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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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So weit die Worte des Jesuitenberichts. Auf dem Schaffst legte Levi
allem Volk ein männliches Bekenntniß seiner That ab. mit der Bitte, die
Zeugen, welche nur die Wahrheit gesagt, nicht länger im Gefängniß zu
halten. Die Einzelheiten der Hinrichtung waren besonders grausam, der er¬
fahrene Henker vermochte -- so erzählen die Verfasser -- den starken Körper
des Verbrechers mit dem Rade nicht zu todten. Zuletzt rief Levi den Priester
an seine Seite und frug ihn mit klarer Stimme, was er ihm verspräche,
wenn er sich taufen ließe? Als ihm der Pater außer der Vergebung aller
Sünden auch noch schnellen Tod versprach, antwortete Levi: ich will getauft
werden. Triumphirend eilte die Kirche mit einer Nothtaufe, sehr geneigt,
die unerhörte Körperkraft und Ruhe des Verbrechers für ein besonderes
Wunder göttlicher Vorsehung auszugeben. Levi sprach die vorgesprochenen
Formeln kräftig nach und empfing ruhig den jetzt wirksamen Todcssireich.

Das ist die traurige Geschichte von Simon Abeles. Wer den Jesuiten-
bericht unbefangen beurtheilt, wird noch manches darin finden, was die Er¬
zähler zu verschweigen wünschten. Und wer mit Abscheu auf die fanatischen
Mörder sieht, der möge sich mit nicht geringerem Abscheu von den fanatischen
Priestern abwenden. Sie reißen das noch ungeborne Kind aus dem Leibe
der Mutter, sie halten für einen gottseliger Fund, den Säugling seiner Mutter
heimlich zu stehlen, sie erschachern durch Spione und Zuträger, durch Verspre¬
chungen. Drohungen, Aufregungen der Phantasie und fütterndes Gepränge ihrem
Gott, der dem Gott des Evangeliums fehr unähnlich ist, Scharen von Pro-
selyten zum "Abwaschen;" sie benutzen einen jammervollen Mord mit der
Geschicklichkeit erfahrener Regisseure, um ein wirksames Trauerspiel in Scene
zu setzen, und den todten Leib eines Judenknaben, um durch Pomp. Flitter
und massenhafte Aufzüge, wo möglich durch Wunder, ihren Glauben bei
Christen und Juden zu empfehlen. Ihr Fanatismus, im Bunde mit der
bürgerlichen Obrigkeit und willfährigen Gefetz. gestützt auf die Sinnlichkeit
des vornehmen und geringen Pöbels, steht gegen den Fanatismus eines ge¬
schmähten, verfolgten, leidenschaftlichen Stammes, List und Gewaltthat, Frevel
und verkümmerte Sittlichkeit hier wie da. Der moderne Staat überwindet
das fanatische Judenthum, seit er die Juden emancipirt. das fanatische Pfaffen-
thum lastet noch wie ein Alp auf dem Glauben und der Sittlichkeit von
? Katholiken und Protestanten.




So weit die Worte des Jesuitenberichts. Auf dem Schaffst legte Levi
allem Volk ein männliches Bekenntniß seiner That ab. mit der Bitte, die
Zeugen, welche nur die Wahrheit gesagt, nicht länger im Gefängniß zu
halten. Die Einzelheiten der Hinrichtung waren besonders grausam, der er¬
fahrene Henker vermochte — so erzählen die Verfasser — den starken Körper
des Verbrechers mit dem Rade nicht zu todten. Zuletzt rief Levi den Priester
an seine Seite und frug ihn mit klarer Stimme, was er ihm verspräche,
wenn er sich taufen ließe? Als ihm der Pater außer der Vergebung aller
Sünden auch noch schnellen Tod versprach, antwortete Levi: ich will getauft
werden. Triumphirend eilte die Kirche mit einer Nothtaufe, sehr geneigt,
die unerhörte Körperkraft und Ruhe des Verbrechers für ein besonderes
Wunder göttlicher Vorsehung auszugeben. Levi sprach die vorgesprochenen
Formeln kräftig nach und empfing ruhig den jetzt wirksamen Todcssireich.

