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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Risiko abnehmen, hieße an den allermeisten Orten, die Sache für immer
vertagen.

Aber wäre dem auch nicht so, fänden sich die Elemente zu Organisationen,
gleich der erfurter auch überall vor: nie und nimmer würde der Unterzeich¬
nete von dem von ihm an die Spitze des Systems gestellten Grundsatz der
Selbsthilfe, den die erfurter Einrichtungen, wie wir gesehn haben, wesentlich
alteriren, das Mindeste aufgeben. Allerdings wird den Leuten dadurch die
Schwierigkeit der ersten Einrichtung, die Mühe der Verwaltung, so wie das
Risiko gespart, auch kann das Geschäft, sofort mit größern Mitteln und
Nachdruck, statt der kleinen Anfänge unsrer Associationen aus dem Engen
heraus, begonnen werden. Allein werden nicht diese etwaigen Vortheile über¬
reichlich dadurch aufgewogen, daß die unbemittelten Theilnehmer, die kleinen
Leute, auf diese Weise stets abhängig bleiben von dem guten Willen ihrer ver¬
mögenden Genossen, nie sich zur Selbstverwaltung, zum Augriff der Sache
aus eigner Kraft erheben? -- Jenes Risiko, jene mühseligen Anfänge sind ja
grade die unerläßliche Schule, sich zur Selbstständigkeit emporzuschwingen, und
die damit unzertrennlich verbundene Arbeit und Gefahr, das Gewöhnen an
die eigne Verantwortlichkeit der einzige Weg, der am Ende zu einer gesicherten
Existenz, zur Bewältigung der dem Aufschwung des Gewerbebetriebes im
Kleinen entgegenstehenden Schwierigkeiten führt. Weit entfernt also, einer
wirklichen dauernden Hebung der arbeitenden Classen im höhern Grade för¬
derlich zu sein, als unsere Associationen, stehn die erfurter Einrichtungen in
dieser Hinsicht vielmehr offenbar zurück. Ja in einigen Beziehungen schaden
sie sogar diesem Zweck entschieden. Um sich dies klar zu machen, wird man
unter den verschiedenen Aufgaben, welche man in Erfurt zu vereinigen denkt,
unterscheiden müssen. In so weit es sich nämlich blos um Anschaffung allgemein
nothwendiger Consumartikel handelt (Mehl, Brot, Heizmaterial ze.), geht der
Vortheil der Gründer mit dem der übrigen Mitglieder Hand in Hand, weil
alle dieser Gegenstände bedürfen und man sie desto billiger und besser
bezieht, je mehr das Geschäft im Großen betrieben werden kann, je mehr
Mitglieder aus allen Ständen sich dazu verewigen. Verlieren hier auch die
unbemittelten Mitglieder ihren Theil an der Leitung der Geschäfte, so mag
dies allenfalls noch hingehn, indem sie sämmtlich dabei, ebenso wie die Stifter,
nur als Consumenten in Betracht kommen, denen zunächst mit weiter nichts
als der möglichst billigen und bessern Versorgung mit gewissen Artikeln des
allgemeinen Verbrauchs gedient ist. Anders aber wird das Sachverhältniß,
sobald es auf Befriedigung eines Bedürfnisses ankommt, welches nicht allen
Mitgliedern gemein ist, sondern ganz speciell zu der Production, dem Geschäfts¬
betrieb gewisser Arbciterbranchcn in Bezug steht, z. B. die Beschaffung von
Rohstoffen für gewisse Handwerker, wie des Leders für die Schuhmacher, des


Risiko abnehmen, hieße an den allermeisten Orten, die Sache für immer
vertagen.

Aber wäre dem auch nicht so, fänden sich die Elemente zu Organisationen,
gleich der erfurter auch überall vor: nie und nimmer würde der Unterzeich¬
nete von dem von ihm an die Spitze des Systems gestellten Grundsatz der
Selbsthilfe, den die erfurter Einrichtungen, wie wir gesehn haben, wesentlich
alteriren, das Mindeste aufgeben. Allerdings wird den Leuten dadurch die
Schwierigkeit der ersten Einrichtung, die Mühe der Verwaltung, so wie das
Risiko gespart, auch kann das Geschäft, sofort mit größern Mitteln und
Nachdruck, statt der kleinen Anfänge unsrer Associationen aus dem Engen
heraus, begonnen werden. Allein werden nicht diese etwaigen Vortheile über¬
reichlich dadurch aufgewogen, daß die unbemittelten Theilnehmer, die kleinen
Leute, auf diese Weise stets abhängig bleiben von dem guten Willen ihrer ver¬
mögenden Genossen, nie sich zur Selbstverwaltung, zum Augriff der Sache
aus eigner Kraft erheben? — Jenes Risiko, jene mühseligen Anfänge sind ja
grade die unerläßliche Schule, sich zur Selbstständigkeit emporzuschwingen, und
die damit unzertrennlich verbundene Arbeit und Gefahr, das Gewöhnen an
die eigne Verantwortlichkeit der einzige Weg, der am Ende zu einer gesicherten
Existenz, zur Bewältigung der dem Aufschwung des Gewerbebetriebes im
Kleinen entgegenstehenden Schwierigkeiten führt. Weit entfernt also, einer
wirklichen dauernden Hebung der arbeitenden Classen im höhern Grade för¬
derlich zu sein, als unsere Associationen, stehn die erfurter Einrichtungen in
dieser Hinsicht vielmehr offenbar zurück. Ja in einigen Beziehungen schaden
sie sogar diesem Zweck entschieden. Um sich dies klar zu machen, wird man
unter den verschiedenen Aufgaben, welche man in Erfurt zu vereinigen denkt,
unterscheiden müssen. In so weit es sich nämlich blos um Anschaffung allgemein
nothwendiger Consumartikel handelt (Mehl, Brot, Heizmaterial ze.), geht der
Vortheil der Gründer mit dem der übrigen Mitglieder Hand in Hand, weil
alle dieser Gegenstände bedürfen und man sie desto billiger und besser
bezieht, je mehr das Geschäft im Großen betrieben werden kann, je mehr
Mitglieder aus allen Ständen sich dazu verewigen. Verlieren hier auch die
unbemittelten Mitglieder ihren Theil an der Leitung der Geschäfte, so mag
dies allenfalls noch hingehn, indem sie sämmtlich dabei, ebenso wie die Stifter,
nur als Consumenten in Betracht kommen, denen zunächst mit weiter nichts
als der möglichst billigen und bessern Versorgung mit gewissen Artikeln des
allgemeinen Verbrauchs gedient ist. Anders aber wird das Sachverhältniß,
sobald es auf Befriedigung eines Bedürfnisses ankommt, welches nicht allen
Mitgliedern gemein ist, sondern ganz speciell zu der Production, dem Geschäfts¬
betrieb gewisser Arbciterbranchcn in Bezug steht, z. B. die Beschaffung von
Rohstoffen für gewisse Handwerker, wie des Leders für die Schuhmacher, des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/15>, abgerufen am 22.12.2024.