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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Mosis umgebracht habe. Ueber dies Geständniß war der Priester überaus
froh und bemühte sich, ihn durch Beweise und inständiges Bitten zu ver¬
mögen, daß er sich hochherzig zu Gott wenden möchte. Levi aber wollte
darauf mit keiner rechten Antwort heraus. Und da der Priester sich bei schon
heranschleichender Abenddämmerung zum Heimgehn rüstete, schlug Levi seine
Augen zum Himmel und sprach mit tiefem Seufzer- Vater, wo werde ich
morgen um diese Zeit sein? worauf der Priester versetzte: "Mein Kind, im
Himmel, so du den christlichen Glauben annimmst, stirbst du aber im Juden-
thum, als ein verstockter Jude in der Hölle." Darauf wünschte er ihm aufs
freundlichste eine gute Nacht und ein seliges Ende und ging davon.

Am andern Tage fand der Priester den Verurtheilten zum bevorstehenden
letzten Trauerspiel ganz weiß in weiße Leinwand gekleidet, gleichsam als
hätte er sich ausgerüstet getauft zu werden. Der Pater frug ihn nach freund¬
lichster Begrüßung, in welchem Glauben zu sterben er sich endlich entschlossen
hätte? Daraus gab Levi diese Worte zurück: In demselben Glauben will ich
sterben, in welchem Abraham, Jsaak und Jacob gestorben sind. Und wie
vor Zeiten Abraham seinen Sohn, so will ich heut mich selbst für meine
Sünden aufopfern." Als ihm der Priester weiter zusetzte, sprach er mit
gütigem Angesicht und unverwirrtem Gemüth: ich bitte zum demüthigsten,
der Pater wolle mir nicht weiter mit der Taufe lästig werden, denn ich will
jetzt die Psalmen beten und mich zum glückseligen Tode vorbereiten. Darauf
begann er die Psalmen zu sprechen, aber ohne die Tephilim genannten
Riemen, obwol die Juden sonst das Gebet ohne Umwinden der Stirn und
Hände für Sünde halten. Er betete aber mit solcher Herzenszerknirschung
und solch heftigem Brustklopsen und Thränen, daß sich die Mitgefangenen
und Anwesenden über diesen büßenden Menschen heftig verwunderten. Nach
einem Gebet, das über zwei Stunden dauerte, übergab er sich hurtig in die
Hände des Henkers und redete ihn mit ganz heiterem Gesicht so an: Mache
mit mir, was dir Gott und mein Richter zu thun befohlen hat. Darauf
wandte er sich zu seinen Mitgefangenen, beurlaubte sich freundlich von ihnen
und bat demüthig, ihm seine begangenen Mängel zu verzeihn. Nach zehn
Uhr führte man ihn unter dem Zuschauen einer unzählbaren Volksmenge aus
dem Gefängniß und band ihn in eine Ocksenhaut ein, wobei er kein Zeichen
von Ungeduld oder Mißfallen von sich gab. Nur die gebundenen Hände
hob er zuweilen betend zum Himmel auf. So wurde er von einem Pferde
zur Wahlstatt geschleppt. Als er wahrnahm, daß der begleitende Priester
mitten auf dem Platz in Gefahr war, von einem Pferde schwer beschädigt
zu werden, und daß er durch das zulaufende Volk gedrängt wurde, bat er
mit mitleidiger Stimme, daß er vorangehen möge, sich der Gefahr zu
entziehen. --'


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Mosis umgebracht habe. Ueber dies Geständniß war der Priester überaus
froh und bemühte sich, ihn durch Beweise und inständiges Bitten zu ver¬
mögen, daß er sich hochherzig zu Gott wenden möchte. Levi aber wollte
darauf mit keiner rechten Antwort heraus. Und da der Priester sich bei schon
heranschleichender Abenddämmerung zum Heimgehn rüstete, schlug Levi seine
Augen zum Himmel und sprach mit tiefem Seufzer- Vater, wo werde ich
morgen um diese Zeit sein? worauf der Priester versetzte: „Mein Kind, im
Himmel, so du den christlichen Glauben annimmst, stirbst du aber im Juden-
thum, als ein verstockter Jude in der Hölle." Darauf wünschte er ihm aufs
freundlichste eine gute Nacht und ein seliges Ende und ging davon.

