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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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am 5, November 1815 in Paris von den Bevollmächtigten Frankreichs, Eng¬
lands, Rußlands. Preußens'und Oestreichs ein Vertrag unterzeichnet, durch
welchen die jonischen Inseln, von denen England sechs durch das Recht der
Eroberung und eine durch Uebergabe im Besitz hatte, zu einem "freien und
unabhängigen Staate unter dem unmittelbaren und ausschließlichen Schutze Gro߬
britanniens" erklärt wurden. Der militärische Befehl wurde der souveränen
Schutzmacht vorbehalten, die durch einen Lordobercommissär vertreten sein
sollte, welchem das Recht zugesprochen wurde, die Gesetzgebung und die Ver¬
waltung zu regeln, eine constituirende Versammlung zu berufen und die Be¬
rathungen derselben zum Zweck einer Verfassungsurkunde zu leiten.

Sir Thomas Maitland, der erste Lordobercommissär, war ein Mann von
großen Talenten und reicher Erfahrung. Wenn er gewaltthätiger und rück¬
sichtsloser mit den Ioniern verfuhr, als es einer civilisirten Nation gegenüber
sich gebührt (bekannt ist sein Spitzname King Tom) so hat man sich zu erin¬
nern, daß die Jonier damals keinen Anspruch auf das Prädicat einer civili-
sirten Nation hatten, und daß man selbstsüchtigen Factionen gegenüber, welche
die Worte Freiheit und Nationalität nur als Deckmantel ihres Ehrgeizes
brauchten, nicht anders als mit Schärfe verfahren konnte. Unter Maitlands
Leitung kam 1817 eine Verfassung zu Stande-, welche allerdings viele Wünsche
der Bevölkerung unerf-nlle ließ, in welcher aber mit großem Geschick alle Grund¬
sätze ausgedrückt waren, welche die Schutzmacht ermächtigten und verpflichteten,
sobald als das Volk reif war, demselben vollkommenste Selbstregierung zu
verleihen. Was auch die Mängel dieser Verfassung gewesen sein mögen und
welche Fehler man auch den Beamten zur Last legen mag, die unter ihr die
Schutzmacht vertraten, auch die ärgsten Widersacher Englands werden nicht
hinwegleugncn, daß sie den Ioniern einen dreißigjährigen Frieden, materielles
Gedeihen und Sicherheit des Besitzes brachte, wie sie bis dahin hier unerhört
waren. Es wurde Recht gesprochen ohne Einfluß von Bestechung, der öffent¬
liche Schatz war sicher vor diebischen Händen, der von den Venetianern ein¬
geführte Feudalismus wurde in seinen verderblichen Wirkungen auf die ärmere
Classe nach Möglichkeit eingeschränkt, das Volk war nicht mehr eine verach¬
tete Kaste, die eingebornen Beamten wurden mit Achtung und Höflichkeit be¬
handelt, und jedermann, Hoch oder Niedrig, fand in den Vertretern Englands
eine Macht, welche sowol den Willen als auch die Gewalt hatte, das Recht
zur Geltung zu bringen und dem Unrecht abzuhelfen. Zu gleicher Zeit wurde
alles gethan, um das materielle Gedeihen des Landes zu fördern, vortreff¬
liche Straßen, bis jetzt in der ganzen Levante unbekannt und selbst im König¬
reich Griechenland eine Seltenheit, wurden auf allen Inseln angelegt, man
baute Häfen, Wasserleitungen und Quais, man ermuthigte Ackerbau und Han¬
del, man richtete Schulen für alle Classen der Bevölkerung ein. Die Steuern


am 5, November 1815 in Paris von den Bevollmächtigten Frankreichs, Eng¬
lands, Rußlands. Preußens'und Oestreichs ein Vertrag unterzeichnet, durch
welchen die jonischen Inseln, von denen England sechs durch das Recht der
Eroberung und eine durch Uebergabe im Besitz hatte, zu einem „freien und
unabhängigen Staate unter dem unmittelbaren und ausschließlichen Schutze Gro߬
britanniens" erklärt wurden. Der militärische Befehl wurde der souveränen
Schutzmacht vorbehalten, die durch einen Lordobercommissär vertreten sein
sollte, welchem das Recht zugesprochen wurde, die Gesetzgebung und die Ver¬
waltung zu regeln, eine constituirende Versammlung zu berufen und die Be¬
rathungen derselben zum Zweck einer Verfassungsurkunde zu leiten.

