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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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werthes Zeichen, das man erwähnen muß, wenn man im nebligen dem
Wallfahrer sein richtiges Maß zukommen läßt. Wie weit die Aufrechthaltung
sonstiger Zucht möglich ist. läßt sich freilich leichter errathen, als nachweisen.
Es handelt sich meistens um mehre Tagreisen, und die wenigsten Wallfahrer
nach Mariazell kommen heim, ohne vier bis fünf Nachtlager in Scheuern,
Wirthshausgängen und sonstigen Rastplätzen gehalten zu haben, wo die Auf¬
sicht während der Dunkelheit schon durch die Ueberfüllung erschwert wird.
Ohnehin steht ja doch der Ablaßgewinn in naher Aussicht. Manche dieser
Wallfahrten haben übrigens das Ansehn einer Sommervergnügungspartie.
Es gibt wohlhabende Gemeinden, welche auf härter- und blumenverzierten
Wagen durchs Land fahren, reichlich mit Gebetbüchern, noch reichlicher mit
Mundvorrath ausgerüstet. Solche Erholungsreisen nach beendigter Aussaat
oder Ernte'setzen eine Menge Leute, in Bewegung, denen ihre Schuhe sonst
zum Wandern zu lieb sind, und wenn diese Karavanen, ihre Jesus-Marialieder
nach fröhlichen Weisen singend, durch die malerische Gebirgsgegend dahin¬
ziehen, da bedauert man, daß sich ihre volksthümlich festliche Erscheinung
nicht auf andre Zwecke übertragen läßt.

Die Jesuitenmissionen währen meistens eine oder zwei Wochen, oft auch
noch kürzere Zeit. Da die rüstigsten und gewandtesten Redner zu diesen
Reisen verwendet werden und dieselben fast ohne Unterlaß in Bewegung und
Uebung bleiben, so üben ihre Vortrage aller Orten einen mächtigen Reiz,
zumal wo die Beschränktheit der Kirchenräume sie ins Freie hinausweist und
ihnen eine sonst den Zuhörern nicht alltägliche Bühne gibt. Einige dieser
Jesuiten besitzen wirkliche Beredsamkeit und nicht selten Begeisterung für ihr
Thema. Da glaubt man sich denn bei dem Anblick dieser im Freien grup-
pirten Menge und ihres fanatisch entzündeten Redners in die Zeiten eines
Peter von Amiens zurückversetzt. Freilich verfällt nach ihrem Scheiden alles
wieder in den alten Leierton, und der Abstand zwischen dem Alltagspfarrer
und diesen Wanderpredigern wird, nicht zum Vortheil des erstem, fühlbarer
als je. Hin und wieder verrückt diese plötzliche Feuertaufe den Leuten auch
die Köpfe. Uns ist eine junge Dame bekannt, welche schon nach der zweiten
oder dritten Missionspredigt dieser Art in solch einem Grade geistverwirrt
wurde, daß sie in einer Prozession sich plötzlich ihrer sämmtlichen Kleider ent¬
ledigte und dem Irrsinn verfiel. In andrer Gegend ist uns ein Mann be¬
gegnet, der eine Jesuitenpredigt so sehr wörtlich verstanden hatte, daß er seine
Hand ins Feuer halten zu müssen glaubte, und diese Selbstkasteiung fortsetzte,
bis zwei Finger der Hand nicht mehr zu retten waren. Im Ganzen darf
man annehmen, daß je nach dem Grade der größern oder geringern Geistes¬
verwahrlosung dies plötzliche Schleußennusziehen in jedem der Zuhörer eine
innere Verwirrung hervorbringt, die nicht so leicht den Verstand wieder zu


Grenzboten IV. 1SS8. 64

werthes Zeichen, das man erwähnen muß, wenn man im nebligen dem
Wallfahrer sein richtiges Maß zukommen läßt. Wie weit die Aufrechthaltung
sonstiger Zucht möglich ist. läßt sich freilich leichter errathen, als nachweisen.
Es handelt sich meistens um mehre Tagreisen, und die wenigsten Wallfahrer
nach Mariazell kommen heim, ohne vier bis fünf Nachtlager in Scheuern,
Wirthshausgängen und sonstigen Rastplätzen gehalten zu haben, wo die Auf¬
sicht während der Dunkelheit schon durch die Ueberfüllung erschwert wird.
Ohnehin steht ja doch der Ablaßgewinn in naher Aussicht. Manche dieser
Wallfahrten haben übrigens das Ansehn einer Sommervergnügungspartie.
Es gibt wohlhabende Gemeinden, welche auf härter- und blumenverzierten
Wagen durchs Land fahren, reichlich mit Gebetbüchern, noch reichlicher mit
Mundvorrath ausgerüstet. Solche Erholungsreisen nach beendigter Aussaat
oder Ernte'setzen eine Menge Leute, in Bewegung, denen ihre Schuhe sonst
zum Wandern zu lieb sind, und wenn diese Karavanen, ihre Jesus-Marialieder
nach fröhlichen Weisen singend, durch die malerische Gebirgsgegend dahin¬
ziehen, da bedauert man, daß sich ihre volksthümlich festliche Erscheinung
nicht auf andre Zwecke übertragen läßt.

