Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Während in Oestreich zur Rechtspflege und Verwaltung Männer eins allen
Kronländern herangezogen werden, stellt man in der dänischen Hälfte des dä¬
nischen Gesammtstaats fast nur, in der deutschen, besonders in Schleswig,
vorzugsweise Dänen an. Wie stark sodann auch der Antagonismus zwischen
einigen der unter Oestreichs Scepter vereinigten Nationalitäten sein mag, so
nimmt die Mannigfaltigkeit des Bildes, welches der Kaiserstaat in nationaler
Beziehung darbietet, dem Haß der einzelnen Volksindividualitäten gegeneinander
einen großen Theil seiner aggressiven Schärfe. Niemand wird es bezweifeln,
daß. wenn die östreichische Monarchie nur von zwei Volksstämmen und zwar
zu gleichen Theilen bewohnt wäre, die jetzige Centralisation unmöglich sein
würde. In der dänischen aber wohnen nur Deutsche und Dünen und zwar
ungefähr zu gleichen Theilen; denn was den'erstern an Zahl fehlt, ersetzen sie
reichlich durch höhere Bildung und durch den Zusammenhang mit den Ver¬
wandten im Süden.

Während endlich Oestreich eine Großmacht ist, deren Angehörige mora¬
lisch und materiell die Vortheile eines in seinen Machtmitteln und Zielen ge¬
waltigen Staates genießen, während hier viele sich über den Verlust natio¬
naler Selbstständigkeit in dem Gedanken trösten mögen, Glieder eines Gemein¬
wesens zu sein, welches Europa gegen Asien zu schützen berufen ist, andere
sich an den mittelalterlich-politischen Traditionen des Regentenhauses berau¬
schen, wieder andere in Oestreich den Hort des Katholicismus erblicken, noch
andere (und das möchten die meisten sein) sich aller Gedanken an Nationa¬
lität, Freiheit und Kirche entschlagen mögen, weil sie bei dauerndem Frieden
eine gewaltige Entwicklung der materiellen Interessen auf einem Gebiet sich
entfalten sehr, welches unerschöpfliche Hilfsquellen besitzt, gehört der Deutsche
in der dänischen Monarchie nur einer Macht dritten, wenn man will, vierten
Ranges an, in der sich kein großer Gedanke ausprägt, an die sich keine große
Hoffnung knüpft, die im Gegentheil schon alle Zeichen der baldigen Auflösung
an sich trägt, und auf deren Ableben bereits die Erben warten.

So fiele wenigstens eins der Momente weg. welche das wiener Cabinet
zu der bisher innegehaltenen Behandlung der Schleswig-holsteinischen Sache
veranlaßten. Das andere Moment -- hätte Beseler fortfahren können -- die Eiser¬
sucht auf Preußen wird man der heilenden, neue Combinationen der Mächte
bildenden Zeit überlassen müssen. Die letzten Jahre, die letzten Monate haben
gezeigt, daß die Mißgunst noch stark genug ist. Unheilbar aber ist der R4ß
nicht. Die letzten Jahre, die letzten Monate haben auch gezeigt, daß Oest¬
reich einen zuverlässigen Bundesgenossen bedarf, und es werden, nach den
Zeichen am politischen Himmel zu urtheilen, Tage kommen, wo man sich in
Wien die Frage vorlegen wird, ob die Freundschaft der nordischen Macht
nicht endlich durch wirkliche, ganze, des Dankes werthe Zugeständnisse zu ge-


Grenzbotm IV. 18SS. 62

Während in Oestreich zur Rechtspflege und Verwaltung Männer eins allen
Kronländern herangezogen werden, stellt man in der dänischen Hälfte des dä¬
nischen Gesammtstaats fast nur, in der deutschen, besonders in Schleswig,
vorzugsweise Dänen an. Wie stark sodann auch der Antagonismus zwischen
einigen der unter Oestreichs Scepter vereinigten Nationalitäten sein mag, so
nimmt die Mannigfaltigkeit des Bildes, welches der Kaiserstaat in nationaler
Beziehung darbietet, dem Haß der einzelnen Volksindividualitäten gegeneinander
einen großen Theil seiner aggressiven Schärfe. Niemand wird es bezweifeln,
daß. wenn die östreichische Monarchie nur von zwei Volksstämmen und zwar
zu gleichen Theilen bewohnt wäre, die jetzige Centralisation unmöglich sein
würde. In der dänischen aber wohnen nur Deutsche und Dünen und zwar
ungefähr zu gleichen Theilen; denn was den'erstern an Zahl fehlt, ersetzen sie
reichlich durch höhere Bildung und durch den Zusammenhang mit den Ver¬
wandten im Süden.