Sir Thomas Maitland, der erste Lordobercommissär, war ein Mann von
großen Talenten und reicher Erfahrung. Wenn er gewaltthätiger und rück¬
sichtsloser mit den Ioniern verfuhr, als es einer civilisirten Nation gegenüber
sich gebührt (bekannt ist sein Spitzname King Tom) so hat man sich zu erin¬
nern, daß die Jonier damals keinen Anspruch auf das Prädicat einer civili-
sirten Nation hatten, und daß man selbstsüchtigen Factionen gegenüber, welche
die Worte Freiheit und Nationalität nur als Deckmantel ihres Ehrgeizes
brauchten, nicht anders als mit Schärfe verfahren konnte. Unter Maitlands
Leitung kam 1817 eine Verfassung zu Stande-, welche allerdings viele Wünsche
der Bevölkerung unerf-nlle ließ, in welcher aber mit großem Geschick alle Grund¬
sätze ausgedrückt waren, welche die Schutzmacht ermächtigten und verpflichteten,
sobald als das Volk reif war, demselben vollkommenste Selbstregierung zu
verleihen. Was auch die Mängel dieser Verfassung gewesen sein mögen und
welche Fehler man auch den Beamten zur Last legen mag, die unter ihr die
Schutzmacht vertraten, auch die ärgsten Widersacher Englands werden nicht
hinwegleugncn, daß sie den Ioniern einen dreißigjährigen Frieden, materielles
Gedeihen und Sicherheit des Besitzes brachte, wie sie bis dahin hier unerhört
waren. Es wurde Recht gesprochen ohne Einfluß von Bestechung, der öffent¬
liche Schatz war sicher vor diebischen Händen, der von den Venetianern ein¬
geführte Feudalismus wurde in seinen verderblichen Wirkungen auf die ärmere
Classe nach Möglichkeit eingeschränkt, das Volk war nicht mehr eine verach¬
tete Kaste, die eingebornen Beamten wurden mit Achtung und Höflichkeit be¬
handelt, und jedermann, Hoch oder Niedrig, fand in den Vertretern Englands
eine Macht, welche sowol den Willen als auch die Gewalt hatte, das Recht
zur Geltung zu bringen und dem Unrecht abzuhelfen. Zu gleicher Zeit wurde
alles gethan, um das materielle Gedeihen des Landes zu fördern, vortreff¬
liche Straßen, bis jetzt in der ganzen Levante unbekannt und selbst im König¬
reich Griechenland eine Seltenheit, wurden auf allen Inseln angelegt, man
baute Häfen, Wasserleitungen und Quais, man ermuthigte Ackerbau und Han¬
del, man richtete Schulen für alle Classen der Bevölkerung ein. Die Steuern


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[0476] am 5, November 1815 in Paris von den Bevollmächtigten Frankreichs, Eng¬ lands, Rußlands. Preußens'und Oestreichs ein Vertrag unterzeichnet, durch welchen die jonischen Inseln, von denen England sechs durch das Recht der Eroberung und eine durch Uebergabe im Besitz hatte, zu einem „freien und unabhängigen Staate unter dem unmittelbaren und ausschließlichen Schutze Gro߬ britanniens" erklärt wurden. Der militärische Befehl wurde der souveränen Schutzmacht vorbehalten, die durch einen Lordobercommissär vertreten sein sollte, welchem das Recht zugesprochen wurde, die Gesetzgebung und die Ver¬ waltung zu regeln, eine constituirende Versammlung zu berufen und die Be¬ rathungen derselben zum Zweck einer Verfassungsurkunde zu leiten. Sir Thomas Maitland, der erste Lordobercommissär, war ein Mann von großen Talenten und reicher Erfahrung. Wenn er gewaltthätiger und rück¬ sichtsloser mit den Ioniern verfuhr, als es einer civilisirten Nation gegenüber sich gebührt (bekannt ist sein Spitzname King Tom) so hat man sich zu erin¬ nern, daß die Jonier damals keinen Anspruch auf das Prädicat einer civili- sirten Nation hatten, und daß man selbstsüchtigen Factionen gegenüber, welche die Worte Freiheit und Nationalität nur als Deckmantel ihres Ehrgeizes brauchten, nicht anders als mit Schärfe verfahren konnte. Unter Maitlands Leitung kam 1817 eine Verfassung zu Stande-, welche allerdings viele Wünsche der Bevölkerung unerf-nlle ließ, in welcher aber mit großem Geschick alle Grund¬ sätze ausgedrückt waren, welche die Schutzmacht ermächtigten und verpflichteten, sobald als das Volk reif war, demselben vollkommenste Selbstregierung zu verleihen. Was auch die Mängel dieser Verfassung gewesen sein mögen und welche Fehler man auch den Beamten zur Last legen mag, die unter ihr die Schutzmacht vertraten, auch die ärgsten Widersacher Englands werden nicht hinwegleugncn, daß sie den Ioniern einen dreißigjährigen Frieden, materielles Gedeihen und Sicherheit des Besitzes brachte, wie sie bis dahin hier unerhört waren. Es wurde Recht gesprochen ohne Einfluß von Bestechung, der öffent¬ liche Schatz war sicher vor diebischen Händen, der von den Venetianern ein¬ geführte Feudalismus wurde in seinen verderblichen Wirkungen auf die ärmere Classe nach Möglichkeit eingeschränkt, das Volk war nicht mehr eine verach¬ tete Kaste, die eingebornen Beamten wurden mit Achtung und Höflichkeit be¬ handelt, und jedermann, Hoch oder Niedrig, fand in den Vertretern Englands eine Macht, welche sowol den Willen als auch die Gewalt hatte, das Recht zur Geltung zu bringen und dem Unrecht abzuhelfen. Zu gleicher Zeit wurde alles gethan, um das materielle Gedeihen des Landes zu fördern, vortreff¬ liche Straßen, bis jetzt in der ganzen Levante unbekannt und selbst im König¬ reich Griechenland eine Seltenheit, wurden auf allen Inseln angelegt, man baute Häfen, Wasserleitungen und Quais, man ermuthigte Ackerbau und Han¬ del, man richtete Schulen für alle Classen der Bevölkerung ein. Die Steuern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/476>, abgerufen am 05.07.2024.