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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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unter den Franzosen ist dieselbe schon lange eingebürgert, außer andern na¬
mentlich von Ary Scheffer in zahlreichen Werken bethätigt worden, bei uns
geht aber die Vorliebe für religiöse Stoffe mit gläubiger Gesinnung so regel¬
mäßig Hand in Hand, daß es nicht wundern darf, wenn die entgegengesetzte
Schilderungsweise Aufsehen erregt und über der Erörterung der Principien¬
frage die Anerkennung der tüchtigen Malkraft, die sich vielleicht noch vollendeter
in einem ausgestellten Frauenbildnisse G. Richters offenbart, vergessen wird.
An einem andern Werte wird die Wahl des Motives an und für sich schon
die Parteileidenschastcn anfachen. Pilotys Gründung der Liga kann so
wenig die Sympathien der Protestanten für sich erwerben, als Jaroslav
Czermaks Schilderung, wie im siebzehnten Jahrhundert der Katholicismus
in Böhmen wieder eingeführt wurde, hoffen darf, trotz der seltenen technischen
Gewandtheit und der naiven Charakteristik der durch Heiligenbilder verführten
Hussilenkiuder die kirchlich Gläubigen zu befriedigen. Niedels Genrefiguren,
die kokette Sakuntala, die sauber gewaschene neapolitanische Fischerfamilie u. a.
werden zwar von Vielen mit Bewunderung betrachtet werden, sie sind an¬
genehm dem Auge, strengen den Geist nicht an, und erfüllen vollkommen alle
Bedingungen, welche triviale jUmstfreunde an die Malerei stellen, schwerlich
werden sie aber den Preis vor jenen erlangen, welche den Maler nicht mit
dem Theaterschneider verwechseln, und das Geschick, dasselbe Modell heute in
dieses, morgen in ein anderes Costüm zu hüllen, von poetischer Begabung
trennen. So wird in zahlreichen Fällen bald das Motiv, bald die malerische
Form Anstoß erregen, das Urtheil unsicher hin- und herschwankten. Ein Werk
jedoch wird nicht allein von allen, sondern auch von allen zuerst als die Perle der
Ausstellung genannt und mit Jubelruf auf den Ehrenplatz getragen werden.
Das ist sah Wirth Verkörperung des Märchens von den sieben Raben und
der Neuen Schwester. Schwind hat bekanntlich von der artistischen Variation
des Sprichwortes: Irren ist menschlich, von dem unveräußerlichen Künstler-
rechte, auch einmal schwache Werke zu schaffen, keinen allzukargen Gebrauch .
gemacht. Noch sein letztes Gemälde: der Grabritt Rudolfs von Habsburg
bereitete seinen Freunden keine geringe Verlegenheit. Sie zweifelten nicht an
der genialen Kraft seiner Phantasie, sie bewahrten ihre Ueberzeugung, daß
Deutschland keinen größer" Künstler besitzt; aber diesem hölzernen Kaiser, die¬
sen hölzernen Rittern und Bauern gegenüber konnten sie im besten Falle nur
stumm sich verhalten. Doch wer denkt jetzt noch daran, wem ist noch im An¬
gesicht des Rabenmärchens die Muße gegeben, sich des illuminirten Ritter
Kurt, der tarikirten Sänger aus der Wartburg, der langweiligen Einweihung
des freiburger Münster zu erinnern. Die sieben Raben Schwinds erzählen
nicht blos ein Zauberniärchen. sie sind selbst ein Zauberwert. daß den Sinn
gefesselt hält und jeden, der seine Kreise betritt, alles Uebrige in der Welt


unter den Franzosen ist dieselbe schon lange eingebürgert, außer andern na¬
mentlich von Ary Scheffer in zahlreichen Werken bethätigt worden, bei uns
geht aber die Vorliebe für religiöse Stoffe mit gläubiger Gesinnung so regel¬
mäßig Hand in Hand, daß es nicht wundern darf, wenn die entgegengesetzte
Schilderungsweise Aufsehen erregt und über der Erörterung der Principien¬
frage die Anerkennung der tüchtigen Malkraft, die sich vielleicht noch vollendeter
in einem ausgestellten Frauenbildnisse G. Richters offenbart, vergessen wird.
An einem andern Werte wird die Wahl des Motives an und für sich schon
die Parteileidenschastcn anfachen. Pilotys Gründung der Liga kann so
wenig die Sympathien der Protestanten für sich erwerben, als Jaroslav
Czermaks Schilderung, wie im siebzehnten Jahrhundert der Katholicismus
in Böhmen wieder eingeführt wurde, hoffen darf, trotz der seltenen technischen
Gewandtheit und der naiven Charakteristik der durch Heiligenbilder verführten
Hussilenkiuder die kirchlich Gläubigen zu befriedigen. Niedels Genrefiguren,
die kokette Sakuntala, die sauber gewaschene neapolitanische Fischerfamilie u. a.
werden zwar von Vielen mit Bewunderung betrachtet werden, sie sind an¬
genehm dem Auge, strengen den Geist nicht an, und erfüllen vollkommen alle
Bedingungen, welche triviale jUmstfreunde an die Malerei stellen, schwerlich
werden sie aber den Preis vor jenen erlangen, welche den Maler nicht mit
dem Theaterschneider verwechseln, und das Geschick, dasselbe Modell heute in
dieses, morgen in ein anderes Costüm zu hüllen, von poetischer Begabung
trennen. So wird in zahlreichen Fällen bald das Motiv, bald die malerische
Form Anstoß erregen, das Urtheil unsicher hin- und herschwankten. Ein Werk
jedoch wird nicht allein von allen, sondern auch von allen zuerst als die Perle der
Ausstellung genannt und mit Jubelruf auf den Ehrenplatz getragen werden.
