Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.zurückkehren und das bekannte Malerbuch vom Berge Athos nicht blos als Minder im Unrecht, aber doch auch im Unrecht sind die andern, welche zurückkehren und das bekannte Malerbuch vom Berge Athos nicht blos als Minder im Unrecht, aber doch auch im Unrecht sind die andern, welche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0068" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/265877"/> <p xml:id="ID_157" prev="#ID_156"> zurückkehren und das bekannte Malerbuch vom Berge Athos nicht blos als<lb/> eine archäologische Reliquie, sondern auch als praktisches Kunstbuch verehren.<lb/> Wahrlich, man wird zuletzt noch beweisen müssen, daß das Auge und nicht<lb/> die innere Vorstellung die malerische Schönheit erfasse.</p><lb/> <p xml:id="ID_158" next="#ID_159"> Minder im Unrecht, aber doch auch im Unrecht sind die andern, welche<lb/> die selbstständige Geltung der Formenschönheit behaupten, und die Frage nach<lb/> dem Ideengehalt als etwas Gleichgiltiges behandeln. Unter den Idealisten<lb/> des alten Schlages besitzt diese Ansicht noch zahlreiche Anhänger. schwung¬<lb/> hafte Formen, fließende Linien, anmuthige Gruppirung. jenes einfache Maß<lb/> des Ausdruckes, welches die Aufmerksamkeit nicht von dem Genusse des äuße¬<lb/> ren Wohllautes der Zeichnung abzieht, eine plastische Composition endlich,<lb/> nicht in dem Sinne, daß die einzelnen Figuren sich vom Grunde abheben,<lb/> rund und voll erscheinen, sondern in der andern Bedeutung des Wortes, daß<lb/> die Gestaltenbildung auf das ursprünglich Reine, allgemein Giltige, formell<lb/> Ebenmäßige zurückgeht, bedingt nach ihrer Meinung ausschließlich den künst¬<lb/> lerischen Werth eines Gemäldes. Die Lüge steckt aber schon darin, daß man<lb/> alle diese Eigenschaften ohne einen lebensvollen Inhalt möglich, sie unab¬<lb/> hängig existirend glaubt. Der trockene Begriff, der schale Einfall. der un¬<lb/> lebendige Gedanke wird alle diese Schönheiten nicht etwa blos sür den Be¬<lb/> schauer zerstören, er wird auch den schaffenden Künstler an ihrer Verkörperung<lb/> hindern. Es ist nicht die Form, es ist der Gedanke, welchen seine Phantasie<lb/> zuerst gebiert, an dem Gedanken erst schießen die äußeren Formen empor; zu<lb/> welchen er nicht die stärksten Triebe, eine unmittelbare Nöthigung in sich<lb/> schließt, diese werden nimmermehr an den Tag treten. Oder lassen sich denn<lb/> die idealen Formen, der hohe Stil nach einem für alle Fälle feststehenden<lb/> trockenen Schema auf jeden beliebigen Inhalt ankleben? Das wäre ja der<lb/> leibhaftige Zopf, wie er nicht ärger in seiner glorreichsten Zeit bestand. Die<lb/> Zopftünstlcr waren der formellen Bildung, der geschulten Hand keineswegs so<lb/> bar, wie man gewöhnlich annimmt. Sie besaßen einen offenen Sinn sür<lb/> das formell Schöne, für das Plastische, eine große Verehrung sür die Antike.<lb/> Weil sie aber, während sie die Forme» schufen, den Einfluß der kalten, nüch¬<lb/> ternen, unlebendigen Gedanken, die ihre Phantasie erfüllten, nicht abwehren<lb/> konnten, so verwandelte sich ihnen unter der Hand das Anmuthige in das<lb/> süßliche, das Schöne in das Gezierte, das Erhabene in das hohl Pathe-<lb/> tische. Grade das bedingt ja Carstens Größe, daß er vom leeren Formalis¬<lb/> mus sich abtehrte, in schwerer Geistesarbeit sich den Ideenkreis der Antike<lb/> aneignete und von hier aus das Formengcrüste reformirte. Auf Grundlage<lb/> der Antike gebildete Formen und ein antiker Ideenkreis gehören nothwendig<lb/> zusammen. Grade die Empfänglichsten für den Oenuß der ersteren würden<lb/> am lautesten ihr Entsetzen kundgeben, wollte man das Eine von dem Andern</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0068]
zurückkehren und das bekannte Malerbuch vom Berge Athos nicht blos als
eine archäologische Reliquie, sondern auch als praktisches Kunstbuch verehren.
