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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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nicht blos in kirchlicher, sondern in volksthümlicher Auffassung ein beiden
Kirchen gemeinsamer religiöser Act geworden. Dem einen oder andern stu-
dirten Mann, dem philosophirenden Handwerker oder Maschinenbauer mag
hier und da eine Idee von Civilehestandsregifter und Vertragsschließung ge¬
kommen sein; die große Masse der denkenden und fühlenden Bevölkerung weiß
und will sie nicht, und auch jenen hochgebildeten und philosophirenden Män¬
nern, auch den Hochgestellten, die sich hier versammeln, um Gesetze zu
berathen, bedeutet in mancher kritischen Stunde die Erinnerung an das Ver¬
sprechen am Altar doch etwas mehr als die Erinnerung an einen Wochen-
deputirten und ein Register. Wir versündigen uns an einem tiefen Charakterzug
unserer Nation, wenn wir das Mangel an Bildung nennen wollen; weil wir
so denken, haben wir deutsche Frauen und darum verdienen wir sie zu haben."
Mit vollem Herzen treten wir dieser schönen Ausführung bei, und wenn der
Redner uns den Weg gezeigt Hütte, die Wohlthat der kirchlichen Trauung
jedem Bedürftigen zu gewähren, so würden wir diesen als den allein rich¬
tigen erkannt haben.

Gneist stellt hauptsächlich dem preußischen Staat die Aufgabe, die über¬
haupt der Absolutismus durchzuführen suchte: die sittlichen Elemente der
mittelalterlichen Gesetzgebung aus dem Streit der Konfessionen zu retten, in
seiner höhern Einheit die Kirchensitte zu bewahren und mit ihr in Form und
Volksbewußtsein die Einheit des Rechtlichen und Sittlichen in der Ehe. "Durch
seine Geschichte und Lage gezwungen, ist dieser Staat darin als Muster voran¬
gegangen, hat bald bewußt, bald unbewußt für die Aufgabe der Zukunft
gearbeitet, für die Möglichkeit eines großen deutschen Staats mit der wesent¬
lichen Grundlage der Einheit d. h. einem Eherecht und doch mit zwei selbst¬
ständigen Kirchen, die gleich eng mit dem Volksbewußtsein verbunden, gleiche
Ansprüche auf Selbstständigkeit und Ehre haben." -- "Eine Geistlichkeit, die
im Cölibat lebt und eine Geistlichkeit, welche in der Ehe lebt, werden stets
sehr verschiedene Eherechte wollen. Beiden gegenüber mußte der Staat, wenn
er Herr im Lande bleiben wollte, die Trauung erzwingen." Erst in unsrer
Zeit habe der Staat diese Ansprüche aufgegeben: "und es entwickelte sich nnn
jene heimliche Anarchie, die sich weiter zu förmlichen Verbindungen gegen die
Landesgesetze consolidirte und endlich zu dem seltsamen Irrthum erhob, daß
das kirchliche Aufruhrswort, man müsse Gott mehr gehorchen als den Men¬
schen, zur Grundlage von Institutionen des preußischen Staats werden könne.
Es ist nur Selbsttäuschung zu glauben, daß dieser Zustand geheilt werden
könne durch Ausweichen und weitere Nachgiebigkeit. Die Civilehe, wenn sie
dies bedeuten soll, als dauerndes Institut, zieht scheinbar den Staat aus dem
Conflict, aber nur um die Unterthanen dafür schutzlos den Unterscheidungs¬
lehren, dem Glaubenseifer und der Herrschsucht ihrer geistlichen Oberen zu


nicht blos in kirchlicher, sondern in volksthümlicher Auffassung ein beiden
Kirchen gemeinsamer religiöser Act geworden. Dem einen oder andern stu-
dirten Mann, dem philosophirenden Handwerker oder Maschinenbauer mag
hier und da eine Idee von Civilehestandsregifter und Vertragsschließung ge¬
kommen sein; die große Masse der denkenden und fühlenden Bevölkerung weiß
und will sie nicht, und auch jenen hochgebildeten und philosophirenden Män¬
nern, auch den Hochgestellten, die sich hier versammeln, um Gesetze zu
berathen, bedeutet in mancher kritischen Stunde die Erinnerung an das Ver¬
sprechen am Altar doch etwas mehr als die Erinnerung an einen Wochen-
deputirten und ein Register. Wir versündigen uns an einem tiefen Charakterzug
unserer Nation, wenn wir das Mangel an Bildung nennen wollen; weil wir
so denken, haben wir deutsche Frauen und darum verdienen wir sie zu haben."
Mit vollem Herzen treten wir dieser schönen Ausführung bei, und wenn der
Redner uns den Weg gezeigt Hütte, die Wohlthat der kirchlichen Trauung
jedem Bedürftigen zu gewähren, so würden wir diesen als den allein rich¬
tigen erkannt haben.

