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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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an und suchten die Wuth der Verfolger von ihnen abzulenken; aber was
vermochte ihr Ansehe", .da die Leidenschaften wild entfesselt waren?

Als im Jahr 1161 in Böhmen eine ansteckende Krankheit ausbrach und
am Anfange verhältnißmäßig wenige Juden dahinraffte, beschuldigte man sie,
die Brunnen und Quellen vergiftet zu haben, verbrannte fünfundachtzig Juden und
warf ihre Asche in die Moldau. Am Ende des dreizehnten Jahrhunderts durch¬
zog ein Ritter, Rindfleisch mit Namen, die Städte Frankens und Schwabens,
sammelte große Volkshaufen um sich und forderte zur Vertilgung der Juden
auf. Einen gleichen Raub- und Mordkricg unternahm im Jahr 1337 in den
Rheingegenden ein Bauer Armleder aus dem Nassauischen, an der Spitze
einer Rotte von Bauern und Edelleuten.

Die allgemeinste Verfolgung fand aber in der Mitte des vierzehnten Jahr¬
hunderts zu gleicher Zeit in Italien. Frankreich und Deutschland statt. Als
die verheerende Pest,'eine bis dahin ungekannte Krankheit, in allen Theilen
Europas ihre zahlreichen Opfer forderte, da sollten es, ebenso wie in unserm
Jahrhundert beim Ausbruch der Cholera, die Juden sein, welche die Brunnen
vergiftet hatten, um ihre Feinde, die Christen zu todten. In allen Ländern
des Abendlandes beherrschte derselbe Wahn das Volk und erzeugte die zügel¬
losesten Verfolgungen. Man spannte die Juden auf die Folter und erhielt das
gewünschte Geständniß, daß sie diese Krankheit durch einen Giftstaub erzeugt
hätten, man fand in den Brunnen Säckchen mit Gift und der Beweis, daß
die Juden die Thäter seien, war leicht geführt und die Verfolgung gerecht¬
fertigt.

Aber auch andere Vorwände wurden gesucht und gefunden, um ihnen
nach dem Leben und Vermögen zu trachten. Jahrhunderte hindurch wirft
Man ihnen in den verschiedensten Theilen der Welt dieselben Verbrechen gegen
das Leben der Christen und die Heiligkeit der christlichen Religion vor, sei
es aus irrgeleitetem, abergläubischen Fanatismus, sei es mit Bewußt¬
sein der Lüge aus böswilliger Verfolgungssucht. Seit dem dreizehnten
Jahrhundert kehren immer dieselben Anschuldigungen wieder, zu welchen
die Juden wol nur in den seltensten Fällen einen Anlaß gegeben haben
mögen. Einsichtige Kaiser und LandeslMn, vorurtheilsfreie Männer, ja
selbst die Päpste treten diesen Behauptungen entgegen, um ihre Grund¬
losigkeit darzuthun: aber in einer Zeit allgemeiner Rohheit und Verfinsterung
vermag das Wort der Höchsten und Ersten nichts gegen den allgemeinen
Aberglauben.

Besonders häusig ist die Beschuldigung, daß sie Christenkinder zur Zeit
des Passahfestes getötet hätten, um sich mit ihrem Blut zu bestreichen. Als
eine solche Klage im Jahr 1236 vor Friedrich den Zweiten kam, erklärte der
fVigcistige Kaiser zuerst, man solle die Kinder beerdigen, und als die Kläger


an und suchten die Wuth der Verfolger von ihnen abzulenken; aber was
vermochte ihr Ansehe», .da die Leidenschaften wild entfesselt waren?

Als im Jahr 1161 in Böhmen eine ansteckende Krankheit ausbrach und
am Anfange verhältnißmäßig wenige Juden dahinraffte, beschuldigte man sie,
die Brunnen und Quellen vergiftet zu haben, verbrannte fünfundachtzig Juden und
warf ihre Asche in die Moldau. Am Ende des dreizehnten Jahrhunderts durch¬
zog ein Ritter, Rindfleisch mit Namen, die Städte Frankens und Schwabens,
sammelte große Volkshaufen um sich und forderte zur Vertilgung der Juden
auf. Einen gleichen Raub- und Mordkricg unternahm im Jahr 1337 in den
Rheingegenden ein Bauer Armleder aus dem Nassauischen, an der Spitze
einer Rotte von Bauern und Edelleuten.

Die allgemeinste Verfolgung fand aber in der Mitte des vierzehnten Jahr¬
hunderts zu gleicher Zeit in Italien. Frankreich und Deutschland statt. Als
die verheerende Pest,'eine bis dahin ungekannte Krankheit, in allen Theilen
Europas ihre zahlreichen Opfer forderte, da sollten es, ebenso wie in unserm
Jahrhundert beim Ausbruch der Cholera, die Juden sein, welche die Brunnen
vergiftet hatten, um ihre Feinde, die Christen zu todten. In allen Ländern
des Abendlandes beherrschte derselbe Wahn das Volk und erzeugte die zügel¬
losesten Verfolgungen. Man spannte die Juden auf die Folter und erhielt das
gewünschte Geständniß, daß sie diese Krankheit durch einen Giftstaub erzeugt
hätten, man fand in den Brunnen Säckchen mit Gift und der Beweis, daß
die Juden die Thäter seien, war leicht geführt und die Verfolgung gerecht¬
fertigt.

Aber auch andere Vorwände wurden gesucht und gefunden, um ihnen
nach dem Leben und Vermögen zu trachten. Jahrhunderte hindurch wirft
Man ihnen in den verschiedensten Theilen der Welt dieselben Verbrechen gegen
das Leben der Christen und die Heiligkeit der christlichen Religion vor, sei
es aus irrgeleitetem, abergläubischen Fanatismus, sei es mit Bewußt¬
sein der Lüge aus böswilliger Verfolgungssucht. Seit dem dreizehnten
Jahrhundert kehren immer dieselben Anschuldigungen wieder, zu welchen
die Juden wol nur in den seltensten Fällen einen Anlaß gegeben haben
mögen. Einsichtige Kaiser und LandeslMn, vorurtheilsfreie Männer, ja
selbst die Päpste treten diesen Behauptungen entgegen, um ihre Grund¬
losigkeit darzuthun: aber in einer Zeit allgemeiner Rohheit und Verfinsterung
vermag das Wort der Höchsten und Ersten nichts gegen den allgemeinen
Aberglauben.

Besonders häusig ist die Beschuldigung, daß sie Christenkinder zur Zeit
des Passahfestes getötet hätten, um sich mit ihrem Blut zu bestreichen. Als
eine solche Klage im Jahr 1236 vor Friedrich den Zweiten kam, erklärte der
fVigcistige Kaiser zuerst, man solle die Kinder beerdigen, und als die Kläger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/151>, abgerufen am 22.12.2024.