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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Kosten der Bergung betrugen 23,000 Realen und das Schiff wurde für
65.000 Realen verkauft. Allein der Hafencommandant setzte für Bergungs¬
kosten 56,000 Realen in Rechnung, lieferte demnach 9000 Realen als Ueber¬
schuß ab und behielt die andern 33,000 Realen als Provision für seine per¬
sönlichen Bemühungen. Eine solche schamlose Handlung ist schlimm genug,
aber das Schlimmste dabei bleibt immer die Oeffentlichkeit, mit welcher der¬
gleichen schmuzige Geschäfte betrieben werden, denn sie zeigen, daß eines der
größten Güter der wirklichen Civilisation, die Controle durch die öffentliche
Meinung, vollständig fehlt. Alle Welt weiß diese Geschichte, und man spricht
davon als von etwas, das sich eben von selbst versteht. Der Posten des
Zollbeamten in Jrun trägt nur den spärlichen Gehalt von 4000 Realen, den¬
noch wird er mit dem größten Eifer gesucht. Denn die auf dem großartigsten
Fuße betriebene Pascherei macht ihn zu einer der einträglichsten Stellen. die
von den madrider Behörden nur besonders Begünstigten vergeben wird.

Wer diese Erscheinungen, wie ich sie zum Theil im Vorstehenden zu schil¬
dern versucht habe, rings um sich her beobachtet, wird der noch im Zweifel
darüber bleiben können, wa,rum alle Anstrengungen, die nunmehr seit einem
halben Jahrhundert gemacht worden sind, Spanien die politische Freiheit zu
erringen, nicht weiter geführt haben, als zu immer neuen krampfhaften Zu¬
ckungen, die wie ein innerliches Fieber die Lebenskraft mehr und mehr schwä¬
chen und abtödten? Nicht aus dem Gebiet der politischen Doctrin ist zunächst
das zu suchen, was Spanien noththut, weder die noch jene Constitution
vermag seine Gebrechen zu heilen, und mögen nun Progressisten oder Modera-
dos oder sonst welche Partei am Nuder sein, das Land verkommt unter den
einen so gut wie unter den andern. Soll es in Spanien besser werden, so
muß der sittliche Zustand des Volkes gehoben werden, es muß arbeiten lernen,
es muß das lebendige Gefühl für Recht und Unrecht wieder finden, es muß
auch über seine materiellen Bedürfnisse und Hilfsquellen aufgeklärt werden,
es muß Vertrauen fassen zur Verwaltung und zur Unparteilichkeit der Rechts¬
pflege. -- lauter Dinge, für die ihm heute die Begriffe ganz und gar ab¬
gehen. Dies ist nach meinen Beobachtungen die erste und vornehmste Auf¬
gabe einer vernünftigen Negierung in Spanien, und nur insofern von einer
liberalen Regierung das Erfassen derselben eher zu hoffen steht, muß man
auch jetzt der liberalen Partei das Uebergewicht im Lande wünschen.




Kosten der Bergung betrugen 23,000 Realen und das Schiff wurde für
65.000 Realen verkauft. Allein der Hafencommandant setzte für Bergungs¬
kosten 56,000 Realen in Rechnung, lieferte demnach 9000 Realen als Ueber¬
schuß ab und behielt die andern 33,000 Realen als Provision für seine per¬
sönlichen Bemühungen. Eine solche schamlose Handlung ist schlimm genug,
aber das Schlimmste dabei bleibt immer die Oeffentlichkeit, mit welcher der¬
gleichen schmuzige Geschäfte betrieben werden, denn sie zeigen, daß eines der
größten Güter der wirklichen Civilisation, die Controle durch die öffentliche
Meinung, vollständig fehlt. Alle Welt weiß diese Geschichte, und man spricht
davon als von etwas, das sich eben von selbst versteht. Der Posten des
Zollbeamten in Jrun trägt nur den spärlichen Gehalt von 4000 Realen, den¬
noch wird er mit dem größten Eifer gesucht. Denn die auf dem großartigsten
Fuße betriebene Pascherei macht ihn zu einer der einträglichsten Stellen. die
von den madrider Behörden nur besonders Begünstigten vergeben wird.

