Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.schwer zu ihm zu dringen. Endlich am 31. Mürz wurde die Beisetzung ins schwer zu ihm zu dringen. Endlich am 31. Mürz wurde die Beisetzung ins <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0464" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266273"/> <p xml:id="ID_1328" prev="#ID_1327" next="#ID_1329"> schwer zu ihm zu dringen. Endlich am 31. Mürz wurde die Beisetzung ins<lb/> Werk gerichtet. Bewaffnete Macht umgab in drei Reihen das Rathhaus, durch<lb/> die ganze Stadt begannen in 70 Kirchen'die Glocken zu schallen und läuteten<lb/> zwei ganze Stunden fort. Unterdeß verschmachtete die Synagoge und ganze<lb/> Judenschaft fast vor Todesangst, weil sie hoch besorgte vom christlichen Pö¬<lb/> bel aus Rache angefallen zu werden. Es schien aber einem Wunder nicht<lb/> ungleich, daß keine Gewaltthätigkeit vorgenommen wurde, da doch in den ver-<lb/> wichenen Jahren die Christen mehr als einmal wegen geringerer Ursachen den<lb/> Tandelmarkt und die Judenstadt angefallen und ausgeplündert, auch die Ju¬<lb/> den selbst angegriffen, etliche schwer beschädigt und, wie bekannt ist, gar er¬<lb/> mordet hatten. Als gegen 10 Uhr die Maler mit einer doppelten Abbildung<lb/> des Blutzeugen Simon fertig waren, begannen die Kirchengebräuche. Nach¬<lb/> dem der Sarg verschlossen war, schickten sich die Commissarien an, die Schloß-<lb/> löcher zu versiegeln. Da aber die papiernen Siegelzettel leicht verletzt wer¬<lb/> den konnten, wurde von den Herren Commissarien ein bequemes Seitenhaut<lb/> verlangt. Als dies hochadlige Personen wahrgenommen, rissen sie von ihrem<lb/> Haupt, Brust und Armen solche Zeuge ab. Sr. Excellenz der Reichsgraf<lb/> von Martinitz band ein an seinem Degenhest Hangendes Band ab. Es<lb/> wurde aber zu diesem Gebrauche das Band von rothem Atlas gewählt, wel¬<lb/> ches die hoch und wohlgeborne Gräfin Kolowrat getragen, dies wurde ent¬<lb/> zwei geschnitten und über das Schloßloch herabgezogen und angesiegelt. Darauf<lb/> wurde der Sarg des Märtyrers mit einer großen, von rothem Sammet kost¬<lb/> bar gefertigten Fahne gedeckt, mitten aus dem Todtcnschrein stand ein zierliches<lb/> Bild Unserer Lieben Frauen, an beiden Ecken Engel mit Palmenzweigen.<lb/> Sechzehn von gutem Adel herstammende Jünglinge legten ihre unschuldigen<lb/> Achseln unter den Leichenschrein, sie trugen rothe, mit goldenen Borten schim¬<lb/> mernde Mäntel, Kränze von rother Seide gewunden, mit silbernen Rosen unter¬<lb/> setzt. Dabei klang der Glockenklang durch alle drei Städte, die Wolken des<lb/> Himmels heiterten sich plötzlich auf, die Volksmenge bedeckte alle Dächer,<lb/> nahm alle Fenster ein, sie war nicht nur aus den drei nahen Weingebirgen,<lb/> sondern auch aus fernen Flecken und Städten zusammengeströmt. Das Heer<lb/> des Leichenzuges führten die ersten Stadtbcamten, darauf folgten die unlängst<lb/> getauften Jüdlcin mit rothen Feldzeichen geziert, denen zwei Kirchenfahnen<lb/> von gleichem Zeuge vorangetragen wurden. Ferner eine unzählbare Menge<lb/> von Schulknaben aus allen Schulen der drei Städte, in acht Purpurfähnlcin<lb/> abgetheilt, drittens unter rothen Fahnen alle Studentlein aus den untern<lb/> lateinischen Schulen. Viertens über vierhundert Köpfe der lateinischen Bruder¬<lb/> schaft aus den Schulen, ihnen wurde Kreuz und Fahne mit einem Sonnen¬<lb/> schirm umgeben, mit angezündeten Wachslichtern vorgetragen. Ihnen folgte<lb/> fünftens die größere Studentenbruoerschast Unserer Lieben Frauen, darunter</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0464]
