Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

daß reich, oft buntgefärbte Oelgemälde den Cartons benachbart sind, wodurch
natürlich das Auge des Beschauers für die Auffassung einfacher Cartonzeich-
nung abgestumpft wird. Wer sich durch diese Hindernisse hindurchwindet, wird
nicht anstehen, die energische Kraft, die ergreifende Schilderung des tragischen
Leidens und mächtiger Asiecte bei Cornelius, die geistreiche, pointenreiche Auf¬
fassung bei Kaulbach bewundernd anzuerkennen. Wenn auch die Darstellung
der Passion und der Evangelisten (ans der Ludwigskirche) keine große Wir¬
kung übt und es scheint, als ob die Seele des Künstlers nicht am Werke
Theil genommen, er vielmehr mit der Anordnung kunstvoller Gruppen sich be¬
gnügt -- der Untergang Trojas und die apokalyptischen Reiter, die wir in
der Ausstellung erblickten, bleiben große künstlerische Schöpfungen.

Nicht ohne Einfluß auf den geringeren Erfolg des Meisters in dem reji-
giös-historischen Fache war vielleicht die beschränkende Nähe musterhafter Vor¬
bilder, welche die Phantasie unwillkürlich in die von ihnen breitgelegten-Ge¬
leise zurückführten, jedenfalls die Hoffnung, in der Schilderung neu und doch
eben so gut zu verfahren, vernichteten, und die Gefahr minderer Einfachheit
und Wahrheit heraufbeschworen. Bei den apokalyptischen Scenen ist der mo-
derne Künstler nicht in gleicher Art gezwungen, gegen Sonne und Wind zu
kämpfen, die Tradition hat hier keine Auffnssungsweise so geregelt, wie dies
z- B. bei der Passionsgeschichte der Fall ist. die Phantasie bewegt sich freier,
das Bewußtsein, gleich den großen Ahnen, schöpferisch auftreten, einen bis da¬
hin spröden Stoff künstlerisch gestalten zu können, gibt dem Auge Schärfe,
der Hand Schwung. Hier wird die Kühnheit herausgefordert, dort auch eine
reiche Kraft gelähmt. Bei einem Künstler, dessen Erfindungsgabe so
hoch gerühmt.'als die stärkste Eigenschaft gepriesen wird, ist die Neuheit
oder Abgegriffenheit der Motive keineswegs gleichgültig. Die Erfindungs¬
gabe unserer Meister bezieht sich nicht allein auf neue poetische Verbindungen
Kroßerer Gedankenreihen, die selbst wieder erst aus dem tiefsinnenden Geiste
des Meisters geboren wurden, auch die Formenwelt muß sich seinem Willen
beugen, ihre Maße seinem Belieben sich unterordnen. Vom artistischen Stand¬
punkt bildet der letztere Umstand den wichtigsten Unterschied zwischen Corne¬
lius und den übrigen Idealisten, die geringe Sorge um den allgcmeingiltigen
Kanon der Verhältnisse, der als Gesetz die endlichen und in ihrer Reinheit
getrübten Erscheinungen umschwebt und von allen auf plastische Schönheit ihrer
Gebilde bedachten Künstlern befolgt wird, die Aufstellung besonderer von der
^"kunsten blos abweichenden, nicht ihr zu Grunde liegenden Maßverhältnisse ist
wesentliches Charaktermerkmal seiner Kunstweise. In den letzten Werken von
Cornelius, z. B. in der auch sonst völlig unbedeutenden "Erwartung des Welt¬
gerichtes" "rächt sich diese Manier am stärksten geltend, doch guch in den
ältern apokalyptischen Bildern, auch in den Deckenbildern der Glyptothek, kann


daß reich, oft buntgefärbte Oelgemälde den Cartons benachbart sind, wodurch
natürlich das Auge des Beschauers für die Auffassung einfacher Cartonzeich-
nung abgestumpft wird. Wer sich durch diese Hindernisse hindurchwindet, wird
nicht anstehen, die energische Kraft, die ergreifende Schilderung des tragischen
Leidens und mächtiger Asiecte bei Cornelius, die geistreiche, pointenreiche Auf¬
fassung bei Kaulbach bewundernd anzuerkennen. Wenn auch die Darstellung
der Passion und der Evangelisten (ans der Ludwigskirche) keine große Wir¬
kung übt und es scheint, als ob die Seele des Künstlers nicht am Werke
Theil genommen, er vielmehr mit der Anordnung kunstvoller Gruppen sich be¬
gnügt — der Untergang Trojas und die apokalyptischen Reiter, die wir in
der Ausstellung erblickten, bleiben große künstlerische Schöpfungen.