Während endlich Oestreich eine Großmacht ist, deren Angehörige mora¬
lisch und materiell die Vortheile eines in seinen Machtmitteln und Zielen ge¬
waltigen Staates genießen, während hier viele sich über den Verlust natio¬
naler Selbstständigkeit in dem Gedanken trösten mögen, Glieder eines Gemein¬
wesens zu sein, welches Europa gegen Asien zu schützen berufen ist, andere
sich an den mittelalterlich-politischen Traditionen des Regentenhauses berau¬
schen, wieder andere in Oestreich den Hort des Katholicismus erblicken, noch
andere (und das möchten die meisten sein) sich aller Gedanken an Nationa¬
lität, Freiheit und Kirche entschlagen mögen, weil sie bei dauerndem Frieden
eine gewaltige Entwicklung der materiellen Interessen auf einem Gebiet sich
entfalten sehr, welches unerschöpfliche Hilfsquellen besitzt, gehört der Deutsche
in der dänischen Monarchie nur einer Macht dritten, wenn man will, vierten
Ranges an, in der sich kein großer Gedanke ausprägt, an die sich keine große
Hoffnung knüpft, die im Gegentheil schon alle Zeichen der baldigen Auflösung
an sich trägt, und auf deren Ableben bereits die Erben warten.

So fiele wenigstens eins der Momente weg. welche das wiener Cabinet
zu der bisher innegehaltenen Behandlung der Schleswig-holsteinischen Sache
veranlaßten. Das andere Moment — hätte Beseler fortfahren können — die Eiser¬
sucht auf Preußen wird man der heilenden, neue Combinationen der Mächte
bildenden Zeit überlassen müssen. Die letzten Jahre, die letzten Monate haben
gezeigt, daß die Mißgunst noch stark genug ist. Unheilbar aber ist der R4ß
nicht. Die letzten Jahre, die letzten Monate haben auch gezeigt, daß Oest¬
reich einen zuverlässigen Bundesgenossen bedarf, und es werden, nach den
Zeichen am politischen Himmel zu urtheilen, Tage kommen, wo man sich in
Wien die Frage vorlegen wird, ob die Freundschaft der nordischen Macht
nicht endlich durch wirkliche, ganze, des Dankes werthe Zugeständnisse zu ge-


