Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Phalansterien, nichts von Regelung des Handels und der Industrie durch
den Staat, -- kurz nichts von allen jenen verderblichen Theoremen, welche
einst zehntausend Arbeiter auf die pariser Schlachtbank geschickt haben.

Nicht die Einfälle ungebildeter Leute, deren Blick nicht über ihren
eigenen Horizont und ihre persönliche Erfahrung geht, die nicht wissen, daß
es lange" bevor sie zu denken begannen, eine Wissenschaft gab, der die Lösung
der sogenannten socialen Frage zur Aufgabe gestellt ist, -- nicht die Hirn-
gespinnste solcher Socialisten waren es, von welchen die erste Versammlung
deutscher Volkswirthe beherrscht war, -- sondern die Gesetze der Wissenschaft,
welche durch die Erfahrungen der ganzen Weltgeschichte sanctionirt find. Es
war eine Versammlung wissenschaftlich und practisch gebildeter Männer, von
deren klarem Blick jeder socialistische Wahn sofort in der Geburt erstickt wurde.
Wir haben alle Ursache, um so größeren Werth auf diese Thatsuche zu legen,
daß die erste gemeinsame wirthschaftliche Agitation in Deutschland von be¬
währten Vertretern der Wissenschaft geleitet wurde, als eben das furchtbare
Elend, welches Frankreich betroffen hat, vorzugsweise dem Umstand beizu¬
messen ist, daß die Anregung und Agitation zur Reform des socialen Organis¬
mus von unwissenden Dilettanten, von wissenschaftlich ungebildeten Phantasten
ausgegangen ist, während die Männer der Wissenschaft sich anfänglich zurück¬
hielten und erst dann einsahen, wie nothwendig es sei, daß die Wissenschaft
ins Volksleben thätig eingreife, als es bereits zu spät war.

Dieses Gefühl, diese Ueberzeugung, welche sich bewußt oder unbewußt,
mit mehr oder weniger Klarheit der Mehrheit der Versammlung be¬
mächtigt hatte, mochte dazu beigetragen haben, dem Kongreß eine Phy¬
siognomie auszuprägen-, die wir noch bei wenigen deutschen Versammlungen
beobachtet hatten. In summarischer Behandlung der formellen Theile der
Geschäfte konnte die Versammlung jedem amerikanischen Meeting kühn zur
Seite gestellt werden, während die Sachkenntniß in der Behandlung des Stoffes
selbst einem Parlament nur zur Ehre gereicht hätte. Die Mehrzahl der Mit¬
glieder war von der Ueberzeugung durchdrungen, daß sie einen wirklich frucht¬
baren Boden betreten und daß der Weg, den man eingeschlagen, noch zu.
großen und ersprießlichen Erfolgen und Früchten führen müsse. Deshalb
trafen wir auch eine Resignation, ein Zurücktretenlasscn aller persönlichen Rück¬
sichten und Motive, welches die Formulirung der Anträge, die Verständigung
und' die Beschlußfassung ungemein erleichterte.

Zuerst machte sich dieser Geist geltend bei der Berathung der Gewerbe¬
frage. In der Vorbehalte über diesen Gegenstand waren Mittheilungen über
die Zustände der Gewerbe und der Gewerbcverfassung in verschiedenen deut¬
schen Ländern gemacht worden, und hatte zuerst Dr. Boehmert in frischen
Farben die grellen Widersprüche dargestellt, welche die Zunftverfassung in


Phalansterien, nichts von Regelung des Handels und der Industrie durch
den Staat, — kurz nichts von allen jenen verderblichen Theoremen, welche
einst zehntausend Arbeiter auf die pariser Schlachtbank geschickt haben.

Nicht die Einfälle ungebildeter Leute, deren Blick nicht über ihren
eigenen Horizont und ihre persönliche Erfahrung geht, die nicht wissen, daß
es lange" bevor sie zu denken begannen, eine Wissenschaft gab, der die Lösung
der sogenannten socialen Frage zur Aufgabe gestellt ist, — nicht die Hirn-
gespinnste solcher Socialisten waren es, von welchen die erste Versammlung
deutscher Volkswirthe beherrscht war, — sondern die Gesetze der Wissenschaft,
welche durch die Erfahrungen der ganzen Weltgeschichte sanctionirt find. Es
war eine Versammlung wissenschaftlich und practisch gebildeter Männer, von
deren klarem Blick jeder socialistische Wahn sofort in der Geburt erstickt wurde.
Wir haben alle Ursache, um so größeren Werth auf diese Thatsuche zu legen,
daß die erste gemeinsame wirthschaftliche Agitation in Deutschland von be¬
währten Vertretern der Wissenschaft geleitet wurde, als eben das furchtbare
Elend, welches Frankreich betroffen hat, vorzugsweise dem Umstand beizu¬
messen ist, daß die Anregung und Agitation zur Reform des socialen Organis¬
mus von unwissenden Dilettanten, von wissenschaftlich ungebildeten Phantasten
ausgegangen ist, während die Männer der Wissenschaft sich anfänglich zurück¬
hielten und erst dann einsahen, wie nothwendig es sei, daß die Wissenschaft
ins Volksleben thätig eingreife, als es bereits zu spät war.

