬
strativen Abwehrstellung Deutschlands an manchen Stellen den Anschein ge¬
wann, als sei es gewissermaßen aus Mißstimmung gegen Preußen hervor¬
gegangen — so muß man nicht blos den Moment ins Auge fassen, unter
dem die nationale höchste Gefahr über uns hereinzubrechen drohte, sondern
auch', was unmittelbar voranging. Die Regicrungsveründerung in Preußen
war im ganzen Südwesten mit der freudigen Zuversicht bewillkommt worden,
daß sie die Frage der nationalen Reform sofort auf die Tagesordnung setzen


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[0156] Oestreich war nun zunächst von der Kriegsdrohung betroffen, von welcher im ersten Moment des Alarms niemand mit Bestimmtheit sagen konnte, ob sie blos dessen italienische Beziehungen berühren solle, oder ob nicht wenigstens sofort jener Winkel Deutschlands in unmittelbare Mitleidenschaft gezogen werde, in welchem es mit Oestreich und der Schweiz zusammengrenzt. Seit Jahren aber waren die zarten Rücksichten der südwestdeutschen Grenzstaaten gegen den Imperialismus nur gewachsen, und die Besorgniß des Publicums, daß jetzt aus lauter Rücksicht nicht an jeder Stelle die volle Pflicht gethan werde, um der gemeinsamen Bedrohung des Vaterlandes energisch zu begegnen, oder wenigstens nicht rechtzeitig, war nicht ohne innere Berechtigung. Dazu haben die einflußreichen Beziehungen Rußlands, welches der Süddeutsche seit der Stuttgarter Kaiserconferenz nur als festen Alliirten des Napoleonismus denkt, gleichzeitig seit dem Ende des orientalischen Krieges immer festeren Fuß im Südwesten gefaßt. Dann endlich war dem Süddeutschen von vornherein die künstlich aufgewirbelte Verwicklung gar keine östreichisch-italienische, sondern weit unmittelbarer eine französisch-rheinländische Frage. Denn darauf, daß das linke Rheinland das eigentliche Ziel napoleonischer Politik, hat die öffentliche Meinung des deutschen Südwestens nicht etwa erst seit der ominösen Neujahrsfloskel des Kaisers seine Ueberzeugungen, sondern seit Jahren' fast schon sein Leben gerichtet. In diesem gewissermaßen instinc- tiven Bewußtsein beruhete weit nichr als in den genugsam durchgeredeten sonstigen Gründen jener noch heute unbeschwichtigte Widerwille gegen die kehlcr Rheinbrücke und gegen Rheinbrücken überhaupt, wie gegen die von Frankreich so eifrig betriebenen Schutzverträge für Literatur-, Bilder-, Fabrikstempeleigen¬ thum. In diesem Gefühl haben sich Hunderte von jenen tausend und aber¬ tausend täglichen und persönlichen Beziehungen über die politische Grenze herüber und hinüber allmälig gelockert oder verloren, weiche letztere vor dem neunapoleonischcn Regiment bis zur Unerkennbarkeit ihrer Linie überflochten. In diesem Bewußtsein ist jene frühere, fast bedenkliche Sympathie für Frank¬ reich wirklich abgestorben und in ihr Gegentheil umgeschlagen, welche nament¬ lich der lurksrheinischen Pfalz und Mainz noch vor verhältnißmäßig wenigen Jahren mit Recht zum nationalen Vorwurf gemacht wurde. Wenn aber das südwestdeutsche Drängen nach einer sofortigen demon¬ strativen Abwehrstellung Deutschlands an manchen Stellen den Anschein ge¬ wann, als sei es gewissermaßen aus Mißstimmung gegen Preußen hervor¬ gegangen — so muß man nicht blos den Moment ins Auge fassen, unter dem die nationale höchste Gefahr über uns hereinzubrechen drohte, sondern auch', was unmittelbar voranging. Die Regicrungsveründerung in Preußen war im ganzen Südwesten mit der freudigen Zuversicht bewillkommt worden, daß sie die Frage der nationalen Reform sofort auf die Tagesordnung setzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/156>, abgerufen am 22.12.2024.