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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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gnug seine Hand hemme, wählte er einen Juden, Levi Kurtzhandl zum Ge¬
hilfen, einen Mann von wildem Gemüth und frischem Alter, der ihm schon
früher den Nath gegeben, den Knaben durch Gift zu todten. Levi Kurtzhandl
lud den Knaben in die Kammer der Stiefmutter desselben, und führte ein Ge¬
spräch mit ihm aus dem Talmud, um ihn zu verkehren. Als aber Simon
auf seinem Vorhaben beharrte, wurde er von den Fäusten des Levi zerschla¬
gen, und von ihm und dem Vater in die nächste Kammer gerissen. Dort
sielen ihn beide grimmig an, brachen ihm das Genick und trieben seinen Kopf
gewaltsam an die Ecke eines hölzernen Kastens, wodurch der glorreiche Käm¬
pfer Christi einen letzten Stoß an der linken Seite des Schlafs erhielt.

Während diese Grausamkeit in der Kammer verübt wurde, war Lia,
Stiefmutter des Simon, nebst einem Gesellen, Rebbe Liebenau, in der Neben¬
stube mit Handschuhmachen beschäftigt. Bei dem Winseln des Knaben und
dem Getös der Todlscklüger eilte sie in die Kammer. Dort sah sie den ent¬
seelten Leib aus dem Boden und beide Mörder um ihn auf den Knien. Da¬
rüber erschrak die Frau so, daß sie in Ohnmacht sank, und von Kurtzhandl
durch eingeflößten Essig zur Besinnung gebracht werden mußte.

Nach der That kam Heimele, die Köchin des Lazarus zurück, welche er
nebst semen kleinen Kindern aus dem Hause geschickt hatte. Diese fragte bei
der Nähe des Abendessens, wo Simon sei. Ihr wurde ein Eid abgefordert,
die Sache geheim zu halten; worauf ihr der Vater selbst sagte, er habe mit
Levi Kurtzhandl den Knaben, als einen Abtrünnigen vom Gesetz Mosis. nach
dem Beispiel des Patriarchen Phineas, ums Leben gebracht.

Darauf berathschlagte Lazarus mit Levi, wie die Unthat geheim zu hal¬
ten, nicht nur vor den Christen, auch vor den Juden, zumal vor dem Ge¬
schlecht der Burianer, welches allen, die zu den Abeles hielten, höchst feindlich
war. Levi erbot sich, den Körper Simons noch während der Nacht in sein
Haus zu tragen und im Keller eigenhändig zu beerdigen. Lazarus aber be¬
sorgte, der Buriansche Anhang möchte dahinter kommen. Deshalb beschlossen
sie. den Leichnam auf dem öffentlichen Judenfriedhof begraben zu lassen.
Und da an dem Leibe zwar der Hals unterlaufen, sonst aber keine aufge¬
schlagene Wunde zu sehn war, mit Ausnahme des Stoßes am linken Sakkas
von der Größe eines Ducatens, so rief Lazarus seine Hausgenossen zusammen,
beschwor sie und lehrte sie, wie sie einhellig sagen sollten, Simon'sei in Tob¬
sucht gefallen, und so an die Ecke des Kastens gestürzt, wodurch er sich am
linken Schlaf tödtlich verletzt habe.

Am nächsten Morgen früh wurde der glorwürdige Kämpfer Christi durch
zwei Juden. Jerochem und Hirsches Kesserlas, die Todtcnschauer, in höchster
Stille unter die Erde gebracht.

Nach Simons Beerdigung kam aus dem Grabe der erste Gerichtsdiener


gnug seine Hand hemme, wählte er einen Juden, Levi Kurtzhandl zum Ge¬
hilfen, einen Mann von wildem Gemüth und frischem Alter, der ihm schon
früher den Nath gegeben, den Knaben durch Gift zu todten. Levi Kurtzhandl
lud den Knaben in die Kammer der Stiefmutter desselben, und führte ein Ge¬
spräch mit ihm aus dem Talmud, um ihn zu verkehren. Als aber Simon
auf seinem Vorhaben beharrte, wurde er von den Fäusten des Levi zerschla¬
gen, und von ihm und dem Vater in die nächste Kammer gerissen. Dort
sielen ihn beide grimmig an, brachen ihm das Genick und trieben seinen Kopf
gewaltsam an die Ecke eines hölzernen Kastens, wodurch der glorreiche Käm¬
pfer Christi einen letzten Stoß an der linken Seite des Schlafs erhielt.

Während diese Grausamkeit in der Kammer verübt wurde, war Lia,
Stiefmutter des Simon, nebst einem Gesellen, Rebbe Liebenau, in der Neben¬
stube mit Handschuhmachen beschäftigt. Bei dem Winseln des Knaben und
dem Getös der Todlscklüger eilte sie in die Kammer. Dort sah sie den ent¬
seelten Leib aus dem Boden und beide Mörder um ihn auf den Knien. Da¬
rüber erschrak die Frau so, daß sie in Ohnmacht sank, und von Kurtzhandl
durch eingeflößten Essig zur Besinnung gebracht werden mußte.

Nach der That kam Heimele, die Köchin des Lazarus zurück, welche er
nebst semen kleinen Kindern aus dem Hause geschickt hatte. Diese fragte bei
der Nähe des Abendessens, wo Simon sei. Ihr wurde ein Eid abgefordert,
die Sache geheim zu halten; worauf ihr der Vater selbst sagte, er habe mit
Levi Kurtzhandl den Knaben, als einen Abtrünnigen vom Gesetz Mosis. nach
dem Beispiel des Patriarchen Phineas, ums Leben gebracht.

Darauf berathschlagte Lazarus mit Levi, wie die Unthat geheim zu hal¬
ten, nicht nur vor den Christen, auch vor den Juden, zumal vor dem Ge¬
schlecht der Burianer, welches allen, die zu den Abeles hielten, höchst feindlich
war. Levi erbot sich, den Körper Simons noch während der Nacht in sein
Haus zu tragen und im Keller eigenhändig zu beerdigen. Lazarus aber be¬
sorgte, der Buriansche Anhang möchte dahinter kommen. Deshalb beschlossen
sie. den Leichnam auf dem öffentlichen Judenfriedhof begraben zu lassen.
Und da an dem Leibe zwar der Hals unterlaufen, sonst aber keine aufge¬
schlagene Wunde zu sehn war, mit Ausnahme des Stoßes am linken Sakkas
von der Größe eines Ducatens, so rief Lazarus seine Hausgenossen zusammen,
beschwor sie und lehrte sie, wie sie einhellig sagen sollten, Simon'sei in Tob¬
sucht gefallen, und so an die Ecke des Kastens gestürzt, wodurch er sich am
linken Schlaf tödtlich verletzt habe.

Am nächsten Morgen früh wurde der glorwürdige Kämpfer Christi durch
zwei Juden. Jerochem und Hirsches Kesserlas, die Todtcnschauer, in höchster
Stille unter die Erde gebracht.

Nach Simons Beerdigung kam aus dem Grabe der erste Gerichtsdiener


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/460>, abgerufen am 05.07.2024.