Grenzbotm IV. 18SS. 62
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0497" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266306"/>
          <p xml:id="ID_1416" prev="#ID_1415"> Während in Oestreich zur Rechtspflege und Verwaltung Männer eins allen<lb/>
Kronländern herangezogen werden, stellt man in der dänischen Hälfte des dä¬<lb/>
nischen Gesammtstaats fast nur, in der deutschen, besonders in Schleswig,<lb/>
vorzugsweise Dänen an. Wie stark sodann auch der Antagonismus zwischen<lb/>
einigen der unter Oestreichs Scepter vereinigten Nationalitäten sein mag, so<lb/>
nimmt die Mannigfaltigkeit des Bildes, welches der Kaiserstaat in nationaler<lb/>
Beziehung darbietet, dem Haß der einzelnen Volksindividualitäten gegeneinander<lb/>
einen großen Theil seiner aggressiven Schärfe. Niemand wird es bezweifeln,<lb/>
daß. wenn die östreichische Monarchie nur von zwei Volksstämmen und zwar<lb/>
zu gleichen Theilen bewohnt wäre, die jetzige Centralisation unmöglich sein<lb/>
würde. In der dänischen aber wohnen nur Deutsche und Dünen und zwar<lb/>
ungefähr zu gleichen Theilen; denn was den'erstern an Zahl fehlt, ersetzen sie<lb/>
reichlich durch höhere Bildung und durch den Zusammenhang mit den Ver¬<lb/>
wandten im Süden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1417"> Während endlich Oestreich eine Großmacht ist, deren Angehörige mora¬<lb/>
lisch und materiell die Vortheile eines in seinen Machtmitteln und Zielen ge¬<lb/>
waltigen Staates genießen, während hier viele sich über den Verlust natio¬<lb/>
naler Selbstständigkeit in dem Gedanken trösten mögen, Glieder eines Gemein¬<lb/>
wesens zu sein, welches Europa gegen Asien zu schützen berufen ist, andere<lb/>
sich an den mittelalterlich-politischen Traditionen des Regentenhauses berau¬<lb/>
schen, wieder andere in Oestreich den Hort des Katholicismus erblicken, noch<lb/>
andere (und das möchten die meisten sein) sich aller Gedanken an Nationa¬<lb/>
lität, Freiheit und Kirche entschlagen mögen, weil sie bei dauerndem Frieden<lb/>
eine gewaltige Entwicklung der materiellen Interessen auf einem Gebiet sich<lb/>
entfalten sehr, welches unerschöpfliche Hilfsquellen besitzt, gehört der Deutsche<lb/>
in der dänischen Monarchie nur einer Macht dritten, wenn man will, vierten<lb/>
Ranges an, in der sich kein großer Gedanke ausprägt, an die sich keine große<lb/>
Hoffnung knüpft, die im Gegentheil schon alle Zeichen der baldigen Auflösung<lb/>
an sich trägt, und auf deren Ableben bereits die Erben warten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1418" next="#ID_1419"> So fiele wenigstens eins der Momente weg. welche das wiener Cabinet<lb/>
zu der bisher innegehaltenen Behandlung der Schleswig-holsteinischen Sache<lb/>
veranlaßten. Das andere Moment &#x2014; hätte Beseler fortfahren können &#x2014; die Eiser¬<lb/>
sucht auf Preußen wird man der heilenden, neue Combinationen der Mächte<lb/>
bildenden Zeit überlassen müssen. Die letzten Jahre, die letzten Monate haben<lb/>
gezeigt, daß die Mißgunst noch stark genug ist. Unheilbar aber ist der R4ß<lb/>
nicht. Die letzten Jahre, die letzten Monate haben auch gezeigt, daß Oest¬<lb/>
reich einen zuverlässigen Bundesgenossen bedarf, und es werden, nach den<lb/>
Zeichen am politischen Himmel zu urtheilen, Tage kommen, wo man sich in<lb/>
Wien die Frage vorlegen wird, ob die Freundschaft der nordischen Macht<lb/>
nicht endlich durch wirkliche, ganze, des Dankes werthe Zugeständnisse zu ge-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotm IV. 18SS. 62</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0497] Während in Oestreich zur Rechtspflege und Verwaltung Männer eins allen Kronländern herangezogen werden, stellt man in der dänischen Hälfte des dä¬ nischen Gesammtstaats fast nur, in der deutschen, besonders in Schleswig, vorzugsweise Dänen an. Wie stark sodann auch der Antagonismus zwischen einigen der unter Oestreichs Scepter vereinigten Nationalitäten sein mag, so nimmt die Mannigfaltigkeit des Bildes, welches der Kaiserstaat in nationaler Beziehung darbietet, dem Haß der einzelnen Volksindividualitäten gegeneinander einen großen Theil seiner aggressiven Schärfe. Niemand wird es bezweifeln, daß. wenn die östreichische Monarchie nur von zwei Volksstämmen und zwar zu gleichen Theilen bewohnt wäre, die jetzige Centralisation unmöglich sein würde. In der dänischen aber wohnen nur Deutsche und Dünen und zwar ungefähr zu gleichen Theilen; denn was den'erstern an Zahl fehlt, ersetzen sie reichlich durch höhere Bildung und durch den Zusammenhang mit den Ver¬ wandten im Süden. Während endlich Oestreich eine Großmacht ist, deren Angehörige mora¬ lisch und materiell die Vortheile eines in seinen Machtmitteln und Zielen ge¬ waltigen Staates genießen, während hier viele sich über den Verlust natio¬ naler Selbstständigkeit in dem Gedanken trösten mögen, Glieder eines Gemein¬ wesens zu sein, welches Europa gegen Asien zu schützen berufen ist, andere sich an den mittelalterlich-politischen Traditionen des Regentenhauses berau¬ schen, wieder andere in Oestreich den Hort des Katholicismus erblicken, noch andere (und das möchten die meisten sein) sich aller Gedanken an Nationa¬ lität, Freiheit und Kirche entschlagen mögen, weil sie bei dauerndem Frieden eine gewaltige Entwicklung der materiellen Interessen auf einem Gebiet sich entfalten sehr, welches unerschöpfliche Hilfsquellen besitzt, gehört der Deutsche in der dänischen Monarchie nur einer Macht dritten, wenn man will, vierten Ranges an, in der sich kein großer Gedanke ausprägt, an die sich keine große Hoffnung knüpft, die im Gegentheil schon alle Zeichen der baldigen Auflösung an sich trägt, und auf deren Ableben bereits die Erben warten. So fiele wenigstens eins der Momente weg. welche das wiener Cabinet zu der bisher innegehaltenen Behandlung der Schleswig-holsteinischen Sache veranlaßten. Das andere Moment — hätte Beseler fortfahren können — die Eiser¬ sucht auf Preußen wird man der heilenden, neue Combinationen der Mächte bildenden Zeit überlassen müssen. Die letzten Jahre, die letzten Monate haben gezeigt, daß die Mißgunst noch stark genug ist. Unheilbar aber ist der R4ß nicht. Die letzten Jahre, die letzten Monate haben auch gezeigt, daß Oest¬ reich einen zuverlässigen Bundesgenossen bedarf, und es werden, nach den Zeichen am politischen Himmel zu urtheilen, Tage kommen, wo man sich in Wien die Frage vorlegen wird, ob die Freundschaft der nordischen Macht nicht endlich durch wirkliche, ganze, des Dankes werthe Zugeständnisse zu ge- Grenzbotm IV. 18SS. 62

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/497
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/497>, abgerufen am 05.07.2024.