Wahrlich, man wird zuletzt noch beweisen müssen, daß das Auge und nicht
die innere Vorstellung die malerische Schönheit erfasse.
Minder im Unrecht, aber doch auch im Unrecht sind die andern, welche
die selbstständige Geltung der Formenschönheit behaupten, und die Frage nach
dem Ideengehalt als etwas Gleichgiltiges behandeln. Unter den Idealisten
des alten Schlages besitzt diese Ansicht noch zahlreiche Anhänger. schwung¬
hafte Formen, fließende Linien, anmuthige Gruppirung. jenes einfache Maß
des Ausdruckes, welches die Aufmerksamkeit nicht von dem Genusse des äuße¬
ren Wohllautes der Zeichnung abzieht, eine plastische Composition endlich,
nicht in dem Sinne, daß die einzelnen Figuren sich vom Grunde abheben,
rund und voll erscheinen, sondern in der andern Bedeutung des Wortes, daß
die Gestaltenbildung auf das ursprünglich Reine, allgemein Giltige, formell
Ebenmäßige zurückgeht, bedingt nach ihrer Meinung ausschließlich den künst¬
lerischen Werth eines Gemäldes. Die Lüge steckt aber schon darin, daß man
alle diese Eigenschaften ohne einen lebensvollen Inhalt möglich, sie unab¬
hängig existirend glaubt. Der trockene Begriff, der schale Einfall. der un¬
lebendige Gedanke wird alle diese Schönheiten nicht etwa blos sür den Be¬
schauer zerstören, er wird auch den schaffenden Künstler an ihrer Verkörperung
hindern. Es ist nicht die Form, es ist der Gedanke, welchen seine Phantasie
zuerst gebiert, an dem Gedanken erst schießen die äußeren Formen empor; zu
welchen er nicht die stärksten Triebe, eine unmittelbare Nöthigung in sich
schließt, diese werden nimmermehr an den Tag treten. Oder lassen sich denn
die idealen Formen, der hohe Stil nach einem für alle Fälle feststehenden
trockenen Schema auf jeden beliebigen Inhalt ankleben? Das wäre ja der
leibhaftige Zopf, wie er nicht ärger in seiner glorreichsten Zeit bestand. Die
Zopftünstlcr waren der formellen Bildung, der geschulten Hand keineswegs so
bar, wie man gewöhnlich annimmt. Sie besaßen einen offenen Sinn sür
das formell Schöne, für das Plastische, eine große Verehrung sür die Antike.
Weil sie aber, während sie die Forme» schufen, den Einfluß der kalten, nüch¬
ternen, unlebendigen Gedanken, die ihre Phantasie erfüllten, nicht abwehren
konnten, so verwandelte sich ihnen unter der Hand das Anmuthige in das
süßliche, das Schöne in das Gezierte, das Erhabene in das hohl Pathe-
tische. Grade das bedingt ja Carstens Größe, daß er vom leeren Formalis¬
mus sich abtehrte, in schwerer Geistesarbeit sich den Ideenkreis der Antike
aneignete und von hier aus das Formengcrüste reformirte. Auf Grundlage
der Antike gebildete Formen und ein antiker Ideenkreis gehören nothwendig
zusammen. Grade die Empfänglichsten für den Oenuß der ersteren würden
am lautesten ihr Entsetzen kundgeben, wollte man das Eine von dem Andern
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