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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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die schwärzesten Seiten der Dinge den Blick unverwandt zu heften, verbitter¬
ten ihm den Aufenthalt in Rom (als preußischer Gesamter I8l6--1823) um
so mehr, als gar manche Gründe zur Verstimmung von außen dazu kamen.
Humboldt wurde Rom eine schönere Heimath, für Niebuhr war es ein Tomi
(Lebcnsnachrichten 2. Bd. S. 479). Die Italiener waren ihm eine Nation von
wandelnden Todten, und er hat alles Schlimme von ihnen gesagt, was sich
von ihnen sagen läßt, für ihre guten und liebenswürdigen Seiten hatte er
keinen Sinn. Rom machte ihm keineswegs einen erhebenden oder erfreulichen
Eindruck (S. 24g); wahrhaft schön fand er außerordentlich wenig, die Ruinen
blieben ihm fremd (S. 262), da sie durchaus aus der Kaiserzeit stammen, und
es ihm unmöglich war, Werke der Baukunst isolirt zu betrachten; in Verbin-'
dung mit den Vorstellungen, von denen er sie nicht trennen konnte, stießen sie
ihn zurück (S. 243). "Oft gehe ich aufs Capitol und trete vor Marcus Au-
relius und sein Roß, und die Löwen von Basalt habe ich mir nicht versagen
können zu liebkosen. Auf dem Aventinus steht man nicht ohne schwere Ge¬
danken, und auch nicht auf dem Palatin, aber sehr wenig näher bringt mich
die Anwesenheit auf dem Fleck zum Bilde des . vergangenen Alten (S. 263).
Die Kunstwerke konnten ihm nicht nützen, "da ich unglücklicherweise ebenso
wenig als meine alten Römer ein Enthusiast sür die Kunst in der Art wenig¬
stens bin, daß ich in ihr leben und durch sie mich schadlos für das gehalten fin¬
den kann, was eigentlich meiner Natur angemessen ist. Wo das Lebende
anekelt, wie kann der. welcher nur an Menschengeist und Menschenherz sich selbst
gehoben und glücklich zu fühlen vermag, an Bildsäulen, Gemälden und Ge¬
bäuden Ersatz finden? Wer kann blos von Gewürz und Wohlgerüchen leben?"
(S. 268) Da für ihn die echte Kunst nur bis auf Raphaels Tod existirte
und er grade mit besonderer Vorliebe an der vorraphaelischcn Zeit hing, konnten
ihn auch die Werke der modernen Malerei und Sculptur in Rom nicht anziehn.
Bei dieser totalen Umwandlung der Kunstansichten, nach der nun was dreißig
Jahr vorher als das Höchste bewundert worden war, geringgeschätzt wurde
und umgekehrt, machten Goethes Kunsturtheile in seiner italienischen Reise
einen sehr ungünstigen Eindruck auf ihn. "Es ist sehr schlimm, daß er sie
bekannt gemacht hat, da gegenwärtig ein weit gesunderer Sinn über die Kunst
herrscht, der sich schon an Goethes früher ausgesprochenen Kunsturtheilen
ärgert und ihm nicht nur die als unfehlbar aufgetragene Entscheidung ab¬
erkennt, sondern ihm vielmehr ein auch nur besonders befugtes Urtheil abspricht.
-- Ich wollte, er hätte seinen Hackert und Winckelmann nicht geschrieben.
Derselben Art aber sind die Kunsturtheile in der Reise" (S. 283). Ja er ging
so weit, daß er meinte, Goethe sei der Sinn für die bildlich darstellenden
Künste überhaupt versagt gewesen (S. 289). Ueberhaupt hat er in der Be¬
urtheilung dieser Reisebeschreibung zugleich seinen eignen Standpunkt bezeichnet.


die schwärzesten Seiten der Dinge den Blick unverwandt zu heften, verbitter¬
ten ihm den Aufenthalt in Rom (als preußischer Gesamter I8l6—1823) um
so mehr, als gar manche Gründe zur Verstimmung von außen dazu kamen.
Humboldt wurde Rom eine schönere Heimath, für Niebuhr war es ein Tomi
(Lebcnsnachrichten 2. Bd. S. 479). Die Italiener waren ihm eine Nation von
wandelnden Todten, und er hat alles Schlimme von ihnen gesagt, was sich
von ihnen sagen läßt, für ihre guten und liebenswürdigen Seiten hatte er
keinen Sinn. Rom machte ihm keineswegs einen erhebenden oder erfreulichen
Eindruck (S. 24g); wahrhaft schön fand er außerordentlich wenig, die Ruinen
blieben ihm fremd (S. 262), da sie durchaus aus der Kaiserzeit stammen, und
es ihm unmöglich war, Werke der Baukunst isolirt zu betrachten; in Verbin-'
dung mit den Vorstellungen, von denen er sie nicht trennen konnte, stießen sie
ihn zurück (S. 243). „Oft gehe ich aufs Capitol und trete vor Marcus Au-
relius und sein Roß, und die Löwen von Basalt habe ich mir nicht versagen
können zu liebkosen. Auf dem Aventinus steht man nicht ohne schwere Ge¬
danken, und auch nicht auf dem Palatin, aber sehr wenig näher bringt mich
die Anwesenheit auf dem Fleck zum Bilde des . vergangenen Alten (S. 263).
