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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Christenthumsund der Kirche gegen sie aussprechen: sie sollen kein Kirchengut,
Silber, Gold oder sonst etwas, was der Kirche gehört, weder zu Eigenthum
noch als Pfand annehmen; die Uebertretung des Gebots wird mit dem Ver¬
lust der rechten Hand und des Vermögens bestraft; kein Jude soll einen Christen
der Schuldknechtschaft unterwerfen; er soll keine Münze in seinem Hause haben
und keine Nahrungsmittel verkaufen.

Nach dem Innern Deutschlands scheinen die Juden erst unter den spätern
Karolingern gekommen zu sein; denn in den bis in den Anfang des neunten
Jahrhunderts hinein entstandenen Gesetzbüchern der Deutschland bewohnenden
Stämme wird der Juden nirgend gedacht. In größerer Zahl scheinen sie sich
in Deutschland erst angesiedelt zu haben, als das städtische Leben und der
Handel emporkam; in den Städten längs des Rheins und der Donau, wo
sie ihren Gewerben am bequemsten nachgehn konnten, werden sie zuerst
erwähnt.

Ueberall im deutschen Reiche, mochten sich die Juden in einem Gebiet
niedergelassen haben, welches unmittelbar dem deutschen Kaiser unterworfen
war, oder in einem Lande oder in einer Stadt wohnen, weiche einen besondern
Herrn hatten, standen sie unter dem Schutz des Kaisers. Die spätere Sage
führte diesen Schutz auf Kaiser Vespasianus zurück, welcher durch Ertheilung
desselben dem Juden Josephus seinen Dank dafür bezeugen wollte, daß > er
seinen Sohn Titus von der Gicht geheilt hatte. Der Grund dieses allgemeinen
kaiserlichen Schutzes ist, daß die Juden als Fremde angesehen wurden, welche
niemals ein wahres Bürgerrecht in der Gemeinde erwerben konnten, und da¬
her keiner Nechtsgcnossenschaft angehörten, innerhalb deren ihre Rechte allgemein
geschützt wurden. Ebenso wie der Fremde in der ältern Zeit an sich rechtlos
ist, so auch der Jude; er kann nur dadurch eine rechtliche Sicherheit erlangen,
daß der Kaiser ihm seinen Schutz angedeihen läßt. Aber der Schutz des Kai¬
sers und später des Landesherrn, hat nicht dieselbe Bedeutung, wie der Schutz
des Gesetzes; wenn auch der Kaiser ihn gegen Angriffe von außen her sichert,
so bleibt er doch dem kaiserlichen Willen und seiner Willkür schonungslos
Preis gegeben.

In den Landfrieden verbieten die Kaiser seit dein Beginn des zwölften Jahr¬
hunderts ebenso die Bedrückungen der Juden, wie der-Witwen und Waisen,
der Kirchen und der Geistlichkeit. Wer einen Juden in religiösem Fanatis-
Mus verfolgt, solle als Landfriedensbrecher, ebenso als wenn er einen Christen
verletzt hätte, bestraft werden. Die Kaiser stellen die Juden unter die beson¬
dere Obhut ihrer Beamten und begünstigen nicht die Excesse, in welchen National¬
haß oder religiöse Beschränktheit, Hang zu wilder Grausamkeit oder das Ver¬
langen nach fremden Reichthümern sich Luft machte. Sie versprechen, sich
selbst aller Feindseligkeiten gegen die Juden zu enthalten und fordern biswei-


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Christenthumsund der Kirche gegen sie aussprechen: sie sollen kein Kirchengut,
Silber, Gold oder sonst etwas, was der Kirche gehört, weder zu Eigenthum
noch als Pfand annehmen; die Uebertretung des Gebots wird mit dem Ver¬
lust der rechten Hand und des Vermögens bestraft; kein Jude soll einen Christen
der Schuldknechtschaft unterwerfen; er soll keine Münze in seinem Hause haben
und keine Nahrungsmittel verkaufen.

Nach dem Innern Deutschlands scheinen die Juden erst unter den spätern
Karolingern gekommen zu sein; denn in den bis in den Anfang des neunten
Jahrhunderts hinein entstandenen Gesetzbüchern der Deutschland bewohnenden
Stämme wird der Juden nirgend gedacht. In größerer Zahl scheinen sie sich
in Deutschland erst angesiedelt zu haben, als das städtische Leben und der
Handel emporkam; in den Städten längs des Rheins und der Donau, wo
sie ihren Gewerben am bequemsten nachgehn konnten, werden sie zuerst
erwähnt.

