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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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zieht auf die fünf südlichen Inseln würden wir diesen Anspruch nicht nur für
uns selbst, sondern auch für den Sultan anerkennen, wahrend unsere dann
anomal erscheinende Behauptung Korfus sich auf den nackten Grund stützen
würde, daß die Insel einen guten Hafen hat, daß sie stark befestigt ist. und
daß wir eine das adriatische Meer beherrschende Station brauchen.

Das Cabinet Derby hat sich beeilt, zü erklären, daß seine Ansicht der
des Lordobercommisfärs entgegengesetzt sei, daß.es nicht beabsichtige, in dem
durch die Verträge von 1815 festgestellten Verhältnisse Englands zu den jo-
nischen Inseln Aenderungen eintreten zu lassen. Schließlich ist zu bemerken,
daß die zehn Vertreter Korfus im jonischen Parlament gegen die Unterstellung
Sir John Joungs, die Insel wünsche mit England vereinigt zu werden,
protestirt und erklärt haben, man hoffe und erstrebe vielmehr eine Verbindung
mit Griechenland.

Dies wäre der gegenwärtige Stand der Dinge in Betreff dieser Frage.
Die Entscheidung wird erst nach Zusammentritt des Parlaments erfolgen.
Der Protest der Korfioten wird dabei nur in geringem Maße in Betracht
kommen, zumal da man weiß, daß die Wahlen auf dieser Insel das Werk von
Factionen sind. Das Maßgebende wird das Interesse Englands sein. Die
Vertrüge von 1815 würden England nicht hindern, sein Protectorat auszu¬
geben, falls es ihm eine Last wäre. Sie würden es als Papiere, welche (man
denke an die Einverleibung Krakaus in den östreichischen Staat, an die Los-
reißung Belgiens von Holland) von der neuesten Geschichte oft genug durch¬
löchert wurden, kaum abhalten können, dieses Protectorat in Bezug auf Korfu
in eine Besitznahme zu verwandeln, vorausgesetzt, daß die Zeit überhaupt
dazu angethan wäre. Die Bedenken der "Times" sind jedenfalls von Ge¬
wicht. An ihre Aufrichtigkeit aber zu glauben, wenn sie den Erwerb der
Oberschutzherrschaft über die Siebeninselrcpublik einen schlechten Kauf nennt und
es wenigstens für möglich hält, daß dieser Kauf rückgängig zu machen sei, kann
nur einem vollkommen Blinden zugemuthet werden. Sehr möglich ist es, daß
trotz jener Bedenken und trotz der Erklärung des jetzigen Cabinets die eng¬
lische Regierung über kurz oder lang Einleitungen trifft, den Aoungschen Plan
mit oder ohne Modification durchzusetzen, daß es in den südlichen Inseln die
Schale der Muschel wegwirft und die Perle Korfu behält. Vollkommen un¬
möglich aber ist es, daß eine englische Regierung auch Korfu aus den Händen
geben sollte. Es ist dies um so weniger möglich in jetziger Zeit, wo zwischen
Rußland und Frankreich ein EinVerständniß besteht, welches nur deshalb noch
nicht zum Bündniß geworden ist. weil England seemächtiger und den fran¬
zösischen Küsten näher ist als Nußland, wo serner Frankreich fortwährend an
der Verstärkung seiner Flotte arbeitet und (man erinnere sich der Ränke in
Tunis und Acgypten. an den Suezkanal und die Hoffnungen, welche bei


zieht auf die fünf südlichen Inseln würden wir diesen Anspruch nicht nur für
uns selbst, sondern auch für den Sultan anerkennen, wahrend unsere dann
anomal erscheinende Behauptung Korfus sich auf den nackten Grund stützen
würde, daß die Insel einen guten Hafen hat, daß sie stark befestigt ist. und
daß wir eine das adriatische Meer beherrschende Station brauchen.

Das Cabinet Derby hat sich beeilt, zü erklären, daß seine Ansicht der
des Lordobercommisfärs entgegengesetzt sei, daß.es nicht beabsichtige, in dem
durch die Verträge von 1815 festgestellten Verhältnisse Englands zu den jo-
nischen Inseln Aenderungen eintreten zu lassen. Schließlich ist zu bemerken,
daß die zehn Vertreter Korfus im jonischen Parlament gegen die Unterstellung
Sir John Joungs, die Insel wünsche mit England vereinigt zu werden,
protestirt und erklärt haben, man hoffe und erstrebe vielmehr eine Verbindung
mit Griechenland.

Dies wäre der gegenwärtige Stand der Dinge in Betreff dieser Frage.
Die Entscheidung wird erst nach Zusammentritt des Parlaments erfolgen.
Der Protest der Korfioten wird dabei nur in geringem Maße in Betracht
kommen, zumal da man weiß, daß die Wahlen auf dieser Insel das Werk von
Factionen sind. Das Maßgebende wird das Interesse Englands sein. Die
Vertrüge von 1815 würden England nicht hindern, sein Protectorat auszu¬
geben, falls es ihm eine Last wäre. Sie würden es als Papiere, welche (man
denke an die Einverleibung Krakaus in den östreichischen Staat, an die Los-
reißung Belgiens von Holland) von der neuesten Geschichte oft genug durch¬
löchert wurden, kaum abhalten können, dieses Protectorat in Bezug auf Korfu
in eine Besitznahme zu verwandeln, vorausgesetzt, daß die Zeit überhaupt
dazu angethan wäre. Die Bedenken der „Times" sind jedenfalls von Ge¬
wicht. An ihre Aufrichtigkeit aber zu glauben, wenn sie den Erwerb der
Oberschutzherrschaft über die Siebeninselrcpublik einen schlechten Kauf nennt und
es wenigstens für möglich hält, daß dieser Kauf rückgängig zu machen sei, kann
nur einem vollkommen Blinden zugemuthet werden. Sehr möglich ist es, daß
trotz jener Bedenken und trotz der Erklärung des jetzigen Cabinets die eng¬
lische Regierung über kurz oder lang Einleitungen trifft, den Aoungschen Plan
mit oder ohne Modification durchzusetzen, daß es in den südlichen Inseln die
Schale der Muschel wegwirft und die Perle Korfu behält. Vollkommen un¬
möglich aber ist es, daß eine englische Regierung auch Korfu aus den Händen
geben sollte. Es ist dies um so weniger möglich in jetziger Zeit, wo zwischen
Rußland und Frankreich ein EinVerständniß besteht, welches nur deshalb noch
nicht zum Bündniß geworden ist. weil England seemächtiger und den fran¬
zösischen Küsten näher ist als Nußland, wo serner Frankreich fortwährend an
der Verstärkung seiner Flotte arbeitet und (man erinnere sich der Ränke in
Tunis und Acgypten. an den Suezkanal und die Hoffnungen, welche bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/471>, abgerufen am 05.07.2024.