Wer diese Erscheinungen, wie ich sie zum Theil im Vorstehenden zu schil¬
dern versucht habe, rings um sich her beobachtet, wird der noch im Zweifel
darüber bleiben können, wa,rum alle Anstrengungen, die nunmehr seit einem
halben Jahrhundert gemacht worden sind, Spanien die politische Freiheit zu
erringen, nicht weiter geführt haben, als zu immer neuen krampfhaften Zu¬
ckungen, die wie ein innerliches Fieber die Lebenskraft mehr und mehr schwä¬
chen und abtödten? Nicht aus dem Gebiet der politischen Doctrin ist zunächst
das zu suchen, was Spanien noththut, weder die noch jene Constitution
vermag seine Gebrechen zu heilen, und mögen nun Progressisten oder Modera-
dos oder sonst welche Partei am Nuder sein, das Land verkommt unter den
einen so gut wie unter den andern. Soll es in Spanien besser werden, so
muß der sittliche Zustand des Volkes gehoben werden, es muß arbeiten lernen,
es muß das lebendige Gefühl für Recht und Unrecht wieder finden, es muß
auch über seine materiellen Bedürfnisse und Hilfsquellen aufgeklärt werden,
es muß Vertrauen fassen zur Verwaltung und zur Unparteilichkeit der Rechts¬
pflege. — lauter Dinge, für die ihm heute die Begriffe ganz und gar ab¬
gehen. Dies ist nach meinen Beobachtungen die erste und vornehmste Auf¬
gabe einer vernünftigen Negierung in Spanien, und nur insofern von einer
liberalen Regierung das Erfassen derselben eher zu hoffen steht, muß man
auch jetzt der liberalen Partei das Uebergewicht im Lande wünschen.




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[0108] Kosten der Bergung betrugen 23,000 Realen und das Schiff wurde für 65.000 Realen verkauft. Allein der Hafencommandant setzte für Bergungs¬ kosten 56,000 Realen in Rechnung, lieferte demnach 9000 Realen als Ueber¬ schuß ab und behielt die andern 33,000 Realen als Provision für seine per¬ sönlichen Bemühungen. Eine solche schamlose Handlung ist schlimm genug, aber das Schlimmste dabei bleibt immer die Oeffentlichkeit, mit welcher der¬ gleichen schmuzige Geschäfte betrieben werden, denn sie zeigen, daß eines der größten Güter der wirklichen Civilisation, die Controle durch die öffentliche Meinung, vollständig fehlt. Alle Welt weiß diese Geschichte, und man spricht davon als von etwas, das sich eben von selbst versteht. Der Posten des Zollbeamten in Jrun trägt nur den spärlichen Gehalt von 4000 Realen, den¬ noch wird er mit dem größten Eifer gesucht. Denn die auf dem großartigsten Fuße betriebene Pascherei macht ihn zu einer der einträglichsten Stellen. die von den madrider Behörden nur besonders Begünstigten vergeben wird. Wer diese Erscheinungen, wie ich sie zum Theil im Vorstehenden zu schil¬ dern versucht habe, rings um sich her beobachtet, wird der noch im Zweifel darüber bleiben können, wa,rum alle Anstrengungen, die nunmehr seit einem halben Jahrhundert gemacht worden sind, Spanien die politische Freiheit zu erringen, nicht weiter geführt haben, als zu immer neuen krampfhaften Zu¬ ckungen, die wie ein innerliches Fieber die Lebenskraft mehr und mehr schwä¬ chen und abtödten? Nicht aus dem Gebiet der politischen Doctrin ist zunächst das zu suchen, was Spanien noththut, weder die noch jene Constitution vermag seine Gebrechen zu heilen, und mögen nun Progressisten oder Modera- dos oder sonst welche Partei am Nuder sein, das Land verkommt unter den einen so gut wie unter den andern. Soll es in Spanien besser werden, so muß der sittliche Zustand des Volkes gehoben werden, es muß arbeiten lernen, es muß das lebendige Gefühl für Recht und Unrecht wieder finden, es muß auch über seine materiellen Bedürfnisse und Hilfsquellen aufgeklärt werden, es muß Vertrauen fassen zur Verwaltung und zur Unparteilichkeit der Rechts¬ pflege. — lauter Dinge, für die ihm heute die Begriffe ganz und gar ab¬ gehen. Dies ist nach meinen Beobachtungen die erste und vornehmste Auf¬ gabe einer vernünftigen Negierung in Spanien, und nur insofern von einer liberalen Regierung das Erfassen derselben eher zu hoffen steht, muß man auch jetzt der liberalen Partei das Uebergewicht im Lande wünschen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/108>, abgerufen am 22.12.2024.