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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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man diese Vorliebe sür fictive Formen und Verhältnisse wahrnehmen. Die
Erinnerung an ähnliche Vorgänge bei Dürer läßt Viele diese Eigenthümlich¬
keit als nationalen Zug erkennen und gibt ihnen einen neuen Grund, Cor¬
nelius zu preisen. Es bliebe aber zu erwägen, ob denn das verschiedene
Material, in welchem Dürer und Cornelius ihre Gedanken verkörpern, nicht
auch für die Formengebung verschiedene Gesetze feststellt. Der Holzschnitt und
Kupferstich geht seiner ganzen Natur nach auf die Detaillirung der Daseins¬
formen nur in geringem Grade ein, er besitzt (von modernen Stichen ist hier
nicht die Rede) nicht die Mittel, hat auch nicht den Zweck, die selbstständige
Geltung der letzteren zum Ausdruck zu bringen, er begnügt sich mit der halb¬
wirklichen/tiaumhaften Schilderung und wird eben dadurch ein unübertreff¬
liches Mittel, jene Ideen, wo das Phantastische mitspielt, zu verkörpern.
Kann man diese Darstellungsweise, die ganz wesentlich durch die Natur des
Holzschnittes und Kupferstiches bedingt ist, ohne Gefahr, mcmierirt zu er¬
scheinen, auch auf den Kreis monumentaler Malerei übertragen, verwischt man
nicht vielleicht dann die Grenzen in Wahrheit scharf voneinander geschiedener
Kunstzweige?

Wie bei Cornelius die subjective Vergewaltigung der Erscheinungsformen
und gesetzlich giltiger Verhältnisse, so fällt bei Kaulbach die große Einförmig¬
keit der Formensprache in hohem Grade aus. Seine Kindergestalten nament¬
lich gehören nicht blos derselben Familie an, sie sind Zwillingsgeschwister,
so seine jungen Weiber, so seine Heldenmänner. Die Zudringlichkeit, mit
welcher dieselbe Physiognomie, dieselbe Charaktermaske immer wieder vor das
Auge tritt, wird nachgrade lästig. Der witzige Verstand, der an der Hervor¬
bringung Kaulbachischer Werke einen so großen Antheil nimmt, hat sür die
reinen Formen keinen sonderlichen Reiz, ja selbst das Grobe und Manie-
rirte wird er nicht von sich stoßen, falls nur die gesuchte Pointe zum Aus¬
druck gelangt. Einfache positive Existenzen zu schildern ist nicht Kaulbachs
Sache. Sein Karl der Große, Moses und Solon besitzen durchaus keine
Individualität, seine Personification der Geschichte, Wissenschaft u. s. w.
keinen besondern Charakter. Das schneidige Wesen Kaulbnchs macht ihn für
das Erfassen des ruhig Großen schlecht geeignet und zwingt ihn, z" Gemein¬
plätzen seine Zuflucht zu nehmen. Nur Motive, die in das Traumartige
übergreifen, nur Gestalten, die einen negativen Zug an sich tragen, des ge¬
schlossenen Charakters entbehren, mühsam innere Widersprüche verhüllen,
zwischen Himmel und Erde, noch besser aber zwischen Erde und Hölle schwe¬
ben, fesseln nachhaltig seine Phantasie und empfangen eine durchdringende
Verkörperung. Die sieben Todsünden von Kaulbach gemalt, würden wahr¬
scheinlich ebenso viele Meisterwerke werden, sollte er einmal die sieben Cardinal-
tugenden darstellen, würde er über die Phrase schwerlich herauskommen. So


man diese Vorliebe sür fictive Formen und Verhältnisse wahrnehmen. Die
Erinnerung an ähnliche Vorgänge bei Dürer läßt Viele diese Eigenthümlich¬
keit als nationalen Zug erkennen und gibt ihnen einen neuen Grund, Cor¬
nelius zu preisen. Es bliebe aber zu erwägen, ob denn das verschiedene
Material, in welchem Dürer und Cornelius ihre Gedanken verkörpern, nicht
auch für die Formengebung verschiedene Gesetze feststellt. Der Holzschnitt und
Kupferstich geht seiner ganzen Natur nach auf die Detaillirung der Daseins¬
formen nur in geringem Grade ein, er besitzt (von modernen Stichen ist hier
nicht die Rede) nicht die Mittel, hat auch nicht den Zweck, die selbstständige
Geltung der letzteren zum Ausdruck zu bringen, er begnügt sich mit der halb¬
wirklichen/tiaumhaften Schilderung und wird eben dadurch ein unübertreff¬
liches Mittel, jene Ideen, wo das Phantastische mitspielt, zu verkörpern.
Kann man diese Darstellungsweise, die ganz wesentlich durch die Natur des
Holzschnittes und Kupferstiches bedingt ist, ohne Gefahr, mcmierirt zu er¬
scheinen, auch auf den Kreis monumentaler Malerei übertragen, verwischt man
nicht vielleicht dann die Grenzen in Wahrheit scharf voneinander geschiedener
Kunstzweige?

Wie bei Cornelius die subjective Vergewaltigung der Erscheinungsformen
und gesetzlich giltiger Verhältnisse, so fällt bei Kaulbach die große Einförmig¬
keit der Formensprache in hohem Grade aus. Seine Kindergestalten nament¬
lich gehören nicht blos derselben Familie an, sie sind Zwillingsgeschwister,
so seine jungen Weiber, so seine Heldenmänner. Die Zudringlichkeit, mit
welcher dieselbe Physiognomie, dieselbe Charaktermaske immer wieder vor das
Auge tritt, wird nachgrade lästig. Der witzige Verstand, der an der Hervor¬
bringung Kaulbachischer Werke einen so großen Antheil nimmt, hat sür die
reinen Formen keinen sonderlichen Reiz, ja selbst das Grobe und Manie-
rirte wird er nicht von sich stoßen, falls nur die gesuchte Pointe zum Aus¬
druck gelangt. Einfache positive Existenzen zu schildern ist nicht Kaulbachs
Sache. Sein Karl der Große, Moses und Solon besitzen durchaus keine
Individualität, seine Personification der Geschichte, Wissenschaft u. s. w.
keinen besondern Charakter. Das schneidige Wesen Kaulbnchs macht ihn für
das Erfassen des ruhig Großen schlecht geeignet und zwingt ihn, z» Gemein¬
plätzen seine Zuflucht zu nehmen. Nur Motive, die in das Traumartige
übergreifen, nur Gestalten, die einen negativen Zug an sich tragen, des ge¬
schlossenen Charakters entbehren, mühsam innere Widersprüche verhüllen,
zwischen Himmel und Erde, noch besser aber zwischen Erde und Hölle schwe¬
ben, fesseln nachhaltig seine Phantasie und empfangen eine durchdringende
Verkörperung. Die sieben Todsünden von Kaulbach gemalt, würden wahr¬
scheinlich ebenso viele Meisterwerke werden, sollte er einmal die sieben Cardinal-
tugenden darstellen, würde er über die Phrase schwerlich herauskommen. So


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/64>, abgerufen am 06.02.2025.