Das ist sah Wirth Verkörperung des Märchens von den sieben Raben und
der Neuen Schwester. Schwind hat bekanntlich von der artistischen Variation
des Sprichwortes: Irren ist menschlich, von dem unveräußerlichen Künstler-
rechte, auch einmal schwache Werke zu schaffen, keinen allzukargen Gebrauch .
gemacht. Noch sein letztes Gemälde: der Grabritt Rudolfs von Habsburg
bereitete seinen Freunden keine geringe Verlegenheit. Sie zweifelten nicht an
der genialen Kraft seiner Phantasie, sie bewahrten ihre Ueberzeugung, daß
Deutschland keinen größer» Künstler besitzt; aber diesem hölzernen Kaiser, die¬
sen hölzernen Rittern und Bauern gegenüber konnten sie im besten Falle nur
stumm sich verhalten. Doch wer denkt jetzt noch daran, wem ist noch im An¬
gesicht des Rabenmärchens die Muße gegeben, sich des illuminirten Ritter
Kurt, der tarikirten Sänger aus der Wartburg, der langweiligen Einweihung
des freiburger Münster zu erinnern. Die sieben Raben Schwinds erzählen
nicht blos ein Zauberniärchen. sie sind selbst ein Zauberwert. daß den Sinn
gefesselt hält und jeden, der seine Kreise betritt, alles Uebrige in der Welt


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[0074] unter den Franzosen ist dieselbe schon lange eingebürgert, außer andern na¬ mentlich von Ary Scheffer in zahlreichen Werken bethätigt worden, bei uns geht aber die Vorliebe für religiöse Stoffe mit gläubiger Gesinnung so regel¬ mäßig Hand in Hand, daß es nicht wundern darf, wenn die entgegengesetzte Schilderungsweise Aufsehen erregt und über der Erörterung der Principien¬ frage die Anerkennung der tüchtigen Malkraft, die sich vielleicht noch vollendeter in einem ausgestellten Frauenbildnisse G. Richters offenbart, vergessen wird. An einem andern Werte wird die Wahl des Motives an und für sich schon die Parteileidenschastcn anfachen. Pilotys Gründung der Liga kann so wenig die Sympathien der Protestanten für sich erwerben, als Jaroslav Czermaks Schilderung, wie im siebzehnten Jahrhundert der Katholicismus in Böhmen wieder eingeführt wurde, hoffen darf, trotz der seltenen technischen Gewandtheit und der naiven Charakteristik der durch Heiligenbilder verführten Hussilenkiuder die kirchlich Gläubigen zu befriedigen. Niedels Genrefiguren, die kokette Sakuntala, die sauber gewaschene neapolitanische Fischerfamilie u. a. werden zwar von Vielen mit Bewunderung betrachtet werden, sie sind an¬ genehm dem Auge, strengen den Geist nicht an, und erfüllen vollkommen alle Bedingungen, welche triviale jUmstfreunde an die Malerei stellen, schwerlich werden sie aber den Preis vor jenen erlangen, welche den Maler nicht mit dem Theaterschneider verwechseln, und das Geschick, dasselbe Modell heute in dieses, morgen in ein anderes Costüm zu hüllen, von poetischer Begabung trennen. So wird in zahlreichen Fällen bald das Motiv, bald die malerische Form Anstoß erregen, das Urtheil unsicher hin- und herschwankten. Ein Werk jedoch wird nicht allein von allen, sondern auch von allen zuerst als die Perle der Ausstellung genannt und mit Jubelruf auf den Ehrenplatz getragen werden. Das ist sah Wirth Verkörperung des Märchens von den sieben Raben und der Neuen Schwester. Schwind hat bekanntlich von der artistischen Variation des Sprichwortes: Irren ist menschlich, von dem unveräußerlichen Künstler- rechte, auch einmal schwache Werke zu schaffen, keinen allzukargen Gebrauch . gemacht. Noch sein letztes Gemälde: der Grabritt Rudolfs von Habsburg bereitete seinen Freunden keine geringe Verlegenheit. Sie zweifelten nicht an der genialen Kraft seiner Phantasie, sie bewahrten ihre Ueberzeugung, daß Deutschland keinen größer» Künstler besitzt; aber diesem hölzernen Kaiser, die¬ sen hölzernen Rittern und Bauern gegenüber konnten sie im besten Falle nur stumm sich verhalten. Doch wer denkt jetzt noch daran, wem ist noch im An¬ gesicht des Rabenmärchens die Muße gegeben, sich des illuminirten Ritter Kurt, der tarikirten Sänger aus der Wartburg, der langweiligen Einweihung des freiburger Münster zu erinnern. Die sieben Raben Schwinds erzählen nicht blos ein Zauberniärchen. sie sind selbst ein Zauberwert. daß den Sinn gefesselt hält und jeden, der seine Kreise betritt, alles Uebrige in der Welt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/74>, abgerufen am 06.02.2025.