Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.Die Pantomimen accommodirtcn ihre Geberden so streng dem gesungenen Grenzboten IV. 1853. 65
Die Pantomimen accommodirtcn ihre Geberden so streng dem gesungenen Grenzboten IV. 1853. 65
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Die Pantomimen accommodirtcn ihre Geberden so streng dem gesungenen
Texte, daß sie ihr Spiel bis aus einzelne Worte nüancirten. So wird erzählt,
daß einst Hylas. der ausgezeichnetste Schüler des Pylades, einen Chor tanzte,
dessen Schlußworte waren: „den großen Agamemnon", und dabei seine Gestalt
hoch aufrichtete. Da rief ihm fein Lehrer von den Zuschauersitzen aus zu:
„Du machst ja aus dem Großen einen Langen!" und als er hieraus auf die
Bitte des Volkes denselben Chor sogleich selbst tanzte, nahm er an derselben
Stelle des Textes eine tiefnachsinnende Stellung an. Ein anderes Mal tanzte
Hylas den blinden Oedipus mit zu sicherer Haltung und Pylades tadelte ihn
wieder laut mit den Worten: „Du siehst ja!" Mit dem Grade der Kunst¬
ausbildung steigerte sich auch die Kennerschaft des Publicums, von dem man
überhaupt dreist behaupten kann, daß es weniger aus Neugierde, als aus
Liebe zur Darstellung das Theater besucht, da ihm ja alle Stoffe bekannt
waren und ihm also die moderne Spannung aus die Erfindung und Kompo¬
sition der Stücke gänzlich abging. Wehe auch dem Actcur, an welchem man
das geringste Unschickliche bemerkte! Lucian erzählt aus Antiochia, einer Haupt¬
bildungsstätte aller Gaukler und Tänzer: „Einst trat ein sehr kleiner Tänzer aus.
um den Hektor zu tanzen, sogleich schrien alle Zuschauer wie aus einem Munde:
„„Da kommt Astyanax (Hektors Sohn), aber wo bleibt Hektor?"" Ein an¬
deres Mal stellte ein recht langer Bursche den Kapaneus (einen der Sieben
gegen Theben) vor, und da er sich eben anschickte die Mauern von Theben zu
bestürmen, riefen sie ihm zu: Steige doch hinüber, du «brauchst keine Sturm¬
leiter! Einen überaus dicken Tänzer, der gewaltige Sprünge machte, baten
sie. zu bedenken, daß man die Bühne noch länger brauchte; einem außer¬
ordentlich schmächtigen dagegen rief man zu: Gute Besserung!" So ist es
denn erklärlich, daß die pantomimische Kunst eine Höhe erreicht, wogegen
alles, was bei uns Mimik heißt, in den Hintergrund tritt, daß wirklich
endlich bei manchen Meistern „jeder Gedanke eine Geberde, jede Geberde ein
Gedanke" wurde. Zwei Triumphe der Kunst berichten uns die Alten aus
Neros Zeit. Der cynische Philosoph Demetrius zog damals gegen die.
Tanzkunst los und that es auch einst in Gegenwart eines Orchester. Da er
dem musikalischen Ohrenkitzel die Hauptwirkung der Pantomimik zugeschrieben
hatte, so bat der Tänzer, ihn erst tanzen zu sehen, bevor er über ihn urtheilte.
Demetrius willigte ein; der Tänzer hieß die Flöten und Sänger schweigen
und tanzte ohne alle Begleitung die in den Armen des Kriegsgottes über¬
raschte Venus, wie Helios sie dem Vulkan verräth, dieser sie belauscht und
beide im Netze sängt, wie er die gesammten Götter herbeiruft und jeder
derselben sich auf besondere Weise benimmt — alles mit so viel Geschicklichkeit,
daß Demetrius, vor Vergnügen außer sich, dem Tänzer zugerufen haben soll:
„Was für ein Mann bist du? Ich sehe nicht nur, ich höre alles, was du
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