Am andern Tage fand der Priester den Verurtheilten zum bevorstehenden
letzten Trauerspiel ganz weiß in weiße Leinwand gekleidet, gleichsam als
hätte er sich ausgerüstet getauft zu werden. Der Pater frug ihn nach freund¬
lichster Begrüßung, in welchem Glauben zu sterben er sich endlich entschlossen
hätte? Daraus gab Levi diese Worte zurück: In demselben Glauben will ich
sterben, in welchem Abraham, Jsaak und Jacob gestorben sind. Und wie
vor Zeiten Abraham seinen Sohn, so will ich heut mich selbst für meine
Sünden aufopfern." Als ihm der Priester weiter zusetzte, sprach er mit
gütigem Angesicht und unverwirrtem Gemüth: ich bitte zum demüthigsten,
der Pater wolle mir nicht weiter mit der Taufe lästig werden, denn ich will
jetzt die Psalmen beten und mich zum glückseligen Tode vorbereiten. Darauf
begann er die Psalmen zu sprechen, aber ohne die Tephilim genannten
Riemen, obwol die Juden sonst das Gebet ohne Umwinden der Stirn und
Hände für Sünde halten. Er betete aber mit solcher Herzenszerknirschung
und solch heftigem Brustklopsen und Thränen, daß sich die Mitgefangenen
und Anwesenden über diesen büßenden Menschen heftig verwunderten. Nach
einem Gebet, das über zwei Stunden dauerte, übergab er sich hurtig in die
Hände des Henkers und redete ihn mit ganz heiterem Gesicht so an: Mache
mit mir, was dir Gott und mein Richter zu thun befohlen hat. Darauf
wandte er sich zu seinen Mitgefangenen, beurlaubte sich freundlich von ihnen
und bat demüthig, ihm seine begangenen Mängel zu verzeihn. Nach zehn
Uhr führte man ihn unter dem Zuschauen einer unzählbaren Volksmenge aus
dem Gefängniß und band ihn in eine Ocksenhaut ein, wobei er kein Zeichen
von Ungeduld oder Mißfallen von sich gab. Nur die gebundenen Hände
hob er zuweilen betend zum Himmel auf. So wurde er von einem Pferde
zur Wahlstatt geschleppt. Als er wahrnahm, daß der begleitende Priester
mitten auf dem Platz in Gefahr war, von einem Pferde schwer beschädigt
zu werden, und daß er durch das zulaufende Volk gedrängt wurde, bat er
mit mitleidiger Stimme, daß er vorangehen möge, sich der Gefahr zu
entziehen. —'


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[0467] Mosis umgebracht habe. Ueber dies Geständniß war der Priester überaus froh und bemühte sich, ihn durch Beweise und inständiges Bitten zu ver¬ mögen, daß er sich hochherzig zu Gott wenden möchte. Levi aber wollte darauf mit keiner rechten Antwort heraus. Und da der Priester sich bei schon heranschleichender Abenddämmerung zum Heimgehn rüstete, schlug Levi seine Augen zum Himmel und sprach mit tiefem Seufzer- Vater, wo werde ich morgen um diese Zeit sein? worauf der Priester versetzte: „Mein Kind, im Himmel, so du den christlichen Glauben annimmst, stirbst du aber im Juden- thum, als ein verstockter Jude in der Hölle." Darauf wünschte er ihm aufs freundlichste eine gute Nacht und ein seliges Ende und ging davon. Am andern Tage fand der Priester den Verurtheilten zum bevorstehenden letzten Trauerspiel ganz weiß in weiße Leinwand gekleidet, gleichsam als hätte er sich ausgerüstet getauft zu werden. Der Pater frug ihn nach freund¬ lichster Begrüßung, in welchem Glauben zu sterben er sich endlich entschlossen hätte? Daraus gab Levi diese Worte zurück: In demselben Glauben will ich sterben, in welchem Abraham, Jsaak und Jacob gestorben sind. Und wie vor Zeiten Abraham seinen Sohn, so will ich heut mich selbst für meine Sünden aufopfern." Als ihm der Priester weiter zusetzte, sprach er mit gütigem Angesicht und unverwirrtem Gemüth: ich bitte zum demüthigsten, der Pater wolle mir nicht weiter mit der Taufe lästig werden, denn ich will jetzt die Psalmen beten und mich zum glückseligen Tode vorbereiten. Darauf begann er die Psalmen zu sprechen, aber ohne die Tephilim genannten Riemen, obwol die Juden sonst das Gebet ohne Umwinden der Stirn und Hände für Sünde halten. Er betete aber mit solcher Herzenszerknirschung und solch heftigem Brustklopsen und Thränen, daß sich die Mitgefangenen und Anwesenden über diesen büßenden Menschen heftig verwunderten. Nach einem Gebet, das über zwei Stunden dauerte, übergab er sich hurtig in die Hände des Henkers und redete ihn mit ganz heiterem Gesicht so an: Mache mit mir, was dir Gott und mein Richter zu thun befohlen hat. Darauf wandte er sich zu seinen Mitgefangenen, beurlaubte sich freundlich von ihnen und bat demüthig, ihm seine begangenen Mängel zu verzeihn. Nach zehn Uhr führte man ihn unter dem Zuschauen einer unzählbaren Volksmenge aus dem Gefängniß und band ihn in eine Ocksenhaut ein, wobei er kein Zeichen von Ungeduld oder Mißfallen von sich gab. Nur die gebundenen Hände hob er zuweilen betend zum Himmel auf. So wurde er von einem Pferde zur Wahlstatt geschleppt. Als er wahrnahm, daß der begleitende Priester mitten auf dem Platz in Gefahr war, von einem Pferde schwer beschädigt zu werden, und daß er durch das zulaufende Volk gedrängt wurde, bat er mit mitleidiger Stimme, daß er vorangehen möge, sich der Gefahr zu entziehen. —' 58*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/467>, abgerufen am 05.07.2024.