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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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viele Doctoren, Gerichtsbeisitzer und verschiedene vom Neichsadel; vor ihnen
wurde Kreuz und Fahne mit Sonnenschirm getragen, in ihren Händen führten
sie brennende Wachskerzen und flammende, weiße Windlichter. Sechstens kam
das erste Sängerchor, dann die Klerisei in ihren Chorröcken, dann die zweite
Sängerordnuug, darauf die Leviten, Pfarrherrn, Hochwürdigsten Capitelherrn
mit dem Osficianten, welchen Stadtsoldaten in langer Reihe zur Seite gingen.
Siebentens trugen den glorwürdigen Leichnam des Blutzeugen (Simons) die
sechzehn geschmückten Jünglinge. Zu beiden Seiten des Sarges gingen zwölf
Knaben mit rothen brennenden Fackeln, mit holländischem Purpurgewand
ausbündig schön überkleidet. Achtens folgten dem Sarg die hochadligen
Vorsteher und Statthalter des Königreichs, alle in ihren Händen rothe Fackeln
haltend, ihnen folgte der vornehmste Adel beider Geschlechter in großer Menge,
endlich eine unzählbare gottpreisende Volksmenge. --

Der Gehilfe des Mordes, Levi Hüsel Kurtzhandl, von den Juden nicht
so genannt, weil er Kurzhändler war, sondern weil sein Vater überaus kurze
Hände gehabt hatte, war von wohlhabenden Eltern zu Prag geboren, von
hoher Gestalt, zwanzig Jahr alt, stark, von trotzigem Gesicht, zornmüthig.
wacker beredt und witzig, in talmudischen Büchern, die er elf Jahre studirt
hatte, ausbündig erfahren. Er hatte sich neun Meilen von Prag bei seiner
jüdischen Braut geborgen. Nach emsigen Nachforschungen wurde bewaffnete
Mannschaft abgefertigt, welche ihn in Eisen legte und zu Wagen mit unter¬
gelegten Pferden am 22. März in Prag einbrachte. Obwol die Commissarien
nach frühern ähnlichen Fällen zweifelten, daß sich aus diesem harten Kiesel¬
stein ein Tropfen Wahrheit würde auspressen lassen, wurden ihm doch
die Zeugen gegenübergestellt. Er aber gestand trotz der Bekenntnisse dreier
Zeugen gar nichts; man bedrohte ihn mit dem Henker und der Folterbank,
aber das wirkte bei ihm so viel, als wenn man einem Krebs droht, daß
man ihn ersäufen wolle. Denn er traute sich zu, auch die Folterung zu über¬
stehen und so loszukommen. Ja er erkühnte sich, zu sagen, man verfahre
bei dem Gcrichtshandel gegen ihn wider alles Recht und Gesetz. So wurde
er dem Rechte gemäß nach der Aussage von drei Zeugen auch ohne sein
Geständniß zum Rade verdammt.

Er aber unterbrach durch sieben Monate die Vollstreckung des Richter¬
spruchs, indem er durch einen jüdischen Blutsverwandten den Handel vor
Se. kaiserliche Majestät Leopold brachte. Durch jüdische Ränke wurde jetzt
das Verfahren gehemmt und dermaßen saumselig betrieben, daß man klar
bemerken konnte, der Verurtheilte suche nur einen Aufschub aus mehre Jahre,
um endlich Strafmilderung zu erhalten, oder durch freiwilligen Tod vorzu¬
bauen. Endlich erwirkte das Tribunal, daß der Beschuldigte seine Schutz¬
schrift binnen vierzehn Tagen einreichen mußte; ihre eitlen Entschuldigungen


Grenzboten IV. 1S56. 58

viele Doctoren, Gerichtsbeisitzer und verschiedene vom Neichsadel; vor ihnen
wurde Kreuz und Fahne mit Sonnenschirm getragen, in ihren Händen führten
sie brennende Wachskerzen und flammende, weiße Windlichter. Sechstens kam
das erste Sängerchor, dann die Klerisei in ihren Chorröcken, dann die zweite
Sängerordnuug, darauf die Leviten, Pfarrherrn, Hochwürdigsten Capitelherrn
mit dem Osficianten, welchen Stadtsoldaten in langer Reihe zur Seite gingen.
Siebentens trugen den glorwürdigen Leichnam des Blutzeugen (Simons) die
sechzehn geschmückten Jünglinge. Zu beiden Seiten des Sarges gingen zwölf
Knaben mit rothen brennenden Fackeln, mit holländischem Purpurgewand
ausbündig schön überkleidet. Achtens folgten dem Sarg die hochadligen
Vorsteher und Statthalter des Königreichs, alle in ihren Händen rothe Fackeln
haltend, ihnen folgte der vornehmste Adel beider Geschlechter in großer Menge,
endlich eine unzählbare gottpreisende Volksmenge. —

Der Gehilfe des Mordes, Levi Hüsel Kurtzhandl, von den Juden nicht
so genannt, weil er Kurzhändler war, sondern weil sein Vater überaus kurze
Hände gehabt hatte, war von wohlhabenden Eltern zu Prag geboren, von
hoher Gestalt, zwanzig Jahr alt, stark, von trotzigem Gesicht, zornmüthig.
wacker beredt und witzig, in talmudischen Büchern, die er elf Jahre studirt
hatte, ausbündig erfahren. Er hatte sich neun Meilen von Prag bei seiner
jüdischen Braut geborgen. Nach emsigen Nachforschungen wurde bewaffnete
Mannschaft abgefertigt, welche ihn in Eisen legte und zu Wagen mit unter¬
gelegten Pferden am 22. März in Prag einbrachte. Obwol die Commissarien
nach frühern ähnlichen Fällen zweifelten, daß sich aus diesem harten Kiesel¬
stein ein Tropfen Wahrheit würde auspressen lassen, wurden ihm doch
die Zeugen gegenübergestellt. Er aber gestand trotz der Bekenntnisse dreier
Zeugen gar nichts; man bedrohte ihn mit dem Henker und der Folterbank,
aber das wirkte bei ihm so viel, als wenn man einem Krebs droht, daß
man ihn ersäufen wolle. Denn er traute sich zu, auch die Folterung zu über¬
stehen und so loszukommen. Ja er erkühnte sich, zu sagen, man verfahre
bei dem Gcrichtshandel gegen ihn wider alles Recht und Gesetz. So wurde
er dem Rechte gemäß nach der Aussage von drei Zeugen auch ohne sein
Geständniß zum Rade verdammt.

Er aber unterbrach durch sieben Monate die Vollstreckung des Richter¬
spruchs, indem er durch einen jüdischen Blutsverwandten den Handel vor
Se. kaiserliche Majestät Leopold brachte. Durch jüdische Ränke wurde jetzt
das Verfahren gehemmt und dermaßen saumselig betrieben, daß man klar
bemerken konnte, der Verurtheilte suche nur einen Aufschub aus mehre Jahre,
um endlich Strafmilderung zu erhalten, oder durch freiwilligen Tod vorzu¬
bauen. Endlich erwirkte das Tribunal, daß der Beschuldigte seine Schutz¬
schrift binnen vierzehn Tagen einreichen mußte; ihre eitlen Entschuldigungen


Grenzboten IV. 1S56. 58
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/465>, abgerufen am 05.07.2024.