Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.der That zu einer unglaublichen Fertigkeit gebracht haben. Einen noch wider¬ Im November beginnt in Asturien die Zeit der Auswanderung nach der der That zu einer unglaublichen Fertigkeit gebracht haben. Einen noch wider¬ Im November beginnt in Asturien die Zeit der Auswanderung nach der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107150"/> <p xml:id="ID_277" prev="#ID_276"> der That zu einer unglaublichen Fertigkeit gebracht haben. Einen noch wider¬<lb/> licheren Eindruck als die Kirchen machen die Begräbnißplätze. Ich besuchte kürzlich<lb/> einen derselben, es war ein kleiner viereckiger, von Mauern umschlossener Raum.<lb/> Dorthin werden die Leichen, in ein altes Tuch oder Kleidungsstück eingewickelt,<lb/> gelegt, und etwa einen Fuß hoch mit Erde bedeckt. Fehlt es an Platz, so<lb/> legt man sie übereinander, wie es grade trifft. Manchmal wäscht der Regen<lb/> die dünne Erdschicht weg, und es kommen dann die Gebeine oder Gliedmaßen<lb/> in Ekel erregender Weise zum Vorschein. Gewiß, die Art, wie ein Volk mit<lb/> seinen Todten umgeht, darf als ein sicheres Zeichen seiner ganzen sittlichen<lb/> Cultur angesehen werden. Wie lernt man in solcher. Umgebung die sinnige<lb/> Sorgfalt lieben, die in Deutschland die Stätte der Verwesung mit dem still-<lb/> freundlichen Gewand eines Blumengartens umhüllt! —</p><lb/> <p xml:id="ID_278" next="#ID_279"> Im November beginnt in Asturien die Zeit der Auswanderung nach der<lb/> Habana. Die Hasen von Gijon und Aviles beleben sich dann in ungewöhn¬<lb/> licher Weise. Es ist nämlich von Alters her Sitte, daß die jungen Burschen<lb/> von zwölf bis zwanzig Jahren dorthin auswandern, um ihr Glück zu suchen,<lb/> und womöglich als reiche Leute zurückzukehren. Sobald daher ein Junge<lb/> durch Sparen und Arbeiten Geld genug zusammengebracht hat. um die Ueber¬<lb/> fahrt zu bestreiten, so schifft er sich ein, und seine Ellern sind ihm mit allen<lb/> Kräften behilflich, um dies zu ermöglichen, denn es ist ein förmlicher Stolz<lb/> für sie. einen, zwei, auch noch mehr Söhne in der Habana zu haben. Sie<lb/> fahren zu Anfang des Winters hier fort, um nicht in der heißen Jahreszeit<lb/> drüben anzukommen. Aber trotzdem ist die Sterblichkeit unter diesen jungen<lb/> Auswanderern sowol ans der Reise als in Cuba entsetzlich, man rechnet, daß<lb/> über die Hälfte von ihnen ihr Vaterland nicht wiedersehen, und doch ist ihre<lb/> Anzahl von Jahr zu Jahr im Zunehmen begriffen, weil es zu sehr in die<lb/> Augen sticht, von Zeit zu Zeit einmal einen, der als armer Bursche von zu<lb/> Hause fortgegangen war. als reichen Americano zurückkommen zu sehen. Eine<lb/> Folge dieser fortwährenden Auswanderung ist, daß die männliche Bevölkerung<lb/> Asturiens um vieles schwächer ist als die weibliche, und daß es dem Ackerbau<lb/> und der aufkeimenden Industrie, die beide in diesem Lande den ergiebigsten<lb/> Boden finden könnten, außerordentlich an Armen fehlt. Man kann diese<lb/> Scharen der kräftigsten Leute nicht ohne Jammer so aus ihrer schönen Hei-<lb/> uwth fortziehen sehen, die so dünn bevölkert ist, daß sie die dreifache Anzahl<lb/> der gegenwärtigen Bewohner tragen, ernähren und selbst reich machen könnte,<lb/> aber es ist wie ein dämonischer Zug. der sie dem Tode in einer der ungesun¬<lb/> desten Gegenden der Welt in die Arme treibt. Aber es fehlt einmal dem<lb/> Asturier wie dem Spanier überhaupt die Fähigkeit, im Schweiß seines An¬<lb/> gesichts sein Brot zu verdienen. Genügsam wie er ist, kennt er nicht die rast¬<lb/> lose Betriebsamkeit der germanischen Race, und der Zweck seiner Arbeit ist</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
der That zu einer unglaublichen Fertigkeit gebracht haben. Einen noch wider¬
licheren Eindruck als die Kirchen machen die Begräbnißplätze. Ich besuchte kürzlich
einen derselben, es war ein kleiner viereckiger, von Mauern umschlossener Raum.
