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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Lebens, was diese Art der Pcmtomimik nicht durch die stumme Sprache der
Glieder wiedergegeben hätte. Als solche Charaktertänze werden z. B. aus
der ältern Zeit erwähnt: Angelike, Gypones, Brydalliche, Mimetikc.
Die Angelike stellte einen Boten vor, der eine überraschende Nachricht hastig
und bezeichnend mittheilte; im Gypones veranschaulichte man das Einher¬
schleichen bejahrter, vom Alter gebeugter Männer; die Brydalliche bezeichnete
das Treiben ausgelassener Weiber, die Mimetike einen aus dem Diebstahl
von Eßwaaren Ertappten. Einer noch niedrigern Art der Komik gehörten
die Nachahmungen besonders hervorstechender Thiere, z. B. des Löwen, des
Fuchses, der Eule, an. Ein bedeutender Fortschritt war es, daß sich>dieOr-
chcsten, unter denen die lakonischer und sicilischen die ausgezeichnetsten waren,
ihre Stoffe aus der Mythologie wählten und nun die Thaten und Schicksale
ihrer Götter und Heroen in mimischen Tänzen und Tableaux ausdrückten.
Die anschaulichste Schilderung einer Darstellung dieser Art liefert uns Xeno-
phon in seiner Beschreibung des Gastmahls, welches Kallias seinem Freund
Sokrates gibt. Hier erscheint zur Erheiterung der Gäste ein Syrakusauer
nebst einer Tänzerin, einer Flötenspielerin und einem der Orchestik kundigen,
schönen Knaben; nachdem die Gesellschaft mancherlei Gauklerkünste zum Besten
gegeben hat, erbittet sich Sokrates selbst einen dramatischen Tanz. Ein Lehn¬
stuhl reichte hin, um das Gemach anzudeuten; der Syrakusauer gab mit we¬
nigen Worten das Programm der Darstellung: Die Heimführung der Ari-
adne durch Dionysos. "Hieraus kam zuerst Ariadne herein, bräutlich ge¬
schmückt, und setzte sich auf den Sessel. Da ertönte auf der Flöte die Me¬
lodie eines bacchischen Tanzes. Sogleich zeigte Ariadne durch ihr Benehmen,
wie freudig sie die Töne durch schauerten; zwar stand sie nicht auf, um dem
Gott entgegenzugehen, aber sie konnte ihre Unruhe nicht verbergen. Endlich
erschien Dionysos, halbberauscht, setzte sich zu ihr und umarmte sie. Ver¬
schämt erwiderte sie seine Liebkosungen. Als aber Dionysos aufstand, Ariadne
mit sich emporzog und beide sich vermittelst der Geberdensprache ihre Liebe
gestanden, da ergriff die Zuschauer Staunen über die Wahrheit der Darstel¬
lung; denn sie glaubten zu hören, daß der Gott das Mädchen fragte, ob sie
ihn liebte und daß sie es mit einem Eide bejahte, ja sie wollten alle darauf
schwören, daß die beiden Pantomimen einander wirklich liebten." -- Auch
außer dem Theater und den Lustbarkeiten des Hauses zeigte sich diese Fort¬
bildung des mimischen Tanzes in den Volkstänzen bei ländlichen Festen. Her¬
vorzuheben ist hier besonders der Winzertanz, in welchem verschiedene
Gruppen von Personen alle bei der Weinlese und dem Mostkcltem vor¬
kommende Handlungen, vom Lesen der Trauben bis zum Trinken des
Weines, vorstellten. Die antike Musik leistete als Begleiterin des Tanzes
den Griechen mehr Unterstützung als wir gewöhnlich anzunehmen ge-


Lebens, was diese Art der Pcmtomimik nicht durch die stumme Sprache der
Glieder wiedergegeben hätte. Als solche Charaktertänze werden z. B. aus
der ältern Zeit erwähnt: Angelike, Gypones, Brydalliche, Mimetikc.
Die Angelike stellte einen Boten vor, der eine überraschende Nachricht hastig
und bezeichnend mittheilte; im Gypones veranschaulichte man das Einher¬
schleichen bejahrter, vom Alter gebeugter Männer; die Brydalliche bezeichnete
das Treiben ausgelassener Weiber, die Mimetike einen aus dem Diebstahl
von Eßwaaren Ertappten. Einer noch niedrigern Art der Komik gehörten
die Nachahmungen besonders hervorstechender Thiere, z. B. des Löwen, des
Fuchses, der Eule, an. Ein bedeutender Fortschritt war es, daß sich>dieOr-
chcsten, unter denen die lakonischer und sicilischen die ausgezeichnetsten waren,
ihre Stoffe aus der Mythologie wählten und nun die Thaten und Schicksale
ihrer Götter und Heroen in mimischen Tänzen und Tableaux ausdrückten.
Die anschaulichste Schilderung einer Darstellung dieser Art liefert uns Xeno-
phon in seiner Beschreibung des Gastmahls, welches Kallias seinem Freund
Sokrates gibt. Hier erscheint zur Erheiterung der Gäste ein Syrakusauer
nebst einer Tänzerin, einer Flötenspielerin und einem der Orchestik kundigen,
schönen Knaben; nachdem die Gesellschaft mancherlei Gauklerkünste zum Besten
gegeben hat, erbittet sich Sokrates selbst einen dramatischen Tanz. Ein Lehn¬
stuhl reichte hin, um das Gemach anzudeuten; der Syrakusauer gab mit we¬
nigen Worten das Programm der Darstellung: Die Heimführung der Ari-
adne durch Dionysos. „Hieraus kam zuerst Ariadne herein, bräutlich ge¬
schmückt, und setzte sich auf den Sessel. Da ertönte auf der Flöte die Me¬
lodie eines bacchischen Tanzes. Sogleich zeigte Ariadne durch ihr Benehmen,
wie freudig sie die Töne durch schauerten; zwar stand sie nicht auf, um dem
Gott entgegenzugehen, aber sie konnte ihre Unruhe nicht verbergen. Endlich
erschien Dionysos, halbberauscht, setzte sich zu ihr und umarmte sie. Ver¬
schämt erwiderte sie seine Liebkosungen. Als aber Dionysos aufstand, Ariadne
mit sich emporzog und beide sich vermittelst der Geberdensprache ihre Liebe
gestanden, da ergriff die Zuschauer Staunen über die Wahrheit der Darstel¬
lung; denn sie glaubten zu hören, daß der Gott das Mädchen fragte, ob sie
ihn liebte und daß sie es mit einem Eide bejahte, ja sie wollten alle darauf
schwören, daß die beiden Pantomimen einander wirklich liebten." — Auch
außer dem Theater und den Lustbarkeiten des Hauses zeigte sich diese Fort¬
bildung des mimischen Tanzes in den Volkstänzen bei ländlichen Festen. Her¬
vorzuheben ist hier besonders der Winzertanz, in welchem verschiedene
Gruppen von Personen alle bei der Weinlese und dem Mostkcltem vor¬
kommende Handlungen, vom Lesen der Trauben bis zum Trinken des
Weines, vorstellten. Die antike Musik leistete als Begleiterin des Tanzes
den Griechen mehr Unterstützung als wir gewöhnlich anzunehmen ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/518>, abgerufen am 26.07.2024.