Das ist die traurige Geschichte von Simon Abeles. Wer den Jesuiten-
bericht unbefangen beurtheilt, wird noch manches darin finden, was die Er¬
zähler zu verschweigen wünschten. Und wer mit Abscheu auf die fanatischen
Mörder sieht, der möge sich mit nicht geringerem Abscheu von den fanatischen
Priestern abwenden. Sie reißen das noch ungeborne Kind aus dem Leibe
der Mutter, sie halten für einen gottseliger Fund, den Säugling seiner Mutter
heimlich zu stehlen, sie erschachern durch Spione und Zuträger, durch Verspre¬
chungen. Drohungen, Aufregungen der Phantasie und fütterndes Gepränge ihrem
Gott, der dem Gott des Evangeliums fehr unähnlich ist, Scharen von Pro-
selyten zum „Abwaschen;" sie benutzen einen jammervollen Mord mit der
Geschicklichkeit erfahrener Regisseure, um ein wirksames Trauerspiel in Scene
zu setzen, und den todten Leib eines Judenknaben, um durch Pomp. Flitter
und massenhafte Aufzüge, wo möglich durch Wunder, ihren Glauben bei
Christen und Juden zu empfehlen. Ihr Fanatismus, im Bunde mit der
bürgerlichen Obrigkeit und willfährigen Gefetz. gestützt auf die Sinnlichkeit
des vornehmen und geringen Pöbels, steht gegen den Fanatismus eines ge¬
schmähten, verfolgten, leidenschaftlichen Stammes, List und Gewaltthat, Frevel
und verkümmerte Sittlichkeit hier wie da. Der moderne Staat überwindet
das fanatische Judenthum, seit er die Juden emancipirt. das fanatische Pfaffen-
thum lastet noch wie ein Alp auf dem Glauben und der Sittlichkeit von
? Katholiken und Protestanten.




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[0468] So weit die Worte des Jesuitenberichts. Auf dem Schaffst legte Levi allem Volk ein männliches Bekenntniß seiner That ab. mit der Bitte, die Zeugen, welche nur die Wahrheit gesagt, nicht länger im Gefängniß zu halten. Die Einzelheiten der Hinrichtung waren besonders grausam, der er¬ fahrene Henker vermochte — so erzählen die Verfasser — den starken Körper des Verbrechers mit dem Rade nicht zu todten. Zuletzt rief Levi den Priester an seine Seite und frug ihn mit klarer Stimme, was er ihm verspräche, wenn er sich taufen ließe? Als ihm der Pater außer der Vergebung aller Sünden auch noch schnellen Tod versprach, antwortete Levi: ich will getauft werden. Triumphirend eilte die Kirche mit einer Nothtaufe, sehr geneigt, die unerhörte Körperkraft und Ruhe des Verbrechers für ein besonderes Wunder göttlicher Vorsehung auszugeben. Levi sprach die vorgesprochenen Formeln kräftig nach und empfing ruhig den jetzt wirksamen Todcssireich. Das ist die traurige Geschichte von Simon Abeles. Wer den Jesuiten- bericht unbefangen beurtheilt, wird noch manches darin finden, was die Er¬ zähler zu verschweigen wünschten. Und wer mit Abscheu auf die fanatischen Mörder sieht, der möge sich mit nicht geringerem Abscheu von den fanatischen Priestern abwenden. Sie reißen das noch ungeborne Kind aus dem Leibe der Mutter, sie halten für einen gottseliger Fund, den Säugling seiner Mutter heimlich zu stehlen, sie erschachern durch Spione und Zuträger, durch Verspre¬ chungen. Drohungen, Aufregungen der Phantasie und fütterndes Gepränge ihrem Gott, der dem Gott des Evangeliums fehr unähnlich ist, Scharen von Pro- selyten zum „Abwaschen;" sie benutzen einen jammervollen Mord mit der Geschicklichkeit erfahrener Regisseure, um ein wirksames Trauerspiel in Scene zu setzen, und den todten Leib eines Judenknaben, um durch Pomp. Flitter und massenhafte Aufzüge, wo möglich durch Wunder, ihren Glauben bei Christen und Juden zu empfehlen. Ihr Fanatismus, im Bunde mit der bürgerlichen Obrigkeit und willfährigen Gefetz. gestützt auf die Sinnlichkeit des vornehmen und geringen Pöbels, steht gegen den Fanatismus eines ge¬ schmähten, verfolgten, leidenschaftlichen Stammes, List und Gewaltthat, Frevel und verkümmerte Sittlichkeit hier wie da. Der moderne Staat überwindet das fanatische Judenthum, seit er die Juden emancipirt. das fanatische Pfaffen- thum lastet noch wie ein Alp auf dem Glauben und der Sittlichkeit von ? Katholiken und Protestanten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/468>, abgerufen am 05.07.2024.