Nicht ohne Einfluß auf den geringeren Erfolg des Meisters in dem reji-
giös-historischen Fache war vielleicht die beschränkende Nähe musterhafter Vor¬
bilder, welche die Phantasie unwillkürlich in die von ihnen breitgelegten-Ge¬
leise zurückführten, jedenfalls die Hoffnung, in der Schilderung neu und doch
eben so gut zu verfahren, vernichteten, und die Gefahr minderer Einfachheit
und Wahrheit heraufbeschworen. Bei den apokalyptischen Scenen ist der mo-
derne Künstler nicht in gleicher Art gezwungen, gegen Sonne und Wind zu
kämpfen, die Tradition hat hier keine Auffnssungsweise so geregelt, wie dies
z- B. bei der Passionsgeschichte der Fall ist. die Phantasie bewegt sich freier,
das Bewußtsein, gleich den großen Ahnen, schöpferisch auftreten, einen bis da¬
hin spröden Stoff künstlerisch gestalten zu können, gibt dem Auge Schärfe,
der Hand Schwung. Hier wird die Kühnheit herausgefordert, dort auch eine
reiche Kraft gelähmt. Bei einem Künstler, dessen Erfindungsgabe so
hoch gerühmt.'als die stärkste Eigenschaft gepriesen wird, ist die Neuheit
oder Abgegriffenheit der Motive keineswegs gleichgültig. Die Erfindungs¬
gabe unserer Meister bezieht sich nicht allein auf neue poetische Verbindungen
Kroßerer Gedankenreihen, die selbst wieder erst aus dem tiefsinnenden Geiste
des Meisters geboren wurden, auch die Formenwelt muß sich seinem Willen
beugen, ihre Maße seinem Belieben sich unterordnen. Vom artistischen Stand¬
punkt bildet der letztere Umstand den wichtigsten Unterschied zwischen Corne¬
lius und den übrigen Idealisten, die geringe Sorge um den allgcmeingiltigen
Kanon der Verhältnisse, der als Gesetz die endlichen und in ihrer Reinheit
getrübten Erscheinungen umschwebt und von allen auf plastische Schönheit ihrer
Gebilde bedachten Künstlern befolgt wird, die Aufstellung besonderer von der
^"kunsten blos abweichenden, nicht ihr zu Grunde liegenden Maßverhältnisse ist
wesentliches Charaktermerkmal seiner Kunstweise. In den letzten Werken von
Cornelius, z. B. in der auch sonst völlig unbedeutenden „Erwartung des Welt¬
gerichtes" „rächt sich diese Manier am stärksten geltend, doch guch in den
ältern apokalyptischen Bildern, auch in den Deckenbildern der Glyptothek, kann