Gneist stellt hauptsächlich dem preußischen Staat die Aufgabe, die über¬
haupt der Absolutismus durchzuführen suchte: die sittlichen Elemente der
mittelalterlichen Gesetzgebung aus dem Streit der Konfessionen zu retten, in
seiner höhern Einheit die Kirchensitte zu bewahren und mit ihr in Form und
Volksbewußtsein die Einheit des Rechtlichen und Sittlichen in der Ehe. „Durch
seine Geschichte und Lage gezwungen, ist dieser Staat darin als Muster voran¬
gegangen, hat bald bewußt, bald unbewußt für die Aufgabe der Zukunft
gearbeitet, für die Möglichkeit eines großen deutschen Staats mit der wesent¬
lichen Grundlage der Einheit d. h. einem Eherecht und doch mit zwei selbst¬
ständigen Kirchen, die gleich eng mit dem Volksbewußtsein verbunden, gleiche
Ansprüche auf Selbstständigkeit und Ehre haben." — „Eine Geistlichkeit, die
im Cölibat lebt und eine Geistlichkeit, welche in der Ehe lebt, werden stets
sehr verschiedene Eherechte wollen. Beiden gegenüber mußte der Staat, wenn
er Herr im Lande bleiben wollte, die Trauung erzwingen." Erst in unsrer
Zeit habe der Staat diese Ansprüche aufgegeben: „und es entwickelte sich nnn
jene heimliche Anarchie, die sich weiter zu förmlichen Verbindungen gegen die
Landesgesetze consolidirte und endlich zu dem seltsamen Irrthum erhob, daß
das kirchliche Aufruhrswort, man müsse Gott mehr gehorchen als den Men¬
schen, zur Grundlage von Institutionen des preußischen Staats werden könne.
Es ist nur Selbsttäuschung zu glauben, daß dieser Zustand geheilt werden
könne durch Ausweichen und weitere Nachgiebigkeit. Die Civilehe, wenn sie
dies bedeuten soll, als dauerndes Institut, zieht scheinbar den Staat aus dem
Conflict, aber nur um die Unterthanen dafür schutzlos den Unterscheidungs¬
lehren, dem Glaubenseifer und der Herrschsucht ihrer geistlichen Oberen zu


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[0112] nicht blos in kirchlicher, sondern in volksthümlicher Auffassung ein beiden Kirchen gemeinsamer religiöser Act geworden. Dem einen oder andern stu- dirten Mann, dem philosophirenden Handwerker oder Maschinenbauer mag hier und da eine Idee von Civilehestandsregifter und Vertragsschließung ge¬ kommen sein; die große Masse der denkenden und fühlenden Bevölkerung weiß und will sie nicht, und auch jenen hochgebildeten und philosophirenden Män¬ nern, auch den Hochgestellten, die sich hier versammeln, um Gesetze zu berathen, bedeutet in mancher kritischen Stunde die Erinnerung an das Ver¬ sprechen am Altar doch etwas mehr als die Erinnerung an einen Wochen- deputirten und ein Register. Wir versündigen uns an einem tiefen Charakterzug unserer Nation, wenn wir das Mangel an Bildung nennen wollen; weil wir so denken, haben wir deutsche Frauen und darum verdienen wir sie zu haben." Mit vollem Herzen treten wir dieser schönen Ausführung bei, und wenn der Redner uns den Weg gezeigt Hütte, die Wohlthat der kirchlichen Trauung jedem Bedürftigen zu gewähren, so würden wir diesen als den allein rich¬ tigen erkannt haben. Gneist stellt hauptsächlich dem preußischen Staat die Aufgabe, die über¬ haupt der Absolutismus durchzuführen suchte: die sittlichen Elemente der mittelalterlichen Gesetzgebung aus dem Streit der Konfessionen zu retten, in seiner höhern Einheit die Kirchensitte zu bewahren und mit ihr in Form und Volksbewußtsein die Einheit des Rechtlichen und Sittlichen in der Ehe. „Durch seine Geschichte und Lage gezwungen, ist dieser Staat darin als Muster voran¬ gegangen, hat bald bewußt, bald unbewußt für die Aufgabe der Zukunft gearbeitet, für die Möglichkeit eines großen deutschen Staats mit der wesent¬ lichen Grundlage der Einheit d. h. einem Eherecht und doch mit zwei selbst¬ ständigen Kirchen, die gleich eng mit dem Volksbewußtsein verbunden, gleiche Ansprüche auf Selbstständigkeit und Ehre haben." — „Eine Geistlichkeit, die im Cölibat lebt und eine Geistlichkeit, welche in der Ehe lebt, werden stets sehr verschiedene Eherechte wollen. Beiden gegenüber mußte der Staat, wenn er Herr im Lande bleiben wollte, die Trauung erzwingen." Erst in unsrer Zeit habe der Staat diese Ansprüche aufgegeben: „und es entwickelte sich nnn jene heimliche Anarchie, die sich weiter zu förmlichen Verbindungen gegen die Landesgesetze consolidirte und endlich zu dem seltsamen Irrthum erhob, daß das kirchliche Aufruhrswort, man müsse Gott mehr gehorchen als den Men¬ schen, zur Grundlage von Institutionen des preußischen Staats werden könne. Es ist nur Selbsttäuschung zu glauben, daß dieser Zustand geheilt werden könne durch Ausweichen und weitere Nachgiebigkeit. Die Civilehe, wenn sie dies bedeuten soll, als dauerndes Institut, zieht scheinbar den Staat aus dem Conflict, aber nur um die Unterthanen dafür schutzlos den Unterscheidungs¬ lehren, dem Glaubenseifer und der Herrschsucht ihrer geistlichen Oberen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/112>, abgerufen am 22.12.2024.