Die Kunstwerke konnten ihm nicht nützen, „da ich unglücklicherweise ebenso
wenig als meine alten Römer ein Enthusiast sür die Kunst in der Art wenig¬
stens bin, daß ich in ihr leben und durch sie mich schadlos für das gehalten fin¬
den kann, was eigentlich meiner Natur angemessen ist. Wo das Lebende
anekelt, wie kann der. welcher nur an Menschengeist und Menschenherz sich selbst
gehoben und glücklich zu fühlen vermag, an Bildsäulen, Gemälden und Ge¬
bäuden Ersatz finden? Wer kann blos von Gewürz und Wohlgerüchen leben?"
(S. 268) Da für ihn die echte Kunst nur bis auf Raphaels Tod existirte
und er grade mit besonderer Vorliebe an der vorraphaelischcn Zeit hing, konnten
ihn auch die Werke der modernen Malerei und Sculptur in Rom nicht anziehn.
Bei dieser totalen Umwandlung der Kunstansichten, nach der nun was dreißig
Jahr vorher als das Höchste bewundert worden war, geringgeschätzt wurde
und umgekehrt, machten Goethes Kunsturtheile in seiner italienischen Reise
einen sehr ungünstigen Eindruck auf ihn. „Es ist sehr schlimm, daß er sie
bekannt gemacht hat, da gegenwärtig ein weit gesunderer Sinn über die Kunst
herrscht, der sich schon an Goethes früher ausgesprochenen Kunsturtheilen
ärgert und ihm nicht nur die als unfehlbar aufgetragene Entscheidung ab¬
erkennt, sondern ihm vielmehr ein auch nur besonders befugtes Urtheil abspricht.
— Ich wollte, er hätte seinen Hackert und Winckelmann nicht geschrieben.
Derselben Art aber sind die Kunsturtheile in der Reise" (S. 283). Ja er ging
so weit, daß er meinte, Goethe sei der Sinn für die bildlich darstellenden
Künste überhaupt versagt gewesen (S. 289). Ueberhaupt hat er in der Be¬
urtheilung dieser Reisebeschreibung zugleich seinen eignen Standpunkt bezeichnet.


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[0502] die schwärzesten Seiten der Dinge den Blick unverwandt zu heften, verbitter¬ ten ihm den Aufenthalt in Rom (als preußischer Gesamter I8l6—1823) um so mehr, als gar manche Gründe zur Verstimmung von außen dazu kamen. Humboldt wurde Rom eine schönere Heimath, für Niebuhr war es ein Tomi (Lebcnsnachrichten 2. Bd. S. 479). Die Italiener waren ihm eine Nation von wandelnden Todten, und er hat alles Schlimme von ihnen gesagt, was sich von ihnen sagen läßt, für ihre guten und liebenswürdigen Seiten hatte er keinen Sinn. Rom machte ihm keineswegs einen erhebenden oder erfreulichen Eindruck (S. 24g); wahrhaft schön fand er außerordentlich wenig, die Ruinen blieben ihm fremd (S. 262), da sie durchaus aus der Kaiserzeit stammen, und es ihm unmöglich war, Werke der Baukunst isolirt zu betrachten; in Verbin-' dung mit den Vorstellungen, von denen er sie nicht trennen konnte, stießen sie ihn zurück (S. 243). „Oft gehe ich aufs Capitol und trete vor Marcus Au- relius und sein Roß, und die Löwen von Basalt habe ich mir nicht versagen können zu liebkosen. Auf dem Aventinus steht man nicht ohne schwere Ge¬ danken, und auch nicht auf dem Palatin, aber sehr wenig näher bringt mich die Anwesenheit auf dem Fleck zum Bilde des . vergangenen Alten (S. 263). Die Kunstwerke konnten ihm nicht nützen, „da ich unglücklicherweise ebenso wenig als meine alten Römer ein Enthusiast sür die Kunst in der Art wenig¬ stens bin, daß ich in ihr leben und durch sie mich schadlos für das gehalten fin¬ den kann, was eigentlich meiner Natur angemessen ist. Wo das Lebende anekelt, wie kann der. welcher nur an Menschengeist und Menschenherz sich selbst gehoben und glücklich zu fühlen vermag, an Bildsäulen, Gemälden und Ge¬ bäuden Ersatz finden? Wer kann blos von Gewürz und Wohlgerüchen leben?" (S. 268) Da für ihn die echte Kunst nur bis auf Raphaels Tod existirte und er grade mit besonderer Vorliebe an der vorraphaelischcn Zeit hing, konnten ihn auch die Werke der modernen Malerei und Sculptur in Rom nicht anziehn. Bei dieser totalen Umwandlung der Kunstansichten, nach der nun was dreißig Jahr vorher als das Höchste bewundert worden war, geringgeschätzt wurde und umgekehrt, machten Goethes Kunsturtheile in seiner italienischen Reise einen sehr ungünstigen Eindruck auf ihn. „Es ist sehr schlimm, daß er sie bekannt gemacht hat, da gegenwärtig ein weit gesunderer Sinn über die Kunst herrscht, der sich schon an Goethes früher ausgesprochenen Kunsturtheilen ärgert und ihm nicht nur die als unfehlbar aufgetragene Entscheidung ab¬ erkennt, sondern ihm vielmehr ein auch nur besonders befugtes Urtheil abspricht. — Ich wollte, er hätte seinen Hackert und Winckelmann nicht geschrieben. Derselben Art aber sind die Kunsturtheile in der Reise" (S. 283). Ja er ging so weit, daß er meinte, Goethe sei der Sinn für die bildlich darstellenden Künste überhaupt versagt gewesen (S. 289). Ueberhaupt hat er in der Be¬ urtheilung dieser Reisebeschreibung zugleich seinen eignen Standpunkt bezeichnet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/502>, abgerufen am 06.02.2025.