Ueberall im deutschen Reiche, mochten sich die Juden in einem Gebiet
niedergelassen haben, welches unmittelbar dem deutschen Kaiser unterworfen
war, oder in einem Lande oder in einer Stadt wohnen, weiche einen besondern
Herrn hatten, standen sie unter dem Schutz des Kaisers. Die spätere Sage
führte diesen Schutz auf Kaiser Vespasianus zurück, welcher durch Ertheilung
desselben dem Juden Josephus seinen Dank dafür bezeugen wollte, daß > er
seinen Sohn Titus von der Gicht geheilt hatte. Der Grund dieses allgemeinen
kaiserlichen Schutzes ist, daß die Juden als Fremde angesehen wurden, welche
niemals ein wahres Bürgerrecht in der Gemeinde erwerben konnten, und da¬
her keiner Nechtsgcnossenschaft angehörten, innerhalb deren ihre Rechte allgemein
geschützt wurden. Ebenso wie der Fremde in der ältern Zeit an sich rechtlos
ist, so auch der Jude; er kann nur dadurch eine rechtliche Sicherheit erlangen,
daß der Kaiser ihm seinen Schutz angedeihen läßt. Aber der Schutz des Kai¬
sers und später des Landesherrn, hat nicht dieselbe Bedeutung, wie der Schutz
des Gesetzes; wenn auch der Kaiser ihn gegen Angriffe von außen her sichert,
so bleibt er doch dem kaiserlichen Willen und seiner Willkür schonungslos
Preis gegeben.

In den Landfrieden verbieten die Kaiser seit dein Beginn des zwölften Jahr¬
hunderts ebenso die Bedrückungen der Juden, wie der-Witwen und Waisen,
der Kirchen und der Geistlichkeit. Wer einen Juden in religiösem Fanatis-
Mus verfolgt, solle als Landfriedensbrecher, ebenso als wenn er einen Christen
verletzt hätte, bestraft werden. Die Kaiser stellen die Juden unter die beson¬
dere Obhut ihrer Beamten und begünstigen nicht die Excesse, in welchen National¬
haß oder religiöse Beschränktheit, Hang zu wilder Grausamkeit oder das Ver¬
langen nach fremden Reichthümern sich Luft machte. Sie versprechen, sich
selbst aller Feindseligkeiten gegen die Juden zu enthalten und fordern biswei-


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[0133] Christenthumsund der Kirche gegen sie aussprechen: sie sollen kein Kirchengut, Silber, Gold oder sonst etwas, was der Kirche gehört, weder zu Eigenthum noch als Pfand annehmen; die Uebertretung des Gebots wird mit dem Ver¬ lust der rechten Hand und des Vermögens bestraft; kein Jude soll einen Christen der Schuldknechtschaft unterwerfen; er soll keine Münze in seinem Hause haben und keine Nahrungsmittel verkaufen. Nach dem Innern Deutschlands scheinen die Juden erst unter den spätern Karolingern gekommen zu sein; denn in den bis in den Anfang des neunten Jahrhunderts hinein entstandenen Gesetzbüchern der Deutschland bewohnenden Stämme wird der Juden nirgend gedacht. In größerer Zahl scheinen sie sich in Deutschland erst angesiedelt zu haben, als das städtische Leben und der Handel emporkam; in den Städten längs des Rheins und der Donau, wo sie ihren Gewerben am bequemsten nachgehn konnten, werden sie zuerst erwähnt. Ueberall im deutschen Reiche, mochten sich die Juden in einem Gebiet niedergelassen haben, welches unmittelbar dem deutschen Kaiser unterworfen war, oder in einem Lande oder in einer Stadt wohnen, weiche einen besondern Herrn hatten, standen sie unter dem Schutz des Kaisers. Die spätere Sage führte diesen Schutz auf Kaiser Vespasianus zurück, welcher durch Ertheilung desselben dem Juden Josephus seinen Dank dafür bezeugen wollte, daß > er seinen Sohn Titus von der Gicht geheilt hatte. Der Grund dieses allgemeinen kaiserlichen Schutzes ist, daß die Juden als Fremde angesehen wurden, welche niemals ein wahres Bürgerrecht in der Gemeinde erwerben konnten, und da¬ her keiner Nechtsgcnossenschaft angehörten, innerhalb deren ihre Rechte allgemein geschützt wurden. Ebenso wie der Fremde in der ältern Zeit an sich rechtlos ist, so auch der Jude; er kann nur dadurch eine rechtliche Sicherheit erlangen, daß der Kaiser ihm seinen Schutz angedeihen läßt. Aber der Schutz des Kai¬ sers und später des Landesherrn, hat nicht dieselbe Bedeutung, wie der Schutz des Gesetzes; wenn auch der Kaiser ihn gegen Angriffe von außen her sichert, so bleibt er doch dem kaiserlichen Willen und seiner Willkür schonungslos Preis gegeben. In den Landfrieden verbieten die Kaiser seit dein Beginn des zwölften Jahr¬ hunderts ebenso die Bedrückungen der Juden, wie der-Witwen und Waisen, der Kirchen und der Geistlichkeit. Wer einen Juden in religiösem Fanatis- Mus verfolgt, solle als Landfriedensbrecher, ebenso als wenn er einen Christen verletzt hätte, bestraft werden. Die Kaiser stellen die Juden unter die beson¬ dere Obhut ihrer Beamten und begünstigen nicht die Excesse, in welchen National¬ haß oder religiöse Beschränktheit, Hang zu wilder Grausamkeit oder das Ver¬ langen nach fremden Reichthümern sich Luft machte. Sie versprechen, sich selbst aller Feindseligkeiten gegen die Juden zu enthalten und fordern biswei- 16*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/133>, abgerufen am 22.12.2024.