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/265872"/>
            <p xml:id="ID_146" prev="#ID_145"> daß reich, oft buntgefärbte Oelgemälde den Cartons benachbart sind, wodurch<lb/>
natürlich das Auge des Beschauers für die Auffassung einfacher Cartonzeich-<lb/>
nung abgestumpft wird. Wer sich durch diese Hindernisse hindurchwindet, wird<lb/>
nicht anstehen, die energische Kraft, die ergreifende Schilderung des tragischen<lb/>
Leidens und mächtiger Asiecte bei Cornelius, die geistreiche, pointenreiche Auf¬<lb/>
fassung bei Kaulbach bewundernd anzuerkennen. Wenn auch die Darstellung<lb/>
der Passion und der Evangelisten (ans der Ludwigskirche) keine große Wir¬<lb/>
kung übt und es scheint, als ob die Seele des Künstlers nicht am Werke<lb/>
Theil genommen, er vielmehr mit der Anordnung kunstvoller Gruppen sich be¬<lb/>
gnügt &#x2014; der Untergang Trojas und die apokalyptischen Reiter, die wir in<lb/>
der Ausstellung erblickten, bleiben große künstlerische Schöpfungen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_147" next="#ID_148"> Nicht ohne Einfluß auf den geringeren Erfolg des Meisters in dem reji-<lb/>
giös-historischen Fache war vielleicht die beschränkende Nähe musterhafter Vor¬<lb/>
bilder, welche die Phantasie unwillkürlich in die von ihnen breitgelegten-Ge¬<lb/>
leise zurückführten, jedenfalls die Hoffnung, in der Schilderung neu und doch<lb/>
eben so gut zu verfahren, vernichteten, und die Gefahr minderer Einfachheit<lb/>
und Wahrheit heraufbeschworen. Bei den apokalyptischen Scenen ist der mo-<lb/>
derne Künstler nicht in gleicher Art gezwungen, gegen Sonne und Wind zu<lb/>
kämpfen, die Tradition hat hier keine Auffnssungsweise so geregelt, wie dies<lb/>
z- B. bei der Passionsgeschichte der Fall ist. die Phantasie bewegt sich freier,<lb/>
das Bewußtsein, gleich den großen Ahnen, schöpferisch auftreten, einen bis da¬<lb/>
hin spröden Stoff künstlerisch gestalten zu können, gibt dem Auge Schärfe,<lb/>
der Hand Schwung. Hier wird die Kühnheit herausgefordert, dort auch eine<lb/>
reiche Kraft gelähmt. Bei einem Künstler, dessen Erfindungsgabe so<lb/>
hoch gerühmt.'als die stärkste Eigenschaft gepriesen wird, ist die Neuheit<lb/>
oder Abgegriffenheit der Motive keineswegs gleichgültig. Die Erfindungs¬<lb/>
gabe unserer Meister bezieht sich nicht allein auf neue poetische Verbindungen<lb/>
Kroßerer Gedankenreihen, die selbst wieder erst aus dem tiefsinnenden Geiste<lb/>
des Meisters geboren wurden, auch die Formenwelt muß sich seinem Willen<lb/>
beugen, ihre Maße seinem Belieben sich unterordnen. Vom artistischen Stand¬<lb/>
punkt bildet der letztere Umstand den wichtigsten Unterschied zwischen Corne¬<lb/>
lius und den übrigen Idealisten, die geringe Sorge um den allgcmeingiltigen<lb/>
Kanon der Verhältnisse, der als Gesetz die endlichen und in ihrer Reinheit<lb/>
getrübten Erscheinungen umschwebt und von allen auf plastische Schönheit ihrer<lb/>
Gebilde bedachten Künstlern befolgt wird, die Aufstellung besonderer von der<lb/>
^"kunsten blos abweichenden, nicht ihr zu Grunde liegenden Maßverhältnisse ist<lb/>
wesentliches Charaktermerkmal seiner Kunstweise. In den letzten Werken von<lb/>
Cornelius, z. B. in der auch sonst völlig unbedeutenden &#x201E;Erwartung des Welt¬<lb/>
gerichtes" &#x201E;rächt sich diese Manier am stärksten geltend, doch guch in den<lb/>
ältern apokalyptischen Bildern, auch in den Deckenbildern der Glyptothek, kann</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0063] daß reich, oft buntgefärbte Oelgemälde den Cartons benachbart sind, wodurch natürlich das Auge des Beschauers für die Auffassung einfacher Cartonzeich- nung abgestumpft wird. Wer sich durch diese Hindernisse hindurchwindet, wird nicht anstehen, die energische Kraft, die ergreifende Schilderung des tragischen Leidens und mächtiger Asiecte bei Cornelius, die geistreiche, pointenreiche Auf¬ fassung bei Kaulbach bewundernd anzuerkennen. Wenn auch die Darstellung der Passion und der Evangelisten (ans der Ludwigskirche) keine große Wir¬ kung übt und es scheint, als ob die Seele des Künstlers nicht am Werke Theil genommen, er vielmehr mit der Anordnung kunstvoller Gruppen sich be¬ gnügt — der Untergang Trojas und die apokalyptischen Reiter, die wir in der Ausstellung erblickten, bleiben große künstlerische Schöpfungen. Nicht ohne Einfluß auf den geringeren Erfolg des Meisters in dem reji- giös-historischen Fache war vielleicht die beschränkende Nähe musterhafter Vor¬ bilder, welche die Phantasie unwillkürlich in die von ihnen breitgelegten-Ge¬ leise zurückführten, jedenfalls die Hoffnung, in der Schilderung neu und doch eben so gut zu verfahren, vernichteten, und die Gefahr minderer Einfachheit und Wahrheit heraufbeschworen. Bei den apokalyptischen Scenen ist der mo- derne Künstler nicht in gleicher Art gezwungen, gegen Sonne und Wind zu kämpfen, die Tradition hat hier keine Auffnssungsweise so geregelt, wie dies z- B. bei der Passionsgeschichte der Fall ist. die Phantasie bewegt sich freier, das Bewußtsein, gleich den großen Ahnen, schöpferisch auftreten, einen bis da¬ hin spröden Stoff künstlerisch gestalten zu können, gibt dem Auge Schärfe, der Hand Schwung. Hier wird die Kühnheit herausgefordert, dort auch eine reiche Kraft gelähmt. Bei einem Künstler, dessen Erfindungsgabe so hoch gerühmt.'als die stärkste Eigenschaft gepriesen wird, ist die Neuheit oder Abgegriffenheit der Motive keineswegs gleichgültig. Die Erfindungs¬ gabe unserer Meister bezieht sich nicht allein auf neue poetische Verbindungen Kroßerer Gedankenreihen, die selbst wieder erst aus dem tiefsinnenden Geiste des Meisters geboren wurden, auch die Formenwelt muß sich seinem Willen beugen, ihre Maße seinem Belieben sich unterordnen. Vom artistischen Stand¬ punkt bildet der letztere Umstand den wichtigsten Unterschied zwischen Corne¬ lius und den übrigen Idealisten, die geringe Sorge um den allgcmeingiltigen Kanon der Verhältnisse, der als Gesetz die endlichen und in ihrer Reinheit getrübten Erscheinungen umschwebt und von allen auf plastische Schönheit ihrer Gebilde bedachten Künstlern befolgt wird, die Aufstellung besonderer von der ^"kunsten blos abweichenden, nicht ihr zu Grunde liegenden Maßverhältnisse ist wesentliches Charaktermerkmal seiner Kunstweise. In den letzten Werken von Cornelius, z. B. in der auch sonst völlig unbedeutenden „Erwartung des Welt¬ gerichtes" „rächt sich diese Manier am stärksten geltend, doch guch in den ältern apokalyptischen Bildern, auch in den Deckenbildern der Glyptothek, kann

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/63
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/63>, abgerufen am 06.02.2025.