Dieses Gefühl, diese Ueberzeugung, welche sich bewußt oder unbewußt,
mit mehr oder weniger Klarheit der Mehrheit der Versammlung be¬
mächtigt hatte, mochte dazu beigetragen haben, dem Kongreß eine Phy¬
siognomie auszuprägen-, die wir noch bei wenigen deutschen Versammlungen
beobachtet hatten. In summarischer Behandlung der formellen Theile der
Geschäfte konnte die Versammlung jedem amerikanischen Meeting kühn zur
Seite gestellt werden, während die Sachkenntniß in der Behandlung des Stoffes
selbst einem Parlament nur zur Ehre gereicht hätte. Die Mehrzahl der Mit¬
glieder war von der Ueberzeugung durchdrungen, daß sie einen wirklich frucht¬
baren Boden betreten und daß der Weg, den man eingeschlagen, noch zu.
großen und ersprießlichen Erfolgen und Früchten führen müsse. Deshalb
trafen wir auch eine Resignation, ein Zurücktretenlasscn aller persönlichen Rück¬
sichten und Motive, welches die Formulirung der Anträge, die Verständigung
und' die Beschlußfassung ungemein erleichterte.

Zuerst machte sich dieser Geist geltend bei der Berathung der Gewerbe¬
frage. In der Vorbehalte über diesen Gegenstand waren Mittheilungen über
die Zustände der Gewerbe und der Gewerbcverfassung in verschiedenen deut¬
schen Ländern gemacht worden, und hatte zuerst Dr. Boehmert in frischen
Farben die grellen Widersprüche dargestellt, welche die Zunftverfassung in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/265901"/>
          <p xml:id="ID_210" prev="#ID_209"> Phalansterien, nichts von Regelung des Handels und der Industrie durch<lb/>
den Staat, &#x2014; kurz nichts von allen jenen verderblichen Theoremen, welche<lb/>
einst zehntausend Arbeiter auf die pariser Schlachtbank geschickt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_211"> Nicht die Einfälle ungebildeter Leute, deren Blick nicht über ihren<lb/>
eigenen Horizont und ihre persönliche Erfahrung geht, die nicht wissen, daß<lb/>
es lange" bevor sie zu denken begannen, eine Wissenschaft gab, der die Lösung<lb/>
der sogenannten socialen Frage zur Aufgabe gestellt ist, &#x2014; nicht die Hirn-<lb/>
gespinnste solcher Socialisten waren es, von welchen die erste Versammlung<lb/>
deutscher Volkswirthe beherrscht war, &#x2014; sondern die Gesetze der Wissenschaft,<lb/>
welche durch die Erfahrungen der ganzen Weltgeschichte sanctionirt find. Es<lb/>
war eine Versammlung wissenschaftlich und practisch gebildeter Männer, von<lb/>
deren klarem Blick jeder socialistische Wahn sofort in der Geburt erstickt wurde.<lb/>
Wir haben alle Ursache, um so größeren Werth auf diese Thatsuche zu legen,<lb/>
daß die erste gemeinsame wirthschaftliche Agitation in Deutschland von be¬<lb/>
währten Vertretern der Wissenschaft geleitet wurde, als eben das furchtbare<lb/>
Elend, welches Frankreich betroffen hat, vorzugsweise dem Umstand beizu¬<lb/>
messen ist, daß die Anregung und Agitation zur Reform des socialen Organis¬<lb/>
mus von unwissenden Dilettanten, von wissenschaftlich ungebildeten Phantasten<lb/>
ausgegangen ist, während die Männer der Wissenschaft sich anfänglich zurück¬<lb/>
hielten und erst dann einsahen, wie nothwendig es sei, daß die Wissenschaft<lb/>
ins Volksleben thätig eingreife, als es bereits zu spät war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_212"> Dieses Gefühl, diese Ueberzeugung, welche sich bewußt oder unbewußt,<lb/>
mit mehr oder weniger Klarheit der Mehrheit der Versammlung be¬<lb/>
mächtigt hatte, mochte dazu beigetragen haben, dem Kongreß eine Phy¬<lb/>
siognomie auszuprägen-, die wir noch bei wenigen deutschen Versammlungen<lb/>
beobachtet hatten. In summarischer Behandlung der formellen Theile der<lb/>
Geschäfte konnte die Versammlung jedem amerikanischen Meeting kühn zur<lb/>
Seite gestellt werden, während die Sachkenntniß in der Behandlung des Stoffes<lb/>
selbst einem Parlament nur zur Ehre gereicht hätte. Die Mehrzahl der Mit¬<lb/>
glieder war von der Ueberzeugung durchdrungen, daß sie einen wirklich frucht¬<lb/>