schwer zu ihm zu dringen. Endlich am 31. Mürz wurde die Beisetzung ins
Werk gerichtet. Bewaffnete Macht umgab in drei Reihen das Rathhaus, durch
die ganze Stadt begannen in 70 Kirchen'die Glocken zu schallen und läuteten
zwei ganze Stunden fort. Unterdeß verschmachtete die Synagoge und ganze
Judenschaft fast vor Todesangst, weil sie hoch besorgte vom christlichen Pö¬
bel aus Rache angefallen zu werden. Es schien aber einem Wunder nicht
ungleich, daß keine Gewaltthätigkeit vorgenommen wurde, da doch in den ver-
wichenen Jahren die Christen mehr als einmal wegen geringerer Ursachen den
Tandelmarkt und die Judenstadt angefallen und ausgeplündert, auch die Ju¬
den selbst angegriffen, etliche schwer beschädigt und, wie bekannt ist, gar er¬
mordet hatten. Als gegen 10 Uhr die Maler mit einer doppelten Abbildung
des Blutzeugen Simon fertig waren, begannen die Kirchengebräuche. Nach¬
dem der Sarg verschlossen war, schickten sich die Commissarien an, die Schloß-
löcher zu versiegeln. Da aber die papiernen Siegelzettel leicht verletzt wer¬
den konnten, wurde von den Herren Commissarien ein bequemes Seitenhaut
verlangt. Als dies hochadlige Personen wahrgenommen, rissen sie von ihrem
Haupt, Brust und Armen solche Zeuge ab. Sr. Excellenz der Reichsgraf
von Martinitz band ein an seinem Degenhest Hangendes Band ab. Es
wurde aber zu diesem Gebrauche das Band von rothem Atlas gewählt, wel¬
ches die hoch und wohlgeborne Gräfin Kolowrat getragen, dies wurde ent¬
zwei geschnitten und über das Schloßloch herabgezogen und angesiegelt. Darauf
wurde der Sarg des Märtyrers mit einer großen, von rothem Sammet kost¬
bar gefertigten Fahne gedeckt, mitten aus dem Todtcnschrein stand ein zierliches
Bild Unserer Lieben Frauen, an beiden Ecken Engel mit Palmenzweigen.
Sechzehn von gutem Adel herstammende Jünglinge legten ihre unschuldigen
Achseln unter den Leichenschrein, sie trugen rothe, mit goldenen Borten schim¬
mernde Mäntel, Kränze von rother Seide gewunden, mit silbernen Rosen unter¬
setzt. Dabei klang der Glockenklang durch alle drei Städte, die Wolken des
Himmels heiterten sich plötzlich auf, die Volksmenge bedeckte alle Dächer,
nahm alle Fenster ein, sie war nicht nur aus den drei nahen Weingebirgen,
sondern auch aus fernen Flecken und Städten zusammengeströmt. Das Heer
des Leichenzuges führten die ersten Stadtbcamten, darauf folgten die unlängst
getauften Jüdlcin mit rothen Feldzeichen geziert, denen zwei Kirchenfahnen
von gleichem Zeuge vorangetragen wurden. Ferner eine unzählbare Menge
von Schulknaben aus allen Schulen der drei Städte, in acht Purpurfähnlcin
abgetheilt, drittens unter rothen Fahnen alle Studentlein aus den untern
lateinischen Schulen. Viertens über vierhundert Köpfe der lateinischen Bruder¬
schaft aus den Schulen, ihnen wurde Kreuz und Fahne mit einem Sonnen¬
schirm umgeben, mit angezündeten Wachslichtern vorgetragen. Ihnen folgte
fünftens die größere Studentenbruoerschast Unserer Lieben Frauen, darunter
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