Die Jesuitenmissionen währen meistens eine oder zwei Wochen, oft auch
noch kürzere Zeit. Da die rüstigsten und gewandtesten Redner zu diesen
Reisen verwendet werden und dieselben fast ohne Unterlaß in Bewegung und
Uebung bleiben, so üben ihre Vortrage aller Orten einen mächtigen Reiz,
zumal wo die Beschränktheit der Kirchenräume sie ins Freie hinausweist und
ihnen eine sonst den Zuhörern nicht alltägliche Bühne gibt. Einige dieser
Jesuiten besitzen wirkliche Beredsamkeit und nicht selten Begeisterung für ihr
Thema. Da glaubt man sich denn bei dem Anblick dieser im Freien grup-
pirten Menge und ihres fanatisch entzündeten Redners in die Zeiten eines
Peter von Amiens zurückversetzt. Freilich verfällt nach ihrem Scheiden alles
wieder in den alten Leierton, und der Abstand zwischen dem Alltagspfarrer
und diesen Wanderpredigern wird, nicht zum Vortheil des erstem, fühlbarer
als je. Hin und wieder verrückt diese plötzliche Feuertaufe den Leuten auch
die Köpfe. Uns ist eine junge Dame bekannt, welche schon nach der zweiten
oder dritten Missionspredigt dieser Art in solch einem Grade geistverwirrt
wurde, daß sie in einer Prozession sich plötzlich ihrer sämmtlichen Kleider ent¬
ledigte und dem Irrsinn verfiel. In andrer Gegend ist uns ein Mann be¬
gegnet, der eine Jesuitenpredigt so sehr wörtlich verstanden hatte, daß er seine
Hand ins Feuer halten zu müssen glaubte, und diese Selbstkasteiung fortsetzte,
bis zwei Finger der Hand nicht mehr zu retten waren. Im Ganzen darf
man annehmen, daß je nach dem Grade der größern oder geringern Geistes¬
verwahrlosung dies plötzliche Schleußennusziehen in jedem der Zuhörer eine
innere Verwirrung hervorbringt, die nicht so leicht den Verstand wieder zu


Grenzboten IV. 1SS8. 64
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[0513] werthes Zeichen, das man erwähnen muß, wenn man im nebligen dem Wallfahrer sein richtiges Maß zukommen läßt. Wie weit die Aufrechthaltung sonstiger Zucht möglich ist. läßt sich freilich leichter errathen, als nachweisen. Es handelt sich meistens um mehre Tagreisen, und die wenigsten Wallfahrer nach Mariazell kommen heim, ohne vier bis fünf Nachtlager in Scheuern, Wirthshausgängen und sonstigen Rastplätzen gehalten zu haben, wo die Auf¬ sicht während der Dunkelheit schon durch die Ueberfüllung erschwert wird. Ohnehin steht ja doch der Ablaßgewinn in naher Aussicht. Manche dieser Wallfahrten haben übrigens das Ansehn einer Sommervergnügungspartie. Es gibt wohlhabende Gemeinden, welche auf härter- und blumenverzierten Wagen durchs Land fahren, reichlich mit Gebetbüchern, noch reichlicher mit Mundvorrath ausgerüstet. Solche Erholungsreisen nach beendigter Aussaat oder Ernte'setzen eine Menge Leute, in Bewegung, denen ihre Schuhe sonst zum Wandern zu lieb sind, und wenn diese Karavanen, ihre Jesus-Marialieder nach fröhlichen Weisen singend, durch die malerische Gebirgsgegend dahin¬ ziehen, da bedauert man, daß sich ihre volksthümlich festliche Erscheinung nicht auf andre Zwecke übertragen läßt. Die Jesuitenmissionen währen meistens eine oder zwei Wochen, oft auch noch kürzere Zeit. Da die rüstigsten und gewandtesten Redner zu diesen Reisen verwendet werden und dieselben fast ohne Unterlaß in Bewegung und Uebung bleiben, so üben ihre Vortrage aller Orten einen mächtigen Reiz, zumal wo die Beschränktheit der Kirchenräume sie ins Freie hinausweist und ihnen eine sonst den Zuhörern nicht alltägliche Bühne gibt. Einige dieser Jesuiten besitzen wirkliche Beredsamkeit und nicht selten Begeisterung für ihr Thema. Da glaubt man sich denn bei dem Anblick dieser im Freien grup- pirten Menge und ihres fanatisch entzündeten Redners in die Zeiten eines Peter von Amiens zurückversetzt. Freilich verfällt nach ihrem Scheiden alles wieder in den alten Leierton, und der Abstand zwischen dem Alltagspfarrer und diesen Wanderpredigern wird, nicht zum Vortheil des erstem, fühlbarer als je. Hin und wieder verrückt diese plötzliche Feuertaufe den Leuten auch die Köpfe. Uns ist eine junge Dame bekannt, welche schon nach der zweiten oder dritten Missionspredigt dieser Art in solch einem Grade geistverwirrt wurde, daß sie in einer Prozession sich plötzlich ihrer sämmtlichen Kleider ent¬ ledigte und dem Irrsinn verfiel. In andrer Gegend ist uns ein Mann be¬ gegnet, der eine Jesuitenpredigt so sehr wörtlich verstanden hatte, daß er seine Hand ins Feuer halten zu müssen glaubte, und diese Selbstkasteiung fortsetzte, bis zwei Finger der Hand nicht mehr zu retten waren. Im Ganzen darf man annehmen, daß je nach dem Grade der größern oder geringern Geistes¬ verwahrlosung dies plötzliche Schleußennusziehen in jedem der Zuhörer eine innere Verwirrung hervorbringt, die nicht so leicht den Verstand wieder zu Grenzboten IV. 1SS8. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/513>, abgerufen am 26.07.2024.