Dorthin werden die Leichen, in ein altes Tuch oder Kleidungsstück eingewickelt,
gelegt, und etwa einen Fuß hoch mit Erde bedeckt. Fehlt es an Platz, so
legt man sie übereinander, wie es grade trifft. Manchmal wäscht der Regen
die dünne Erdschicht weg, und es kommen dann die Gebeine oder Gliedmaßen
in Ekel erregender Weise zum Vorschein. Gewiß, die Art, wie ein Volk mit
seinen Todten umgeht, darf als ein sicheres Zeichen seiner ganzen sittlichen
Cultur angesehen werden. Wie lernt man in solcher. Umgebung die sinnige
Sorgfalt lieben, die in Deutschland die Stätte der Verwesung mit dem still-
freundlichen Gewand eines Blumengartens umhüllt! —
Im November beginnt in Asturien die Zeit der Auswanderung nach der
Habana. Die Hasen von Gijon und Aviles beleben sich dann in ungewöhn¬
licher Weise. Es ist nämlich von Alters her Sitte, daß die jungen Burschen
von zwölf bis zwanzig Jahren dorthin auswandern, um ihr Glück zu suchen,
und womöglich als reiche Leute zurückzukehren. Sobald daher ein Junge
durch Sparen und Arbeiten Geld genug zusammengebracht hat. um die Ueber¬
fahrt zu bestreiten, so schifft er sich ein, und seine Ellern sind ihm mit allen
Kräften behilflich, um dies zu ermöglichen, denn es ist ein förmlicher Stolz
für sie. einen, zwei, auch noch mehr Söhne in der Habana zu haben. Sie
fahren zu Anfang des Winters hier fort, um nicht in der heißen Jahreszeit
drüben anzukommen. Aber trotzdem ist die Sterblichkeit unter diesen jungen
Auswanderern sowol ans der Reise als in Cuba entsetzlich, man rechnet, daß
über die Hälfte von ihnen ihr Vaterland nicht wiedersehen, und doch ist ihre
Anzahl von Jahr zu Jahr im Zunehmen begriffen, weil es zu sehr in die
Augen sticht, von Zeit zu Zeit einmal einen, der als armer Bursche von zu
Hause fortgegangen war. als reichen Americano zurückkommen zu sehen. Eine
Folge dieser fortwährenden Auswanderung ist, daß die männliche Bevölkerung
Asturiens um vieles schwächer ist als die weibliche, und daß es dem Ackerbau
und der aufkeimenden Industrie, die beide in diesem Lande den ergiebigsten
Boden finden könnten, außerordentlich an Armen fehlt. Man kann diese
Scharen der kräftigsten Leute nicht ohne Jammer so aus ihrer schönen Hei-
uwth fortziehen sehen, die so dünn bevölkert ist, daß sie die dreifache Anzahl
der gegenwärtigen Bewohner tragen, ernähren und selbst reich machen könnte,
aber es ist wie ein dämonischer Zug. der sie dem Tode in einer der ungesun¬
desten Gegenden der Welt in die Arme treibt. Aber es fehlt einmal dem
Asturier wie dem Spanier überhaupt die Fähigkeit, im Schweiß seines An¬
gesichts sein Brot zu verdienen. Genügsam wie er ist, kennt er nicht die rast¬
lose Betriebsamkeit der germanischen Race, und der Zweck seiner Arbeit ist
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