baren Boden betreten und daß der Weg, den man eingeschlagen, noch zu.<lb/>
großen und ersprießlichen Erfolgen und Früchten führen müsse. Deshalb<lb/>
trafen wir auch eine Resignation, ein Zurücktretenlasscn aller persönlichen Rück¬<lb/>
sichten und Motive, welches die Formulirung der Anträge, die Verständigung<lb/>
und' die Beschlußfassung ungemein erleichterte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_213" next="#ID_214"> Zuerst machte sich dieser Geist geltend bei der Berathung der Gewerbe¬<lb/>
frage. In der Vorbehalte über diesen Gegenstand waren Mittheilungen über<lb/>
die Zustände der Gewerbe und der Gewerbcverfassung in verschiedenen deut¬<lb/>
schen Ländern gemacht worden, und hatte zuerst Dr. Boehmert in frischen<lb/>
Farben die grellen Widersprüche dargestellt, welche die Zunftverfassung in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0092] Phalansterien, nichts von Regelung des Handels und der Industrie durch den Staat, — kurz nichts von allen jenen verderblichen Theoremen, welche einst zehntausend Arbeiter auf die pariser Schlachtbank geschickt haben. Nicht die Einfälle ungebildeter Leute, deren Blick nicht über ihren eigenen Horizont und ihre persönliche Erfahrung geht, die nicht wissen, daß es lange" bevor sie zu denken begannen, eine Wissenschaft gab, der die Lösung der sogenannten socialen Frage zur Aufgabe gestellt ist, — nicht die Hirn- gespinnste solcher Socialisten waren es, von welchen die erste Versammlung deutscher Volkswirthe beherrscht war, — sondern die Gesetze der Wissenschaft, welche durch die Erfahrungen der ganzen Weltgeschichte sanctionirt find. Es war eine Versammlung wissenschaftlich und practisch gebildeter Männer, von deren klarem Blick jeder socialistische Wahn sofort in der Geburt erstickt wurde. Wir haben alle Ursache, um so größeren Werth auf diese Thatsuche zu legen, daß die erste gemeinsame wirthschaftliche Agitation in Deutschland von be¬ währten Vertretern der Wissenschaft geleitet wurde, als eben das furchtbare Elend, welches Frankreich betroffen hat, vorzugsweise dem Umstand beizu¬ messen ist, daß die Anregung und Agitation zur Reform des socialen Organis¬ mus von unwissenden Dilettanten, von wissenschaftlich ungebildeten Phantasten ausgegangen ist, während die Männer der Wissenschaft sich anfänglich zurück¬ hielten und erst dann einsahen, wie nothwendig es sei, daß die Wissenschaft ins Volksleben thätig eingreife, als es bereits zu spät war. Dieses Gefühl, diese Ueberzeugung, welche sich bewußt oder unbewußt, mit mehr oder weniger Klarheit der Mehrheit der Versammlung be¬ mächtigt hatte, mochte dazu beigetragen haben, dem Kongreß eine Phy¬ siognomie auszuprägen-, die wir noch bei wenigen deutschen Versammlungen beobachtet hatten. In summarischer Behandlung der formellen Theile der Geschäfte konnte die Versammlung jedem amerikanischen Meeting kühn zur Seite gestellt werden, während die Sachkenntniß in der Behandlung des Stoffes selbst einem Parlament nur zur Ehre gereicht hätte. Die Mehrzahl der Mit¬ glieder war von der Ueberzeugung durchdrungen, daß sie einen wirklich frucht¬ baren Boden betreten und daß der Weg, den man eingeschlagen, noch zu. großen und ersprießlichen Erfolgen und Früchten führen müsse. Deshalb trafen wir auch eine Resignation, ein Zurücktretenlasscn aller persönlichen Rück¬ sichten und Motive, welches die Formulirung der Anträge, die Verständigung und' die Beschlußfassung ungemein erleichterte. Zuerst machte sich dieser Geist geltend bei der Berathung der Gewerbe¬ frage. In der Vorbehalte über diesen Gegenstand waren Mittheilungen über die Zustände der Gewerbe und der Gewerbcverfassung in verschiedenen deut¬ schen Ländern gemacht worden, und hatte zuerst Dr. Boehmert in frischen Farben die grellen Widersprüche dargestellt, welche die Zunftverfassung in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/92
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/92>, abgerufen am 26.07.2024.